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Nur so eine Schlägerei

Nach der anfänglichen Empörung ver­suchen rechte Poli­tik­er, den Über­griff auf Ermyas M. zu ver­harm­losen und als eine gewalt­tätige Auseinan­der­set­zung unter vie­len darzustellen. 

Die bran­den­bur­gis­che Touris­mus­branche ist in Sorge. Erst kür­zlich bewies man bei der Pla­nung der ­Ur­laubssaison 2006 eine beein­druck­ende Kreativ­ität, lud zum Spree­wald­marathon unter dem Mot­to »Auf die Gurke, fer­tig, los!«, bot Schlösser­touren wie »Bran­den­burg roman­tisch« und Well­ness unter dem Mot­to »Bran­den­burg entspan­nt«. Doch statt Buchun­gen verze­ich­nete das Land zulet­zt einige Stornierun­gen. Erst wurde ein für den Herb­st geplanter Ärztekongress abge­sagt, dann weigerte sich eine nige­ri­an­is­che Regierungs­del­e­ga­tion, am »Wirtschaft­stag Nige­ria« in Pots­dam teilzunehmen. »Sie begrün­de­ten die Absage mit ihrer Angst vor Angrif­f­en«, sagte Beate Fer­nen­gel, die Direk­torin des Hotels, in dem die Del­e­ga­tion unterge­bracht wer­den sollte. 

Der Geschäfts­führer des lan­de­seige­nen Unternehmens »Touris­mus Mar­ket­ing Bran­den­burg« sprach von »Verun­sicherun­gen, deren Auswirkun­gen auf den Touris­mus nicht abse­hbar« seien. Denn seit eini­gen Tagen bes­timmt ein nicht nur in touris­tis­ch­er Hin­sicht ver­heeren­des Mot­to die Medi­en­berichter­stat­tung: »Bran­den­burg lebensgefährlich«. 

In der Nacht zum Oster­son­ntag wurde der 37jähige Ermyas M., Inge­nieur für Wasser­bau und Vater zweier Kinder, auf dem Nach­hauseweg von ein­er Diskothek bru­tal niedergeschla­gen und lebens­ge­fährlich ver­let­zt. An der Straßen­bahn­hal­testelle Char­lot­ten­hof in Pots­dam traf der Deutsche äthiopis­ch­er Herkun­ft auf zwei Män­ner, die ihn bedro­ht­en und beschimpften. Ein Teil der Auseinan­der­set­zung ist auf dem Anruf­beant­worter des Mobil­tele­fons der Frau von Ermyas M. doku­men­tiert, die er offen­bar zu erre­ichen ver­suchte. Darauf sind zwei Män­ner zu hören, die ihn als »Scheißnig­ger« und »Schwein« ­beschimpften. Im Anschluss daran wurde er der­art niedergeschla­gen, dass er ein schw­eres Schädel-Hirn-Trau­ma davon­trug. Noch am Mon­tag lag er im kün­stlichen Koma und schwebte in Lebensgefahr. 

Am Don­ner­stag ver­gan­gener Woche nahm die Pots­damer Krim­i­nalpolizei Björn L. (29) und Thomas M. (30) fest. Einen Tag später wurde gegen bei­de Haft­be­fehl erlassen. Die Män­ner bestre­it­en den Angriff auf Ermyas M. Björn L. bekam ein Ali­bi von sein­er Mut­ter, die sagte, er habe zum Zeit­punkt des Über­falls krank im Bett gele­gen. Am Tatort gefun­dene Fin­ger- und Fußab­drücke, Haut­par­tikel und Aus­sagen von Zeu­gen scheinen jedoch darauf hinzuweisen, dass es sich bei den Festgenomme­nen um die Täter han­delt. Gen­er­al­bun­de­san­walt Kay Nehm teilte am Son­ntag mit, dass ein­er der Verdächti­gen für am Tatort gefun­dene DNA-Spuren »in Betra­cht« komme. Nach Infor­ma­tio­nen der B.Z. soll Björn L. Mit­glied der »berüchtigten Rocker­bande ›Gremi­um MC‹ sein, der Kon­tak­te zur krim­inellen Türste­herszene, zu Recht­sradikalen und Hooli­gans nachge­sagt werden«. 

Thomas M. soll der taz zufolge in recht­en Kreisen verkehrt haben. Falko Schu­mannn vom Berlin­er Antifaschis­tis­chen Pressearchiv sagte der Zeitung, M. sei mit anderen Recht­sex­tremen bei Prozessen gegen Neon­azis in Pots­dam aufge­taucht und habe anwe­sende Opfer eingeschüchtert. 

Der Über­fall auf Ermyas M. führte zu Reak­tio­nen, wie man sie von anderen Vor­fällen ver­gle­ich­bar­er Art ken­nt. Zunächst über­boten sich Poli­tik­er jeglich­er Couleur in Superla­tiv­en der Bestürzung. Bun­deskan­z­lerin Angela Merkel (CDU) sprach von ein­er »abscheulichen und men­schen­ver­ach­t­en­den Tat«, Pots­dams Ober­bürg­er­meis­ter Jann Jakobs (SPD) sagte, seine Stadt ste­he unter Schock, und Bran­den­burgs Innen­min­is­ter Jörg Schön­bohm (CDU) fragte: »Wie kann das in ein­er zivil­isierten Welt, in ein­er zivil­isierten Gegend möglich sein?« 

Doch auf Empörung fol­gte wie so oft die Rel­a­tivierung. Schön­bohm bezweifelte kurz darauf im RBB-Infora­dio einen recht­sex­tremen Hin­ter­grund der Tat. Zwar habe das Opfer eine schwarze Haut­farbe, aber »wie die Tat abge­laufen ist, kann man nicht mit Sicher­heit sagen. Es war Nacht auf ein­samer Straße.« 

Unter­stützung erhielt er von einem Parteikol­le­gen, von Bundesinnenminis­ter Wolf­gang Schäu­ble: »Es wer­den auch blonde blauäugige Men­schen Opfer von Gewalt­tat­en, zum Teil sog­ar von Tätern, die möglicher­weise nicht die deutsche Staat­sange­hörigkeit haben. Das ist auch nicht bess­er.« Er gab der Mauer die Schuld am ost­deutschen Recht­sex­trem­is­mus: »In der früheren DDR kon­nten die Men­schen die Erfahrung gar nicht sam­meln, was für eine Bere­icherung es ist, mit Men­schen aus anderen Teilen der Welt zusammenzuleben.« 

Während Schön­bohm auch nach der Fes­t­nahme der Tatverdächti­gen mit dem Hin­weis darauf, dass sie nicht »bei den uns bekan­nten recht­sex­trem­istis­chen Organ­i­sa­tio­nen« aktiv seien, vor ein­er vorschnellen Beurteilung des Falls warnte, stürzten sich andere Poli­tik­er ger­adezu dankbar, so schien es, in eine »Ras­sis­mus-Debat­te«. Die Bun­deskan­z­lerin ließ von einem Sprech­er mit­teilen, nicht die DDR, son­dern die hohe Arbeit­slosigkeit unter Jugendlichen seien die Ursachen für Ras­sis­mus und Gewalt. Es han­dele sich um ein gesamt­ge­sellschaftlich­es Prob­lem, das ganz Europa ­betr­e­ffe. Gre­gor Gysi (Linkspartei) wies Schäubles Aus­sage als Belei­di­gung für den gesamten Osten Deutsch­lands zurück. 

Während der recht­sex­treme bzw. rassis­tische Hin­ter­grund der Tat also bere­its in Frage gestellt war, wurde ver­sucht, die Rolle des Opfers bei dem Über­griff ins Dubiose zu ziehen. Ermyas M. habe 2,08 Promille im Blut gehabt, hieß es. Ein Gerichtsmedi­zin­er habe fest­gestellt, dass er nur durch einen einzi­gen Faustschlag niedergestreckt wor­den sei, berichtete Spiegel online. »Wegen des hohen Alko­holpegels soll das Opfer nicht mehr in der Lage gewe­sen sein, sich abzustützen«, hieß es weit­er. Hätte sich Ermyas M. also weniger stark ver­let­zt, wenn er nüchtern gewe­sen wäre? 

Spiegel online berichtet zudem von Zeu­ge­naus­sagen, nach denen Ermyas M. zuvor in ein­er Diskothek einen Stre­it mit Skin­heads gehabt habe. Während der Auseinan­der­set­zung an der Bushal­testelle soll er seine Angreifer als »Schweine« beze­ich­net haben und sich »aggres­siv« ver­hal­ten haben. Er habe sog­ar nach einem sein­er Angreifer getreten. Nach diesem Bericht sah sich Schön­bohm bestätigt. Er sagte Bild am Son­ntag: »Zum Pots­damer Vor­fall habe ich von Anfang an die Überzeu­gung vertreten: Erst muss der Sachver­halt sorgfältig aufgek­lärt wer­den, dann erst kann man das Ganze bew­erten. Gegen diesen Grund­satz haben viele ver­stoßen, die sich öffentlich geäußert haben.« 

Schön­bohm lieferte sich zuvor auch einen Stre­it mit Gen­er­al­bun­de­san­walt Kay Nehm, weil dieser die Ermit­tlun­gen an sich gezo­gen hat­te. Dies sei nicht erforder­lich gewe­sen, sagte er der Frank­furter All­ge­meinen Son­ntagszeitung. »Der Gen­er­al­bun­de­san­walt hat über­zo­gen. Er hat aus der Sache ein Poli­tikum gemacht und zu ein­er Stig­ma­tisierung Bran­den­burgs beigetragen.« 

Schön­bohm kämpft nicht nur um die Stim­men rechter und rechtsext­remer Wäh­ler, son­dern er sorgt sich auch um den Ruf Bran­den­burgs. Sich­er täte es der Region gut, wenn der Über­griff am Ende als all­ge­meine gewalt­tätige Auseinan­der­set­zung von Betrunk­e­nen im Gedächt­nis haften bleibt, als Einzelfall, der sich über­all ereignen kön­nte. Auf die Frage eines Jour­nal­is­ten, ob das Mot­to der Fußball­welt­meis­ter­schaft »Zu Gast bei Fre­un­den« nicht hin­fäl­lig gewor­den sei, ent
geg­nete Schön­bohm: »Guck­en Sie sich andere Städte der Welt an, da passiert so was auch.« Aber er muss nicht in die weite Welt auss­chweifen. Ein Blick ins brandenbur­gische Rheins­berg oder nach Cot­tbus genügt.

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