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(Anti-)Rassismus Law & Order

Offener Brief des ver.di Ortsvereins Oberhavel an Landrat Schröter

Sehr geehrter Herr Lan­drat Schröter,

der ver.di Ortsvere­in Ober­hav­el im Bezirk Pots­dam-Nord­west­bran­den­burg hat am 20. Okto­ber beschlossen, Ihnen diesen offe­nen Brief zu schreiben.

Die Gew­erkschaftsmit­glieder im Land­kreis Ober­hav­el fordern Sie hier­mit unmissver­ständlich auf, unverzüglich allen Asyl­be­wer­bern im Land­kreis die vom Gesetz vorge­se­henen Leis­tun­gen kom­plett in Bargeld auszuzahlen, die derzeit noch in Wertgutscheinen aus­gere­icht wer­den und nicht länger die Poli­tik der diskri­m­inieren­den Gutscheine fortzuset­zen. Weit­er­hin fordern wir Sie auf, wo nötig, auch durch die Kreisver­wal­tung den Asyl­be­wer­bern Hil­festel­lung zu leis­ten, um die Anträge aus­sicht­sre­ich zu formulieren.

Wir Gew­erkschafter nehmen seit mehreren Monat­en wahr, dass Asyl­be­wer­ber immer wieder auch vor der Kreisver­wal­tung gegen Ihre Gutschein­poli­tik protestieren und unter­stützen diese Proteste aus­drück­lich. Der Kreistag hat Sie am 22. Juni 2011 aufge­fordert, vom diskri­m­inieren­den Prinzip der Gutschein­poli­tik abzuge­hen und die Leis­tun­gen bar auszahlen zu lassen.

Statt zu akzep­tieren, dass die Abge­ord­neten eine gute und wichtige Entschei­dung getrof­fen haben und diesen Beschluss umzuset­zen, bean­standen Sie den Beschluss, weil Sie den Kreistag in dieser Sache für Unzuständig erk­lärten und hebeln den Willen der Abge­ord­neten aus. In ein­er poli­tisch brisan­ten Sache den Willen des Kreistages mit solchen Begrün­dun­gen aushe­beln zu wollen sind, verehrter Herr Lan­drat, bil­lige Taschen­spiel­er­tricks, die nichts mit dem Legal­ität­sprinzip der Ver­wal­tung zu tun haben.

Spätestens mit ein­er raschen Umset­zung des Beschlusses hät­ten Sie wirk­liche Führungskom­pe­tenz gezeigt und gle­ich­sam ein wichtiges poli­tis­ches Sig­nal an die betrof­fe­nen Men­schen aus­ge­sendet. Die Umstel­lung von diskri­m­inieren­den Gutscheinen auf Bargeld stellt keine Zusatz­be­las­tung für den Haushalt des Kreis­es dar. Es geht hier schlicht darum, wie viel Men­schlichkeit brin­gen wir Men­schen ent­ge­gen, die hier auf die Beschei­dung ihres Antrages – teil­weise jahre­lang — warten.

Selb­st das Sozialmin­is­teri­um des Lan­des Bran­den­burg hat Ihnen mit­geteilt, dass ein­er Bargel­dauszahlung rechtlich nichts im Wege ste­ht, wenn der Land­kreis seinen Ermessen­spiel­raum auss­chöpfen will.

Auch die Bitte des Parteivor­sitzen­den der SPD, Her­rn Gabriel, an Sie, stieß auf Ablehnung. So wie in Ober­hav­el mit Asyl­be­wer­bern umge­gan­gen wird, darf man nicht mit Men­schen umge­hen, Herr Schröter. Ihr Ver­hal­ten ist dazu geeignet, dass sich Asyl­be­wer­ber auch bei uns diskri­m­iniert und aus­ge­gren­zt fühlen. Sie als höch­ster Repräsen­tant des Land­kreis­es Ober­hav­el haben die Pflicht gegen solche Aus­gren­zung und Diskri­m­inierung Ihre Stimme zu erheben.

Wir fra­gen Sie ganz direkt: Kön­nen Sie sich über­haupt vorstellen, was es bedeutet, mit Wertgutscheinen in zugewiese­nen Geschäften einzukaufen? Nicht alle Pro­duk­te kaufen dür­fen, die Sie benöti­gen und an der Kasse, nach dem Sie bere­its von anderen Kun­den beäugt wur­den, auch noch Ver­lust zu machen, weil sie Dif­feren­zen nicht voll­ständig als Wech­sel­geld erstat­tet bekom­men und dass Gutscheine, die sie im zugewiese­nen Zeitraum nicht aus­gegeben haben auch noch verfallen?

Reden Sie mit den Men­schen, reden Sie mit den Asyl­be­wer­bern und machen sie sich ein reales Bild von deren Lage, statt Entschei­dun­gen fern jed­er Lebenswirk­lichkeit zu treffen.

Lei­der haben Sie bis­lang lieber die regelmäßi­gen Proteste in Kauf genom­men und ließen mitunter sog­ar hochgerüstete Polizei vor dem Amtssitz auf­marschieren, als ob von den Protestier­ern eine Gefahr für Leib oder Sachen aus­ge­hen würde. Schä­men Sie sich wenig­stens im Nach­hinein dafür? Warum ist es noch immer nicht möglich, im Sinne von mehr Men­schlichkeit in Ober­hav­el umzus­teuern und unkom­pliziert Bargeld auszuzahlen, obwohl es einen weit­eren Beschluss des Kreistages hierzu vom 28. Sep­tem­ber gibt? Wenn Vize­landrat Hamelow sich dann auch noch zu dem The­ma äußert kommt beim inter­essierten Bürg­er der Ver­dacht auf, in Ober­hav­el ist die Führung des Land­kreis­es nicht nur igno­rant und welt­fremd son­dern ver­höh­nt die Men­schen auch noch oben­drein. Wie ist son­st zu erk­lären, dass Herr Hamelow (CDU) sich auf das Bun­des­bankge­setz beruft und sagt, dieAus­gabe von auf einen Monat befris­tet gülti­gen Gutscheinen ist im Sinne der Sta­bil­ität des Euro.

Wenn das kein Hohn ist, ist es Dummheit.

Ist es Zufall oder poli­tis­che Kon­ti­nu­ität, wenn der langjährige ehe­ma­lige Vize­landrat Ney (CDU) die Öffentlichkeit wis­sen lässt, dass er auch für Fam­i­lien­zusam­men­führung sei, aber bitte am Bosporus? Und eben dieser ehe­ma­lige zwei­thöch­ste Beamte des Land­kreis­es fährt Ver­schwörungs­the­o­rien auf, dass „Mul­ti­kul­ti“ die bürg­er­liche Gesellschaft stürzen will und jed­er abgelehnte Asy­lantrag wieder einen reinen Wirtschafts­flüchtling entlarvte.

Neben der Auszahlung von Bargeld statt Gutscheinen erwarten die Gew­erkschafter in Ober­hav­el von Ihnen, Herr Schröter, dass Sie die Asylpoli­tik – und auch die Abschiebe­poli­tik in Ober­hav­el über­den- ken und im Sinne von mehr Men­schlichkeit neu ord­nen. Sie haben viele Hand­lungsspiel­räume, die sie eröff­nen kön­nen, wenn Sie es wollen. Der notwendi­ge Ermessen­spiel­raum für eine Bargeldentschei­dung ist Ihnen spätestens seit der Nov­el­lierung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes 1997 gegeben.

Mit fre­undlichen Grüßen,

Anke Stahl (Vor­sitzende des Ortsvere­ins Ober­hav­el)
Mar­co Pavlik (Bezirks­geschäfts­führer Potsdam-Nordwestbrandenburg)

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