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Offener Brief zur Situation in der Gedenkstätte Sachsenhausen

Groß Köris, 2. Juni 2006 

Sehr geehrter Herr Prof. Morsch, 

Ich habe mir über die Ereignisse nach dem 23. April in der Gedenkstätte
Gedanken darüber gemacht, welche Grund­la­gen ein­er vertrauensvollen
Zusam­me­nar­beit mit Ihnen es für mich noch gibt. 

Als ehe­ma­liger langjähriger Häftling des KZ Sach­sen­hausen bin ich seit
1975 eng mit der Gedenkstätte ver­bun­den und weiß, im Gegen­satz zu
ihnen, dass der Antifaschis­mus für viele Bürg­er der DDR keine formale
Angele­gen­heit war, wenn sie die Gedenkstätte besuchten.

Die Nominierung von Her­rn Schön­bohm als Red­ner der brandenburgischen
Regierung am 23. 4. auf unser­er Kundge­bung war eine Pro­voka­tion. Er war
für diese Auf­gabe die am wenig­sten geeignete Per­son – glaube ich. 

Seine Bemerkun­gen über die Internierten von 1945 bis 1950 am gleichen
Ort wur­den von mir und vie­len Teil­nehmern an der Kundge­bung als
Pro­voka­tion betra­chtet. Sie, Herr Prof. Morsch, haben sich dazu noch
nicht geäußert. 

Die Het­z­jagd auf Hans Rent­meis­ter haben Sie eröffnet. Ich muss das als
eine Schützen­hil­fe für Her­rn Schön­bohm betra­cht­en. Die Tätigkeit von
Hans Rent­meis­ter im Min­is­teri­um für Staatssicher­heit genügte Ihnen, um
in schrof­fer und absoluter Form eine weit­ere Zusam­me­nar­beit mit dem
Gen­er­alsekretär des ISK abzulehnen. Für Sie spielte es keine Rolle, was
Hans Rent­meis­ter als Mitar­beit­er des MfS getan hat. Sie sucht­en keine
Aussprache, woll­ten keine Erk­lärung, son­dern seinen Rück­tritt als
Gen­er­alsekretär des ISK. Das haben Sie erreicht. 

Das ist die von mir abgelehnte Hal­tung von Leuten wie Frau Birth­ler und
Her­rn Dr. Knabe zu den Mitar­beit­ern des MfS.

Ich nehme diesen Vor­fall zum Anlass, meine Ansicht zu Ihrer
Gedenkstät­ten­poli­tik zu äußern. 

Die von Ihnen als Direk­tor der Stiftung und der Gedenkstätte
Sach­sen­hausen betriebene Prax­is entspricht meines Eracht­ens voll der
Poli­tik der Bun­desregierung. Sie ist ihrem Wesen nach antikommunistisch
und dem Antifaschis­mus gegenüber ablehnend. Daraus ergibt sich die
Tat­sache, dass die Prob­leme der Internierungslager – ein Beschluss der
Alli­ierten – nur über die Lager in der sow­jetis­chen Besatzungszone
Gegen­stand von Unter­suchun­gen und Bericht­en sind. Weil diese
Unter­suchun­gen, Berichte und Veröf­fentlichun­gen das Ziel haben, den
Faschis­mus zu ver­harm­losen und möglichst aus Tätern Opfer zu machen,
gibt es mit mir und vie­len Antifaschis­ten keine Ruhe. Wir lehnen jede
Gle­ich­set­zung von Konzen­tra­tionslager und Internierungslager ab. Das
entspricht der Entschließung des Europa-Par­la­ments vom Jahre 1993, die
auch die deutschen Delegierten akzep­tiert haben. 

Ihre Prax­is, Herr Prof. Morsch, ist anders. Sie haben viel Mühe und
Geld aufge­wandt und haben in die Gedenkstätte Sach­sen­hausen – eine
KZ-Gedenkstätte – das Internierten-Muse­um inte­gri­ert. Alle Vorbehalte
des Sach­sen­hausen-Komi­tees der Bun­desre­pub­lik wur­den ignoriert.

Sie haben in Jam­litz, dem Ort des schreck­lich­sten Neben­lagers von
Sach­sen­hausen, wo min­destens 8000 jüdis­che Häftlinge ihr Leben ließen,
mit zwei Ope­nair-Ausstel­lun­gen KZ und Internierungslager integriert.
Sie haben Ihre Konzep­tion durchge­set­zt, obwohl das
Sach­sen­hausen-Komi­tee der Bun­desre­pub­lik diese Konzep­tion ablehnte. 

Aus objek­tiv­en Grün­den sind die Gedenkstätte und das Muse­um in der
Stadt Lieberose. Das KZ-Neben­lager Jam­litz wurde in Sach­sen­hausen nach
dem Bahn­hof Lieberose benan­nt. Sie ver­weigern weit­ge­hend die
Anerken­nung dieser Gedenkstätte und dieses Museums. 

Sehr geehrter Herr Prof. Morsch. Sie vertreten die Auf­fas­sung, dass nur
die Per­so­n­en oder die Organ­i­sa­tio­nen in der Stiftung und in der
Gedenkstätte mitar­beit­en, „präsent“ sein kön­nen, die das Statut der
Stiftung vor­be­halt­los anerken­nen. Das kann ich nicht. Sie verweisen
aus­drück­lich darauf, dass laut Statut zu den Auf­gaben der Stiftung das
Prob­lem Internierungslager und das Prob­lem DDR-Geschichte gehören. Ich
habe das Statut nie anerkan­nt. Das Statut ist ein Erzeug­nis der
Bran­den­bur­gis­chen Regierung. Kein ehe­ma­liger Häftling des KZ
Sach­sen­hausen oder Ravens­brück hat daran mitar­beit­en kön­nen, keine
antifaschis­tis­che Organ­i­sa­tion wurde kon­sul­tiert. In der Leitung der
Stiftung ist kein ehe­ma­liger Häftling oder eine antifaschistische
Organisation. 

Ich glaube, dass ISK und das Sach­sen­hausen-Komi­tee der Bundesrepublik
ist in eine ungute Abhängigkeit von der Stiftung gekommen. 

Für die Durch­führung unser­er zen­tralen Ver­anstal­tun­gen sind das ISK und
das Sach­sen­hausen-Komi­tee auf die finanzielle Hil­fe der Regierung und
der organ­isatorischen Hil­fe der Stiftung seit vie­len Jahren angewiesen.
Zunehmend bes­tim­men sie über die zen­tralen Ver­anstal­tun­gen. Dafür gibt
es viele Beispiele. Der 23. April ist nur eines davon. 

Zum Schluss. Sehr geehrter Herr Prof. Morsch, ich bin der Mei­n­ung, die
Stiftung Bran­den­bur­gis­che Gedenkstät­ten und ihre Leitung, ihre Praxis
und Gedenkstät­ten­poli­tik unter­schei­det sich nicht von Stiftun­gen und
Prax­is in anderen Bun­deslän­dern. Ich habe mit ihr die gleichen
Prob­leme, wie sie in Sach­sen und Sach­sen-Anhalt beste­hen. Für mich muss
ich fest­stellen, dass die Mei­n­ungsver­schieden­heit­en in prinzipiellen
Fra­gen, der Gedenkstät­ten­poli­tik, sehr groß sind. 

Mit fre­undlichem Gruß 

Karl Sten­zel

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