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Politische Dummheit oder Provokation?

(WSWS, Peter Schwarz)
Manch­mal lässt sich nur schw­er fest­stellen, wo die poli­tis­che Dummheit aufhört und wo die poli­tis­che Pro­voka­tion begin­nt. Der Über­gang ist auf jeden Fall fließend.

Auf der antifaschis­tis­chen Infor­ma­tion­s­seite Infori­ot wurde am 31. Okto­ber ein Artikel veröf­fentlicht, der eine krude Mis­chung aus bei­dem darstellt. Der Artikel trägt die Über­schrift: “World Social­ist Web Site jagt Anti­ras­sistIn­nen!” und ist mit “Bran­den­burg­er Anti­ra” unterze­ich­net. Er beschimpft die World Social­ist Web Site auf übel­ste Weise, weil sie sich gegen die Bemühun­gen des Ver­fas­sungss­chutzes zur Wehr set­zt, die WSWS in eine link­sex­trem­istis­che, gewalt­tätige Ecke zu stellen. 

Der Bran­den­burg­er Ver­fas­sungss­chutz hat­te der WSWS die geistige Urhe­ber­schaft für einen Anschlag auf die Aus­län­der­be­hörde in Frankfurt/Oder vom 16. Sep­tem­ber unter­stellt und dies damit begrün­det, dass am Tatort ein zwei Jahre alter WSWS-Artikel aufge­fun­den wor­den sei, der sich kri­tisch mit der staatlichen Aus­län­der­poli­tik auseinan­der­set­zt. Obwohl dieser Artikel auf nach­weis­lichen Fak­ten beruht und in kein­er Weise zu Gewalt aufruft, behauptete der Ver­fas­sungss­chutz: “Mit solchen Tex­ten ist die Straße zur Straftat gepflastert.” Gegen diese Ver­leum­dung hat sich die WSWS zur Wehr geset­zt und sich dabei auch rechtliche Schritte vor­be­hal­ten. (siehe: Bran­den­burg­er Ver­fas­sungss­chutz ver­leumdet World Social­ist Web Site) 

Der “Antira”-Artikel beze­ich­net nun den Anschlag auf die Aus­län­der­be­hörde als “Aktion unbekan­nter Anti­ras­sistIn­nen” und erk­lärt, die WSWS solle “stolz” darauf sein, “dass sie und ihre the­o­retis­chen Werke für das prak­tis­che Han­deln ander­er ver­ant­wortlich gemacht wer­den”, anstatt sich davon zu distanzieren. 

Im weit­eren beschuldigt der Artikel die WSWS, sie dif­famiere “radikale und mil­i­tante Linke” und habe “eine prak­tis­che Hil­feleis­tung für die Polizei” erbracht, indem sie eigene Recherchen über den Tather­gang anstellte. Er endet mit einem Schwall unflätiger Beschimp­fun­gen, deren Wieder­gabe wir dem Leser hier ers­paren wollen. Der Ver­fass­er will damit zum Aus­druck brin­gen, dass er die WSWS wed­er für sozial­is­tisch, noch für rev­o­lu­tionär oder anti­ras­sis­tisch hält, son­dern als “eine rel­e­vante Gefahr für die linke Szene” betrachtet. 

Linke Poli­tik und Gewalt

Als erstes fällt auf, dass der “Antira”-Autor bei allem wor­tradikalen Geschimpfe gegen den “ras­sis­tis­chen Repres­sion­sap­pa­rat” mit dem Ver­fas­sungss­chutz in ein­er Frage übere­in­stimmt: dass näm­lich linke Poli­tik und die Anwen­dung von Gewalt ein und das­selbe seien. 

Er hält es für selb­stver­ständlich, dass das nächtliche Ein­schla­gen von Fen­ster­scheiben ein Akt des mil­i­tan­ten Anti­ras­sis­mus sei, und bemüht sich gar nicht erst zu erk­lären, wie eine solche Tat dazu beitra­gen soll, Ras­sis­mus und Aus­län­der­feindlichkeit zu bekämpfen. Dabei bleibt völ­lig uner­gründlich, wie das Demolieren von Behör­den­räu­men Aus­län­dern oder Flüchtlin­gen helfen, die aus­län­der­feindliche Poli­tik der Regierung eindäm­men oder die Bevölkerung dage­gen mobil­isieren soll. 

Der­ar­tige Aktio­nen haben nichts mit link­er oder sozial­is­tis­ch­er Poli­tik gemein. Sozial­is­tis­che Poli­tik ist demokratisch — und zwar im ursprünglichen Sinne des Wortes, das “Volk­sh­errschaft” bedeutet. Sie ist bemüht, das poli­tis­che Bewusst­sein der Arbeit­erk­lasse zu entwick­eln und ihr Selb­st­be­wusst­sein zu stärken. Sie strebt danach, die große Mehrheit der Bevölkerung in die Lage zu ver­set­zen, poli­tisch aktiv zu wer­den und ihr Schick­sal in die eige­nen Hände zu nehmen. Aus der Tat in Frankfurt/Oder spricht dage­gen nur Ver­ach­tung für die Mei­n­ung der bre­it­en Bevölkerung, die solchen Van­dale­nak­ten kaum etwas abzugewin­nen ver­mag. Es han­delt sich besten­falls um einen Racheakt poli­tisch kon­fuser Jugendlich­er, schlimm­sten­falls um eine reine Provokation. 

Wenn der “Antira”-Autor die Täter von Frankfurt/Oder als “Rev­o­lu­tionärIn­nen” beze­ich­net, ist das schlichtweg absurd. Rev­o­lu­tio­nen sind große Volks­be­we­gun­gen. Ihr Kennze­ichen ist das selb­ständi­ge Ein­greifen der Massen ins poli­tis­che Geschehen, das son­st das Priv­i­leg ein­er kleinen Elite bleibt. Die Iden­ti­fika­tion rev­o­lu­tionär­er Poli­tik mit heim­lichen Sab­o­tageak­ten, Schar­mützeln mit der Staats­macht und indi­vidu­ellen Gewalt­tat­en gehört dage­gen ins geistige Arse­nal von Polizei und Geheim­di­en­sten, die hin­ter jed­er oppo­si­tionellen Bewe­gung ein gewalt­sames Kom­plott wittern. 

Lediglich anar­chis­tis­che Kreise haben indi­vidu­elle Gewal­tak­te gele­gentlich als Mit­tel rev­o­lu­tionär­er Poli­tik beze­ich­net. Durch eine spek­takuläre “Pro­pa­gan­da der Tat” woll­ten sie die Massen poli­tisch aufrüt­teln. Bewirkt haben sie stets das Gegen­teil. Ihre Ter­ro­rak­te üben eine läh­mende Wirkung auf die Massen aus, während sie den Herrschen­den die nöti­gen Vor­wände für ver­stärk­te Repres­sion­s­maß­nah­men liefern. 

Marx­is­ten haben der­ar­tige Meth­o­d­en stets abgelehnt. “Im Gegen­satz zu den Anar­chis­ten und im direk­ten Kampf gegen sie”, schrieb Leo Trotz­ki schon 1911, “lehnt die Sozialdemokratie alle Meth­o­d­en und Mit­tel ab, die zum Ziel haben, kün­stlich die Entwick­lung der Gesellschaft voranzutreiben und chemis­che Prä­parate an die Stelle der ungenü­gen­den rev­o­lu­tionären Stärke des Pro­le­tari­ats zu setzen.” 

Sozial­is­mus und Demokratie

Die Ver­ach­tung für die Arbeit­erk­lasse paart sich im “Antira”-Artikel mit der Ger­ingschätzung demokratis­ch­er Rechte. Der “Antira”-Autor reagiert mit unver­hohlen­er Feind­schaft auf die Vertei­di­gung demokratis­ch­er Rechte durch die Redak­tion der WSWS. Dass sie das Recht auf Mei­n­ungs­frei­heit ernst nimmt und sich gegen die Ver­leum­dung durch den Ver­fas­sungss­chutz zur Wehr set­zt, wertet er als “Ver­sagen bezüglich ein­er radikalen Staats- und Rechtskritik”. 

Eine mit “lil x‑quadrat” geze­ich­nete Zuschrift an Infori­ot, die ähn­liche Stand­punk­te wie der “Antira”-Artikel ver­tritt, bestre­it­et sog­ar, dass es über­haupt demokratis­che Rechte gibt. “Und let­ztlich ist im Kap­i­tal­is­mus jedes rev­o­lu­tionäre Han­deln straf­bar, auch wenn das die Par­gara­phen im Einzelfall nicht hergeben”, heißt es darin. 

In bei­den Fällen verdeck­en radikale Phrasen über “rev­o­lu­tionäres Han­deln” und “mil­i­tantes Agieren” einen abgrundtiefen Pes­simis­mus. Bei­de Autoren sind fest davon überzeugt, dass der Staat über eine unbeschränk­te Machtvol­lkom­men­heit ver­fügt und über demokratis­che Rechte beliebig ver­fü­gen kann. 

Demokratis­che Rechte sind aber kein staatlich­es Geschenk, das von der Obrigkeit nach Belieben zurückgenom­men wer­den kann. Sie sind — in let­zter Analyse — das Ergeb­nis jahrzehn­te­langer Kämpfe der Arbeit­er­be­we­gung. Die Ein­führung des all­ge­meinen Wahlrechts und ander­er demokratis­ch­er Rechte im Wil­helminis­chen Kaiser­re­ich waren die Folge der poli­tis­chen Arbeit der Sozialdemokratie. Die in der Weimar­er Ver­fas­sung ver­ankerten demokratis­chen Rechte waren ein Zugeständ­nis an die Rev­o­lu­tion von 1918. Und die im Grundge­setz garantierten Rechte ent­standen als Reak­tion auf den Zusam­men­bruch des Nazi-Regimes und die weitver­bre­it­eten antikap­i­tal­is­tis­chen Stim­mungen in der Arbeiterklasse. 

Diese Rechte ger­at­en zwar heute zunehmend unter Beschuss und wer­den von den etablierten Parteien, ein­schließlich der SPD und der Grü­nen, kaum noch vertei­digt. Aber es ist undenkbar, dass sie beseit­igt und durch dik­ta­torische For­men der Herrschaft abgelöst wer­den, ohne dass dies auf mas­siv­en Wider­stand in bre­it­en Teilen der Bevölkerung stößt. Darauf stützt sich eine sozial­is­tis­che Poli­tik. Es ist unmöglich, für sozial­is­tis­che Per­spek­tiv­en einzutreten, ohne die beste­hen­den sozia
len und demokratis­chen Rechte der Arbeit­erk­lasse zu verteidigen. 

Staatliche Pro­voka­tio­nen

Die Ver­ach­tung gegenüber der Arbeit­erk­lasse, die Gle­ichgültigkeit gegenüber demokratis­chen Recht­en und die Überzeu­gung von der All­macht des Staates machen die autonome Szene, für die der “Antira”-Artikel spricht, zum ide­alen Tum­melplatz für staatliche Provokationen. 

Wer jemals beobachtet hat, wie der soge­nan­nte Schwarze Block am Rande von Großdemon­stra­tio­nen auf­taucht, gezielt Scheiben zer­schmettert, Autos demoliert und Brand­sätze wirft, um dann wieder abzu­tauchen, während die Polizei auf friedliche Demon­stra­tionsteil­nehmer ein­prügelt, weiß wovon wir reden. Dabei wurde immer wieder beobachtet, wie ver­mummte Teil­nehmer des Schwarzen Blocks engen Kon­takt zur Polizei unterhielten. 

Wohl am besten doku­men­tiert wurde dies anlässlich des G8-Gipfels in Gen­ua im Juli 2001. Damals hat­ten mehrere Reporter gese­hen und teil­weise gefilmt, wie sich Schläger des Schwarzen Blocks mit der Polizei absprachen, dann unbe­hel­ligt ran­dalierten und so den Vor­wand für Angriffe auf friedliche Demon­stran­ten liefer­ten. Staat­san­wälte fan­den später her­aus, dass die Sicher­heit­skräfte in großem Stile Polizeipro­voka­teure und bekan­nte Recht­sex­trem­is­ten einge­set­zt hat­ten, die als Anar­chis­ten getarnt Hun­derte Schaufen­ster zertrüm­merten und Autos in Brand steckten. 

Die Gren­ze zwis­chen poli­tis­ch­er Dummheit und Pro­voka­tion lässt sich in solchen Fällen, wie schon gesagt, nur schw­er fest­stellen. Aber selb­st dort, wo es eine solche Gren­ze gibt, liegen autonomes Rev­oluzzer­tum und staat­stra­gen­des Han­deln weit näher zusam­men, als man sich das gemein­hin vorstellt. Das beweist die Biografie des bekan­ntesten Steinew­er­fers der Bun­desre­pub­lik, Josch­ka Fischer. 

Zwis­chen Fis­ch­ers rev­o­lu­tionären Kampf­jahren — in denen er sich nicht mit dem Ein­wer­fen von Fen­ster­scheiben beg­nügte, son­dern auch auf Polizis­ten zielte — und sein­er Verei­di­gung zum hes­sis­chen Umwelt­min­is­ter lagen ger­ade zehn Jahre. Inzwis­chen ver­tritt er als ranghöch­ster Diplo­mat und Vizekan­zler den Staat im In- und Aus­land. Fis­ch­ers Werde­gang wird in der Regel als gelun­gene Wand­lung vom Saulus zum Paulus inter­pretiert. Doch von sein­er Mit­glied­schaft in der Gruppe “Rev­o­lu­tionär­er Kampf” zum Auf­stieg in höch­ste Regierungsämter zieht sich auch ein durchge­hen­der rot­er Faden — seine Feind­schaft und Ver­ach­tung gegenüber der Arbeiterklasse 

Der Anschlag in Frankfurt/Oder

Die Redak­tion der WSWS hat als direkt Betrof­fene größtes Inter­esse an der Aufk­lärung der Hin­ter­gründe des Anschlags auf die Aus­län­der­be­hörde in Frankfurt/Oder. Das einzige bemerkenswerte Ergeb­nis dieses Anschlags war bish­er der Angriff des Bran­den­burg­er Ver­fas­sungss­chutzes auf die WSWS

Während die polizeilichen und staat­san­waltschaftlichen Ermit­tlun­gen auch nach zweiein­halb Monat­en zu keinem Ergeb­nis geführt haben, ließ der Ver­fas­sungss­chutz keine Zeit ver­stre­ichen, um die WSWS der geisti­gen Urhe­ber­schaft zu bezichti­gen. Die Fra­gen, wer den zwei Jahre alten WSWS-Artikel am Tatort deponiert hat, ob Ver­fas­sungss­chutz und Polizei mehr wis­sen, als sie zugeben, und ob staatliche Stellen ihre Hand dabei im Spiel hat­ten, mussten daher gestellt wer­den und stellen sich auch weiterhin. 

Die Unter­stel­lung des “Antira”-Artikels, die WSWS jage und denun­ziere Anti­ras­sistIn­nen, indem sie eigene Nach­forschun­gen über die Hin­ter­gründe anstelle, ist grotesk. Mit der­sel­ben Begrün­dung kön­nte man sämtlichen Jour­nal­is­ten, Bürg­er­recht­sor­gan­i­sa­tio­nen und Anwäl­ten, die die Hin­ter­gründe der Ereignisse von Gen­ua vom Juli 2001 unter­sucht haben, vor­w­er­fen, sie “jagten” Glob­al­isierungs­geg­n­er. Tat­säch­lich haben sie das Aus­maß der staatlichen Pro­voka­tio­nen der­art gründlich aufgedeckt, dass sich schließlich auch die Staat­san­waltschaft zum Han­deln gezwun­gen sah. 

Die Redak­tion der WSWS weiß nicht, wer für den Anschlag in Frankfurt/Oder ver­ant­wortlich ist, und kann nicht auss­chließen, dass es sich um das Werk poli­tisch fehlgeleit­eter Jugendlich­er han­delt, die sich ein­bilden, auf diese Weise gegen Aus­län­der­feindlichkeit und Ras­sis­mus zu kämpfen. Aber sollte dies der Fall sein, dann trägt nicht die WSWS, son­dern der “Antira”-Autor die Ver­ant­wor­tung dafür, wenn sie in Schwierigkeit­en mit Polizei und Jus­tiz ger­at­en. Sein Artikel ist in höch­stem Grade ver­ant­wor­tungs­los. Er vertei­digt und recht­fer­tigt Aktio­nen, die poli­tisch dumm und sinn­los sind und poli­tisch naive Jugendliche in eine Falle lock­en, in der sie mit Leichtigkeit krim­i­nal­isiert wer­den können.

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