An Demokratieförderung spart man nicht – schon gar nicht jetzt.
Breites Bündnis fordert mehr Geld für Demokratieprogramm
Die Kritik an der Bundesregierung und ihrem Demokratieförderprogramm
wächst. Rund 120 Organisationen der Zivilgesellschaft sowie rund 120
Unterstützer*innen fordern Familienministerin Franziska Giffey (SPD) am
Freitag in einem offenen Brief dazu auf, mehr Geld für „Demokratie
leben!“ bereitzustellen: 200 Millionen Euro jährlich statt der bisher
zugesagten 115 Millionen Euro sollen vor allem Modellprojekten für deren
Arbeit gegen Rassismus, Antisemitismus und Extremismus zukommen. In
seiner jetzigen Form spalte das Bundesförderprogramm die
Zivilgesellschaft in Konkurrenten um die wenigen Projektgelder, so die
Unterzeichner*innen.
Auch die Opferperspektive gehört zu den Erstunterzeichner*innen des
Briefes. Die Antidiskriminierungsberatung Brandenburg, die Teil des
Vereins ist, ist von der Ablehnung der Förderung massiv betroffen. Der
geplante Aufbau einer lokalen Antidiskriminierungsstelle in Cottbus kann
ohne die Förderung nicht durchgeführt werden.
Zum Hintergrund: In den vergangenen fünf Jahren hat „Demokratie leben!“
etwa 400 Modellprojekte gefördert. Nun sollen nur noch rund 100 dieser
innovativen Projekte gefördert werden. Eine Vielzahl
zivilgesellschaftlicher Träger kann nun keine Förderung beantragen.
Einige von ihnen arbeiten bereits seit Mitte der 2000er Jahre in ihrem
Feld, der Wegfall der Gelder ist für viele existenzbedrohend. Die
Unterzeichner*innen kritisieren: „Dass das Ministerium sich gerade jetzt
einer seiner größten Erfolgsgeschichten beraubt, halten wir für falsch.
Es braucht mehr Zivilgesellschaft, mehr Engagement, mehr Kompetenz, mehr
Erfahrungstransfer, mehr Ermutigung für Minderheitengruppen – und nicht
weniger.“
Die Absagen stehen, so die Unterzeichner*innen, in eklatantem
Widerspruch zu aktuellen Herausforderungen wie rechtsextremem Terror.
Ferda Ataman von den „neuen deutschen organisationen“ sagt: „Gerade
jetzt darf die Bundespolitik nicht an Demokratieförderung sparen, sie
war nie notwendiger als jetzt. Es ist außerdem günstiger, in
Gesellschaftspolitik zu investieren, als ständig die
Sicherheitsmaßnahmen hochschrauben zu müssen.“
Auch die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus ist von den
Kürzungen massiv betroffen. Seit über 15 Jahren entwickelt sie Konzepte
zu aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus, insbesondere für die
Arbeit in muslimisch- sozialisierten Milieus. Direktor Aycan Demirel
warnt: „Viele unserer Projekte, unter anderem auch die wichtige
Basisarbeit in Moscheegemeinden, müssen wir einstellen.“
Ministerin Giffey hatte das Förderprogramm umstrukturiert, kommunale
Projekte können künftig mehr Geld erhalten – allerdings auf Kosten der
Modellprojekte. „Das Problem ist nicht die Stärkung kommunalen
Engagements, sondern die Kürzung bei den zivilgesellschaftlichen Trägern
und die spaltende Wirkung der aktuellen Programmpolitik“, sagt Katharina
Debus von Dissens – Institut für Bildung und Forschung. Der Verein setzt
seit 30 Jahren Bildungsprojekte zu Geschlecht und Diskriminierung um,
unter anderem zu geschlechterreflektierter Rechtsextremismusprävention,
und ist durch die aktuelle Politik existenziell bedroht. Debus fordert:
„Die zivilgesellschaftlichen Träger müssen unabhängig von den
politischen Konjunkturen in den Kommunen sein.“ Timo Reinfrank von der
Amadeu Antonio Stiftung ergänzt: „Wir setzen darauf, dass die
Haushaltspolitiker in der Bereinigungssitzung am 14. November die Mittel
für das Bundesprogramm ‚Demokratie leben!‘ deutlich erhöhen.“
Zudem fordern die Unterzeichner*innen eine langfristige strukturelle
Förderung für bereits bewährte und erfolgreiche Träger, ein
transparentes System der Bewertung von und Entscheidung über
Förderzusagen sowie einen Beirat aus Trägerorganisationen, die Einfluss
auf die zukünftige Programmgestaltung nehmen können.
Link zum Offenen Brief: www.demokratie-mobilisieren.de
Hintergrund:
„Demokratie leben!“ ist das zentrale Bundesprogramm zur Bekämpfung von
Extremismus und zur Demokratieförderung, angesiedelt beim
Bundesfamilienministerium. Die erste Förderperiode des Programms begann
2015 und läuft 2019 aus. In diesem Jahr hat das Programm ein Budget von
115,5 Millionen Euro. Die geplanten Kürzungen für 2020 wurden – nach
erster Kritik der Träger – Anfang Oktober zurückgenommen, dem Programm
stehen nun erneut über 115 Millionen Euro zur Verfügung – allerdings nur
für das kommende Jahr. Perspektivisch soll das Budget gekürzt werden.
Für ein Gesetz zur dauerhaften Förderung, das sogenannte
Demokratiefördergesetz, hatte sich bereits Franziska Giffeys
Amtsvorgängerin Manuela Schwesig (SPD) ausgesprochen. Laut SPD
blockieren die Unionsparteien die Einführung des Gesetzes.
https://www.demokratie-leben.de/bundesprogramm/ueber-demokratie-leben.html
https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/presse/pressemitteilungen/ueber-115-mio–euro-fuer–demokratie-leben—im-jahr-2020/139914