(BM, 17.5., Jürgen Schol) Potsdam — Der Streit zwischen zwei Politikern aus SPD und CDU über das Wort
“Kinderlandverschickung” hat sich über das Wochenende zum handfesten Krach
aufgeschaukelt. Seinen Anfang hatte der Streit Ende vergangener Woche
genommen. Da bezeichnete der CDU-Politiker Christian Ehler mit dem Begriff
die Praxis der Potsdamer Landesregierungen vor 1999, solche Beamte für den
Dienst bei der EU in Brüssel auszuwählen, von deren Kompetenz Ehler offenbar
nicht besonders viel hält.
Der Hennigsdorfer aus Bayern ist Landstagsabgeordneter, Mitglied im
Landesvorstand seiner Partei und jetzt vor allem deren Spitzenkandidat für
die Europawahl. Aus dieser Position heraus kritisiert er die nach seiner
Ansicht bestehende “Plan- und Ziellosigkeit der SPD-Europapolitik”. In
diesem Kontext fiel auch das Wort “Kinderlandverschickung”.
Daraufhin schaltete sich der SPD-Fraktionssprecher im Landtag, Ingo Decker,
mit einer scharfen Rüge ein:
Ehlers Wortwahl sei “unverschämt und stillos, vom Niveau her unterirdisch”,
ein “politischer Ausraster”. Denn unter den Nationalsozialisten habe die
Kinderlandverschickung nicht nur dazu gedient, Kinder während des
Bombenkrieges in Sicherheit zu bringen, sondern auch im Sinne des Regimes zu
indoktrinieren. Ehler müsse “die Sache in Ordnung bringen” und diesen
Begriff aus dem Nazi-Vokabular zurückzunehmen. Außerdem verlangt Decker vom
Europaministerium Auskunft, ob es die gleiche Meinung wie Ehler vertritt.
Ressortchefin ist Barbara Richstein von der CDU.
Gestern ließ Ehler über seinen Sprecher Uwe Alschner seine Deutung des
Begriffs verbreiten. Der Ausdruck Kinderlandverschickung “gehört heute
umgangssprachlich als Synonym für sinnlose Versetzungsmaßnahmen ebenso zum
Sprachgebrauch wie der in der NS-Zeit ebenfalls instrumentalisierte Begriff
Volkswagen, der heute ein Markenzeichen deutscher Automobilkunst ist.”
Ferner schrieb Alschner, dass jeder, der Ehler kenne, wisse, dass ihm
“jegliche Form von Extremismus und Deutschtümelei fremd und zuwider” sei.
Anstatt sich in “ehrabschneidenden Vorwürfen zu ergehen”, solle die SPD ihre
Energie darauf verwenden, sich für die klammen Kommunen einzusetzen. In den
Vorwürfen erkennt Ehler den Versuch, ihn oder die Landes-CDU “in die rechte
Ecke” zu drängen.
Den pikanten Hintergrund für die konträre Interpretation des Begriffs bildet
das Fairnessabkommen für die Wahlkampfzeit in Brandenburg. Die Parteichefs
von SPD, CDU, PDS, FDP und Grünen haben sich dabei verpflichtet, persönliche
Verunglimpfungen des politischen Gegners und unlautere Methoden zu
unterlassen.