Kategorien
Uncategorized

Polizei schützte Gedenken an die Täter

1300 Neon­azis marschierten zum Sol­daten­fried­hof in Halbe. Antifaschis­tis­che Proteste unterbunden

Anläßlich des »Volk­strauertages« kon­nten am Sonnabend rund 1300 Neon­azis aus dem Kam­er­ad­schaftsspek­trum nahezu ungestört vor dem Kriegs­gräber-Fried­hof im bran­den­bur­gis­chen Halbe auf­marschieren. Damit ver­dop­pelte sich die Teil­nehmerzahl im Ver­gle­ich zum Vor­jahr nahezu. Das soge­nan­nte Heldenge­denken in Halbe, organ­isiert unter der Fed­er­führung des Ham­burg­er Neon­azis Chris­t­ian Worch, hat sich nach dem Heß-Marsch in Wun­siedel als zweit­größte jährliche Ver­anstal­tung, auf der Nazi-Ver­brechen geleugnet oder ver­her­rlicht wer­den, durchge­set­zt. Bei Halbe hat­te das Hitler­regime noch Ende April 1945 Zehn­tausende Sol­dat­en in eine sinnlose Schlacht geschickt. 

Die 1600 Polizis­ten, die im nur 1300 Ein­wohn­er zäh­len­den Halbe im Ein­satz waren, beschränk­ten sich darauf, einen rei­bungslosen Ablauf der Naziver­anstal­tung zu gewährleis­ten. Die etwa 700 Gegen­demon­stran­ten wur­den auf ein­er von der PDS angemelde­ten Kundge­bung am Hal­ber Bahn­hof abseits des Geschehens fest­ge­set­zt. Busse aus Berlin wur­den stun­den­lang mit faden­scheini­gen Begrün­dun­gen von der Polizei aufge­hal­ten und kamen so erst ver­spätet in Halbe an. 

Das polizeiliche Ver­bot des Auf­marsches am Sonnabend war vor dem Ver­wal­tungs­gericht in Frankfurt/Oder gescheit­ert und auch die Nutzung des Fried­hofsvor­platzes für eine Kundge­bung war von den Recht­en juris­tisch durchge­set­zt wor­den. Dort sprach nach ein­er Kranznieder­legung der »freie Nation­al­ist« Ralf Tegeth­off. Die Sol­dat­en der Roten Armee seien »Feinde mit men­schlichem Antlitz« gewe­sen, het­zte der Neon­azi. Sie seien in Deutsch­land einge­fall­en und hät­ten dabei »Kinder verge­waltigt, Frauen ver­bran­nt, Priester an ihre Kirchen genagelt«. Die Deutschen hinge­gen hät­ten helden­haft gekämpft und let­ztlich gesiegt – »ohne den Kampf von Halbe hät­ten die Bolschewis­ten ganz Europa unter­jochen können«. 

Die polizeiliche Bilanz des »Heldenge­denkens«: Die Recht­en haben sich aufla­genge­treu ver­hal­ten und alles blieb friedlich. Nur ein­er wurde wegen Mit­führens »ver­boten­er« Gegen­stände kurzfristig fest­ge­set­zt, zwei Linke wur­den mit gle­ich­lau­t­en­der Begrün­dung bei der Anreise in Gewahrsam genommen. 

Busse beschlagnahmt

Berlin: Antifaschis­ten an Abreise nach Halbe gehin­dert. Neo­faschis­ten durften unbe­hel­ligt von der Polizei Naziver­brechen glorifizieren

Um den über 1300 angereis­ten Neo­faschis­ten im bran­den­bur­gis­chen Halbe ihr »Ehrenge­denken« zu ermöglichen, hat­te die Polizei nicht nur vor Ort alle Hebel in Bewe­gung geset­zt. Bere­its im Vor­feld hat­ten Beamte das Inter­net durch­forstet, um den Medi­en ein Gespenst von bis zu 500 anreisenden gewalt­bere­it­en Autonomen präsen­tieren zu kön­nen. »Verdächtige« Per­so­n­en wur­den von der Polizei im Vor­feld per­sön­lich angeschrieben und dazu aufge­fordert, sich nicht an den Protesten zu beteili­gen. Solche Maß­nah­men waren bish­er fast auss­chließlich bei Protesten der glob­al­isierungskri­tis­chen Bewe­gung ange­wandt wor­den. Das Polizeiprä­sid­i­um Frankfurt/Oder hat­te Berlin sog­ar um »Recht­shil­fe« ersucht mit dem Ziel, von dort anreisende »gewalt­bere­ite Demon­stran­ten« solange wie möglich festzusetzen.
Kein Wun­der also, daß sich am Sam­stag mor­gen bere­its auf dem Berlin­er Rosa-Lux­em­burg-Platz, dem Sam­melpunkt für die Insassen von vier Bussen, chao­tis­che Szene abspiel­ten. Zehn Minuten vor der geplanten Abfahrt­szeit nahm die Polizei die Busse über eine Stunde lang in Beschlag und zwang die Bus­fahrer, die Fahrzeuge zur Durch­suchung fernab vom Sam­melpunkt zu parken. Voll­streck­er dieser Aktion waren die für ihre Bru­tal­ität berüchtigten Berlin­er Beamten der 2. Polizeihundertschaft. 

Am Rosa-Lux­em­burg-Platz postierte Beamte teil­ten den abreisewil­li­gen Antifaschis­ten daraufhin mit, es bestünde inzwis­chen ein Ver­bot der Kundge­bung in Halbe. Mit Sprüchen wie »die Busse kom­men sowieso nicht wieder« wur­den dann Platzver­weise erteilt. Gegen 11 Uhr taucht­en die Busse allerd­ings wieder auf. Nach­dem sich die Fahrgäste ein­er polizeilichen Durch­suchung inklu­sive Per­son­alien­fest­stel­lung und ‑spe­icherung unter­zo­gen hat­ten, durfte es auch los­ge­hen. Die Ankun­ft dieser etwa 150 Demon­stran­ten wurde durch diese und weit­ere Polizeis­chika­nen um über drei Stun­den verzögert. So kon­nten die Berlin­er Teil­nehmer der antifaschis­tis­chen Kundge­bung in Halbe noch ganze zehn Minuten bei­wohnen, bevor diese aufgelöst wurde. Ein Sprech­er der Berlin­er Press­es­telle der Polizei begrün­dete den Ein­satz gegenüber jW lap­i­dar als »umfan­gre­iche Durch­suchung zur Gefahrenabwehr«. 

Die Neo­faschis­ten hat­ten offen­bar weniger Schwierigkeit­en. Sie waren bun­desweit, aber auch aus Öster­re­ich, den Nieder­lan­den und Däne­mark vor­wiegend mit Bussen und Pkw angereist. Der Nazi­auf­marsch set­zte sich am frühen Nach­mit­tag, nach ein­er stun­den­lan­gen Auf­tak­tkundge­bung, ange­führt von den Ham­burg­er Neon­azi­größen Lars Jacob und Chris­t­ian Worch, Rich­tung Sol­daten­fried­hof in Bewe­gung. Nach jW vor­liegen­den Infor­ma­tio­nen sicherten Neon­azikad­er aus Berlin und Bran­den­burg den Auf­marsch organ­isatorisch ab. So taucht­en in der recht­en Ord­nertruppe Andreas Thür­mann von der »Berlin­er Alter­na­tive Süd-Ost« eben­so auf wie der 24jährige Anführer des »Märkischen Heimatschutzes« Gor­don Rein­holz. Auch Oliv­er Schweigert, ehe­ma­liges FAP-Mit­glied und Berlin­er Neo­faschist, zählte zu den Anwesenden. 

Während des Auf­marsches waren Jour­nal­is­ten mehrfach von Ord­nern der Neon­azis an ihrer Arbeit gehin­dert wor­den. Auf dem Vor­platz des Fried­hofes zitierten Neon­azis in ihren Reden unter anderem den Nazipro­pa­gan­damin­is­ter Joseph Goebbels. In einem Flug­blatt wurde ein »Gedenkstein« für SS-Sol­dat­en gefordert und auf Trans­par­enten wur­den in Runen­schrift »die tapfer­en Frontsol­dat­en« glo­ri­fiziert. Die »wahren Ver­brech­er«, so ein Red­ner, seien die »Bestien« der Roten Armee gewe­sen. Die Polizei sah sich in Hin­blick auf die Neon­azis zu keinem Zeit­punkt zum Ein­schre­it­en veranlaßt. 

»Ein trau­riger Tag für die Demokratie«

Aufmärsche wie in Halbe und Wun­siedel spie­len für die rechte Szene eine wichtige Rolle. Ein Gespräch mit Ron­ny Ziller

Ron­ny Ziller ist stel­lvertre­tender Lan­desvor­sitzen­der der Vere­ini­gung der Ver­fol­gten des Naziregimes – Bund der Antifaschistin­nen und Antifaschis­ten, Lan­desvere­ini­gung Berlin e. V. 

F: Am Sam­stag demon­stri­erten 1300 Alt- und Neon­azis durch die bran­den­bur­gis­che Kle­in­stadt Halbe. Die Polizei spricht von einem Erfolg, da es ihr gelun­gen sei Rechte und Linke zu trennen. 

1300 marschierende Nazis sind ein recht zweifel­hafter Erfolg, beson­ders wenn man bedenkt, wie er zus­tande gekom­men ist. Die Ver­samm­lungs­be­hörde hat ver­sucht, jeglichen antifaschis­tis­chen Protest außer Ruf- und Sichtweite der Adres­sat­en zu ver­ban­nen. Nicht nur die Ver­anstal­ter der Gegenkundge­bun­gen, son­dern auch die Öffentlichkeit wur­den bewußt mit falschen Infor­ma­tio­nen getäuscht. Mit dem Her­bei­hal­luzinieren Hun­dert­er »link­er Gewalt­täter« soll­ten die Proteste dif­famiert und völ­lig unver­hält­nis­mäßiges polizeis­taatlich­es Vorge­hen legit­imiert wer­den. Erk­lärtes Ziel der Polizei war es, so wenig Protestierende wie möglich zu den angemelde­ten und genehmigten Ver­anstal­tun­gen nach Halbe zu lassen. Das war ein trau­riger Tag für die Demokratie in Brandenburg. 

F: Nach Aus­sagen von Bran­den­burgs Innen­min­is­ter Jörg Schön­bohm (CDU) ver­hiel­ten sich die Neon­azis »aufla­genge­treu«.

Wenn sich die Aufla­gen darauf beschränke
n, der Öffentlichkeit ein weniger schlimmes Bild neo­faschis­tis­ch­er Aufmärsche zu ver­mit­teln, marschieren Worchs Kam­er­aden auch zahm wie die Läm­mer, nicht zulet­zt in eigen­em Inter­esse, um einem kün­fti­gen Ver­bot solch­er Ver­anstal­tun­gen zu begeg­nen. Allerd­ings würdi­gen die Gerichte die Demon­stra­tionsin­halte nicht angemessen. Die Gefahr, die von solchen Aufmärschen aus­ge­ht, wird unter­schätzt. Ger­ade jün­geren Neon­azis wird hier ein Opfermythos um die »tapfer kämpfend­en deutschen Sol­dat­en« ver­mit­telt. Das sich an faschis­tis­chen Rit­ualen ori­en­tierende »Heldenge­denken« in Halbe hat eine ähn­lich iden­ditätss­tif­tende Wirkung für die rechte Szene wie das alljährliche »Heß-Gedenken« im bay­erischen Wun­siedel im August. 

F: Halbe – ein neues Wunsiedel? 

Schlim­mer. Mit dem zweit­en Auf­marsch in Folge mit steigen­den Teil­nehmerzahlen hat sich Halbe nach ver­bots­be­d­ingter Pause in den 90er Jahren wieder zu einem Wall­fahrt­sort für die extreme Rechte etabliert. Anders als in Wun­siedel fehlt es hier aber an ein­er bre­it­en Gegenöf­fentlichkeit, die in Wun­siedel vom CSU-Bürg­er­meis­ter bis hin zur autonomen Antifa reicht. Auch tut man sich bei den poli­tisch Ver­ant­wortlichen im Amt Schenken­länd­chen sehr schw­er mit einem würdi­gen Gedenken an die Opfer. Auf dem Wald­fried­hof in Halbe sind neben Ange­höri­gen von Wehrma­cht, Waf­fen-SS und Volkssturm auch 57 Wehrma­chts­de­ser­teure sowie sow­jetis­che Zwangsar­beit­er beige­set­zt. Ein unter­schied­slos­es Gedenken an Opfer und Täter gle­icher­maßen rel­a­tiviert die Nazi- und Kriegsver­brechen. In diesem Sinne ist sich­er auch die Erk­lärung von Rein­hard Führer, Präsi­dent des »Volks­bun­des Deutsche Kriegs­gräber­für­sorge« zu ver­ste­hen, der sich gegen »die Ver­her­rlichung des soge­nan­nten Helden­todes« aussprach. Er sagte weit­er: »Wer dies beab­sichtigt, fällt in die Ter­mi­nolo­gie und Denkweise der­er zurück, die durch ihre ver­ant­wor­tungslose Poli­tik Mil­lio­nen Men­schen in den Krieg und in den Tod getrieben haben«. Genau das haben wir jedoch am Sam­stag in Halbe erlebt. 

F: Wie geht es in der bran­den­bur­gis­chen Stadt nun weiter? 

Zunächst bedür­fen die Vorkomm­nisse in Halbe 2004 ein­er juris­tis­chen und poli­tis­chen Aufar­beitung. Das polizeiliche Vorge­hen gegen Protestierende wird sich­er The­ma im Innenauss­chuß des Pots­damer Land­tages wer­den. Gegen die Aufla­gen für die Protestver­anstal­tun­gen wird weit­er juris­tisch vorge­gan­gen wer­den. Daneben muß endlich eine gesellschaftliche Debat­te über die weit­ere Gestal­tung des Gedenkens auf dem Wald­fried­hof in Halbe stat­tfind­en. Da das Amt Schenken­länd­chen hier kon­se­quent Ver­bände von Opfern des Naziregimes aus­gren­zt, sind kün­ftig weit­erge­hende Ini­tia­tiv­en, auch auf Lan­desebene, notwendig. Ein weit­er­er Punkt ist die Stärkung zivilge­sellschaftlichen Engage­ments gegen rechts, lokale Ini­tia­tiv­en in Bran­den­burg haben derzeit noch zu wenig Ausstrahlung in die Gesellschaft. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Inforiot