Wer sich wehrt, lebt verkehrt, jedenfalls wenn es nach den Potsdamer Ermittlungsbehörden geht. Im Mai 2005 wurden der Berliner Autor und Übersetzer Dennis Milholland und zwei seiner Freunde in Potsdam angegriffen. Milholland, obwohl krank und fast blind, setzte sich zur Wehr und biß einem der Angreifer in den Finger. Am Donnerstag stand er wegen schwerer Körperverletzung vor dem Amtsgericht Potsdam.
Die drei Berliner aßen auf dem Rückweg von einer Kabarettveranstaltung in der Straßenbahn einen Imbiß. »Die Knoblauchfresser fressen Türkenscheiße«, schallte es ihnen von Jugendlichen entgegen. Es folgten »Sieg-Heil«-Rufe und rassistische Beschimpfungen: »Hey Nigger, ich ficke euch, bis Gehirn spritzt.« Einer der Jugendlichen, Oliver K., folgte den Berlinern in die S‑Bahn und begann, auf Milholland und einen Begleiter einzuschlagen. Milholland fiel zu Boden, rappelte sich wieder auf. Oliver K. drückte seinen Daumen auf Milhollands Kehlkopf und den Zeigefinger in seinen Mund. In Todesangst biß Milholland zu. Dann erklärte er dem Angreifer, daß er AIDS habe.
Was danach passierte, ist nicht untypisch: Oliver K. rannte zur Polizei und gab sich selbst als Opfer aus.
Die Polizei schickte den Schläger ins Krankenhaus. Milholland dagegen mußte auf der Wache warten, obwohl er am Kopf verletzt war: »Ich durfte vor mich hinbluten«. Zwar wurde K. vergangenes Jahr zu 50 Tagessätzen verurteilt, das Verfahren gegen Milholland aber lief weiter. Er habe, so die Staatsanwaltschaft, durch den Biß das Leben des Angreifers gefährdet. Besonders pikant an der Anklage: Milholland ist nicht nur schwul, AIDS-krank und behindert, sondern auch noch jüdischer Abstammung – das »perfekte Naziopfer« also, das verfolgt wird, weil es sich gewehrt hat.
Im Prozeß am gestrigen Donnerstag ging dann alles schnell. Oliver K. konnte den angeblichen Angriff auf ihn nicht konkret schildern und machte auf Richterin Heep keinen glaubhaften Eindruck. Milholland wurde freigesprochen. Selbst wenn er bewußt zugebissen hätte, »wäre das gerechtfertigt gewesen, weil es in Notwehr geschah«, so die Richterin.