(MAZ, Igor Göldner) POTSDAM Die oppositionelle PDS im Landtag hat Justizministerin Barbara
Richstein (CDU) im Gefängnis-Skandal scharf kritisiert. Der rechtspolitische
Sprecher der Fraktion, Stefan Sarrach, warf Richstein “gezielte
Desinformation” des Rechtsausschusses vor. Wichtige Informationen zum Fall
eines herzkranken Gefangenen, dem die ärztliche Hilfe durch Justizbeamte
verweigert wurde und der einen Infarkt erlitt, seien bei der Sondersitzung
am Montag dem Ausschuss vorenthalten worden. Sarrach beantragte eine
Einsicht in Kranken- und Polizeiakten.
Der Gefangene habe angegeben, durch Schläge in den Bauch innere Verletzungen
erlitten zu haben. Er soll überdies nach dem Infarkt zwei Wochen lang hohes
Fieber gehabt haben. Diese Details seien dem Ausschuss nicht genannt worden,
kritisierte der PDS-Abgeordnete. Sie seien aber für die Gesamtbewertung des
Fall wichtig. Stattdessen sei das Bild eines “wenig glaubwürdigen
Querulanten” gezeichnet worden, der offensichtlich nicht geschlagen worden
sei, da keine äußeren Verletzungen festgestellt wurden.
Richstein, die im Landtag auf eine dringliche Anfrage der PDS ausführlich
zum Gefängnis-Skandal befragt wurde, wies die Vorwürfe zurück. Es gebe
“keine Anhaltspunkte”, dass der Gefangene aufgrund von Gewalt Blut im Urin
hatte. Der Harninfekt sei mit Medikamenten behandelt worden. In diesem Fall
habe der Arzt eines städtischen Krankenhauses keine äußeren Verletzungen
festgestellt.
Richstein bekräftigte, dass sich Vorwürfe von Misshandlung und Gewalt gegen
Gefangene “nicht bestätigt” hätten. Fest stehe allein die Verweigerung
ärztlicher Hilfe. Sie wies auch den Vorwurf zurück, im Knast gebe es nur
prügelnde Bedienstete oder Schlägertrupps noch aus DDR-Zeiten. Sie wies
darauf hin, dass es sich bei den Gefangenen “nicht um Chorknaben” handele.
Es könne im Gefängnis besondere Stresssituationen geben. Manchmal müssten
auch Sicherungsmaßnahmen ergriffen oder unmittelbarer Zwang angewandt
werden. “Dieser muss verhältnismäßig sein. Wir sind nicht im Irak, wir sind
in einem Rechtsstaat”, hob Richstein hervor.
Sie verteidigte erneut das vor zehn Tagen von ihr erlassene Verbot des
Tragens sogenannter Sturmmasken. Bedienstete hatten vermummt in den Zellen
Gefangene “ruhig gestellt”. Die Masken waren 1994 angeschafft worden.
Für die PDS ist unklar, warum die Ministerin nicht früher von Beschwerden
Gefangener gehört habe. So habe es vor zwei Jahren einen Hungerstreik in der
JVA Brandenburg/Havel wegen schlechter Haftbedingungen und “diktatorischen
Verhaltens” von Bediensteten gegeben. Und im März 2004 habe der JVA-Chef den
zuständigen Referatsleiter im Ministerium vor einem RBB-Interview mit dem
besagten herzkranken Gefangenen gewarnt. Das sei heikel, weil der “uns alle
in die Pfanne hauen werde”, soll der JVA-Chef angegeben haben.
Richstein wies diese Vorwürfe zurück. Ihren Referatsleiter habe sie aber
noch nicht befragen können. Der ist noch im Urlaub.
Strafanzeigen von Häftlingen werden geprüft
Justizministerin will alle Fälle seit 1994 aufrollen
(Tagesspiegel) Potsdam. Justizministerin Barbara Richstein (CDU) weitet die Überprüfung der
Brandenburger Strafvollzugs-Bediensteten aus. Dem Tagesspiegel sagte sie,
dass sämtliche Strafanzeigen von Häftlingen seit 1994, die “mangels
Beweisen” zu den Akten gelegt wurden, noch einmal untersucht würden. Bisher
sollten nur die ab 1999 geführten Ermittlungsverfahren gegen Vollzugsbeamte
neu aufgerollt werden. Wie Richstein weiter erklärte, sollen nicht nur die
Anzeigen wegen Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung, sondern
auch die wegen Nötigung und “gegen Unbekannt” überprüft werden. Anlass sind
die nicht abreißenden Spekulationen über angebliche Misshandlungen in
Brandenburger Gefängnissen. Überprüft werden laut Richstein auch alle
Todesfälle und Suizide in den Justizvollzugsanstalten.
Eine ähnlich umfassende Überprüfung von Vollzugsbeamten hat es bisher in
keinem anderen Bundesland gegeben. Richstein wollte keine Zahlen nennen, wie
viele Fälle insgesamt untersucht werden. Sie verwies darauf, dass
eingestellte Ermittlungsverfahren gegen Bedienstete derzeit noch bei der
Potsdamer Staatsanwaltschaft gesammelt würden. Nach Tagesspiegel-Recherchen
geht es um einige hundert Verfahren, die neu aufgerollt werden. Richstein
bestätigte, dass die Überprüfung “das Thema” in Brandenburgs Haftanstalten
sei.
Nach Angaben der Ministerin gibt es inzwischen neue Anzeigen von Gefangenen,
“die ernst genommen und ebenfalls geprüft werden”. Richstein bestätigte
auch, dass es wegen der von ihr verfügten Maßnahmen zu einer gewissen
Unsicherheit unter Bediensteten gekommen sei. Sie befürchten, dass ihnen
auch aus gerechtfertigten Maßnahmen “der Strick gedreht” werden könne. Die
Ausweitung der Überprüfungen sei dennoch richtig, sagte Richstein. Nur so
könnten die Spekulationen über “Rollkommandos” und “Prügelorgien”, für die
es bisher keine Beweise gebe, beendet werden.