So hatte sich das Anmelder des PEGIDA-Ablegers Christian Müller wohl wieder nicht vorgestellt. Ein weiteres mal wollten ca. 200 Rassist_innen und Neonazis durch Potsdam laufen — und ein weiteres Mal wurden sie durch über 1500 Menschen daran gehindert.
Bereits am gestrigen Abend besetzte die Polizei mit Einsatzfahrzeugen den Hauptbahnhof und vor allem die Innenstadt. “Hamburger Gitter” wurden aufgebaut, Hundestaffeln eingesetzt und Räumpanzer sowie Wasserwerfer aus Hamburg aufgefahren. Mit allen Mitteln wollte die Polizei den rassistischen Aufmarsch durchsetzen. Völlig realitätsferne Medienberichte über eine “verwüstete Innenstadt” sorgten für die Legitimation überzogener Polizeipräsenz. Zu dem Szenario -“Die Innenstadt wird einer Festung gleichen”- kam es nur teilweise. Um das Glasflaschenverbot auf dem Bassinplatz durchzusetzen wurden Taschenkontrollen bei Personen, die sich der städtischen Gegenkundgebung anschließen wollten, gemacht. Plastikflaschen sollten ebenfalls abgegeben werden. Die vorgesehene Route durch die Gutenbergstraße über die Humboldtbrücke durch Zentrum Ost war zwar, besonders in der Innenstadt, massiv abgeschirmt. Dennoch schafften es Gegendemonstrant_innen in Kleingruppen an und auf die Route zu gelangen. Die Polizist_innen beantworteten diese Blockadeversuche mit überzogener Gewalt und prügelten die Leute wieder in die Nebenstraßen.
Insbesondere um die Brandenburger Straße herum konnten Neonazigruppen vor bzw. nach der Kundgebung unbehelligt agieren. Währenddessen versuchten Zivilpolizist_innen offenbar in der Friedrich-Ebert-Straße und in der Jägerstraße eine Falle zu stellen. Aus einem silbernem Toyota tönte laut Neonazi-Musik und der Fahrer las ein Buch mit nazistischen Inhalten. Mit wenig Abstand standen zwei weitere Zivil-Fahrzeuge mit getarnten Polizist_innen, die wohl im Falle einer Auseinandersetzung von Antifaschist_innen mit dem “Naziauto” Festnahmen hätten tätigen sollen.
Von den angemeldeten 1000 “besorgten Bürgern” trafen nur maximal 200 am Bassinplatz ein. Es ist davon auszugehen, dass der Anmelder Christian Müller bewusst falsche Informationen in den Medien und gegenüber der Polizei streute um eine größere mediale Aufmerksamkeit zu erlangen und um die Demonstration — im Gegensatz zur letzten Woche — erfolgreich durchführen zu können . Durch die Menge an Gegendemonstrant_innen und deren entschlossenem Agieren konnte die Polizei jedoch zum zweiten Mal die Sicherheit der “Pogida”-Demonstration nicht gewährleisten und untersagte den “Abendspaziergang”. Dazu beigetragen hat auch das aggressive Auftreten von einem Teil der “Pogida”-Versammlung, der sich aus Hooligans und Neonazischlägern zusammensetzte. Diese provozierten wiederholt Gegendemonstrant_innen und versuchten den Polizeikessel zu durchbrechen. Nachdem Müller in Absprache mit der Polizei seine Versammlung auflöste, strömten mehrere Neonazi-Hool-Gruppen in die Potsdamer Innenstadt. Im Zuge dessen kam es zu mehreren Angriffen auf Antifaschist_innen.
Polizeigewalt den ganzen Abend über — Angriff auf antifaschistischen Jugendlichen
Der Abend war, wie schon in der vergangenen Woche, geprägt von Polizeigewalt. Unzählige Male wurde ohne Vorwarnung und wahllos Pfefferspray eingesetzt, Menschen wurden verprügelt und getreten, der Einsatz von Wasserwerfern stand kurz bevor. In der Innenstadt griffen Zivilpolizist_innen zusammen mit Neonazi-Hools antifaschistische Demonstrant_innen an und Beamt_innen der Bereitschaftspolizei schützten nicht etwa junge Antifaschist_innen vor neonazistischen Übergriffen sondern traktierten diese zusätzlich mit Pfefferspray und Schlagstöcken. Im Hauptbahnhof vor dem Kino “UCI” schlugen und traten Polizist_innen massiv auf einen antifaschistischen Jugendlichen ein. Sie drängten ihn alleine in eine Ecke und schlugen ihm ins Gesicht. Als er zu Boden ging traktierten sie ihn weiter, traten und schlugen ihn auf den Rücken und den Kopf. Der Jugendliche wurde im Kopfbereich schwer verletzt und ist in einem Potsdamer Krankenhaus mit Verdacht auf einen Schädelbruch stationär aufgenommen. Ein weiterer Gegendemonstrant erlitt nach einem brutalem Polizeieinsatz so schwere Verletzungen, dass er ebenfalls in der Notaufnahme des Klinikums behandelt werden musste.
Wir schätzen den heutigen Abend erneut als vollen Erfolg ein. Trotz überzogener Polizeigewalt ist es auch heute nicht gelungen, eine rassistische Demonstration in Potsdam durchzuführen. Über 1.500 Menschen zeigten, dass Rassismus in Potsdam keinen Platz hat und überließen den Neonazis keinen Meter. Zum wiederholten Male zeigte sich, dass einfach “Farbe bekennen” nicht die Auflösung von rassistischen Demonstrationen zur Folge hat, sondern antifaschistische Intervention in der gesamten Stadt dazu führten die “Sicherheitslage” des “Abendspaziergangs” zu entkräften. Damit das auch so bleibt, werden wir auch in Zukunft alle uns zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, rassistischer Hetze Einhalt zu gebieten.
Solidarische Grüße möchten wir nach Jena und in alle anderen Städte schicken, in denen sich Antirassist_innen heute der AFD und anderen Rassist_innen in den Weg gestellt haben und deren Demonstration erfolgreich verhindern konnten.
Ihre nächste Versammlung hat “Pogida” für den nächsten Mittwoch, den 27. Januar, angekündigt. Das ist der Jahrestag der Befreiung Auschwitz durch die Rote Armee. Unsere Wut und Entschlossenheit wird sich an diesem Tag nur umso stärker auf der Straße widerspiegeln. Kein Fußbreit den Faschist_innen und Rassist_innen!
Auch diesen Freitag, den 22. Januar, gilt es außerdem auf die Straße zu gehen und zu intervenieren, wenn die “besorgte Mitte” in Form der AFD ihren plumpen Versuch mit Rassismus gegen Sexismus zu polemisieren. Kommt zu den Gegenprotesten! Aktuelle Informationen gibt es auf inforiot.de und bei Twitter @TickerPotsdam.
Falls ihr Betroffene von Repression geworden seid, meldet euch bei der Potsdamer Ortsgruppe der Roten Hilfe.
Kein Mensch ist illegal!
Antirassismus ist auch Handarbeit!