Mit überzogener Härte und enormem Verfolgungsdruck wird jedes auch legale Engagement gegen Rechtsextremisten blockiert. Derweil wird die aktive Neonazi-Szene unterschätzt und deren gewalttätiges Auftreten nicht effektiv bekämpft
Berlin / Potsdam – Wie jüngst in verschiedenen Pressemeldungen zu vernehmen war, kam es nach einer Schlägerei zwischen fünf Berliner Neonazis und 15 linksgerichteten Jugendlichen aus Berlin und Potsdam zu zahlreichen Hausdurchsuchungen in Berlin und Potsdam bei den vermeintlichen Tätern aus der linken Szene. Mit einer unglaublichen Brutalität setzte man in Berlin teilweise Sondereinsatzkommandos für die Hausdurchsuchungen ein. Davon betroffen sind mehrere zivilgesellschaftliche Akteure gegen Rechtsextremismus. Als hätte man eine große Schlacht gewonnen, lässt die Polizei verkünden, dass nun auch die linke Szene „komplett lahmgelegt“ sei.
Dies ist nunmehr der zweite schwere Vorfall, indem die Polizei mit unangemessener Härte gegen vermeintliche „linke Gewalttäter“ vorgeht. Die Polizei geht von einer völlig falschen politischen Lage aus: Anstatt sich um die wirklichen Ursachen der gewalttätigen Auseinandersetzungen zu kümmern, die im militanten Rechtsextremismus zu suchen sind, wird ein Konflikt zwischen rechten und linken Extremisten herbeigeredet. Hierfür ist es erforderlich, jedes noch so geringfügige Vergehen von Links künstlich aufzublasen, um ein Bedrohungspotenzial von dieser Seite zu halluzinieren. Bei den beiden bekannten Schlägereien, in denen offensichtlich „Linke“ als Tätergruppe auftraten, wurden den vermeintlichen Opfern keine schweren Verletzungen hinzugefügt. Eine Platzwunde am Kopf genügte der Staatsanwaltschaft beispielsweise, um eine bundesweite Hetzjagd gegen linke Jugendliche zu starten und wegen versuchten Mordes anzuklagen.
Politisch ist diese Reaktion der Ermittlungsbehörden in vielerlei Hinsicht fatal: Durch die übertrieben Kriminalisierung von Bagatellen verunsichert die Polizei auch Akteure, die gewaltfrei gegen Rechtsextremisten agieren. Linke Gruppen schließen deshalb eine Zusammenarbeit mit staatlichen Organen gegen Rechtsextreme fast durchweg aus. Es herrscht ein großes Misstrauen.
Eine Taktik der Neonazis im Bereich ihrer Arbeit gegen den politischen Feind, die so genannten „Anti-Antifa“-Aktivitäten, besteht darin, Linke für kleinere Vergehen anzuzeigen, um an Namen und Adressen der Beschuldigten zu kommen. Die Justiz bedient diese Strategie.
Weniger schwerwiegende Gewalttaten von links werden dramatisiert und generell unter dem Verdacht des versuchten Mordes untersucht. Dies entspricht weder der tatsächlichen noch juristischen Realität. Der Tatbestand des Mordes wird hier überstrapaziert. Es entsteht der Eindruck, dass geringfügige Delikte künstlich durch Ermittlungsbehörden aufgeblasen werden, um die nicht vorhandene Bedrohung für das „demokratisches Gemeinwesen“ von Links plastisch darzustellen.
Die Polizei unterschätzt die Bedrohungslage von Rechts und versucht im Rahmen des staatlichen Gewaltmonopols ein Bedrohungsschema durch Extremisten herbeizureden, ohne auf die konkreten Ursachen ausreichend einzuwirken. „Der offizielle Überblick über rechtsextreme Zusammenhänge entspricht nicht unbedingt den Tatsachen“, so Tamás Blénessy, jüngstes Opfer rechtsextremer Gewalt in Potsdam nach der gestrigen Sitzung des Potsdamer „Beirates zur Umsetzung des Aktionsplanes für Toleranz und Demokratie“ gegenüber der Arbeitsgemeinschaft Antifaschismus.
Die Jagd auf vermeintlich linke Gewalttäter bedient rechtsextreme Denkmuster und führt zu einem Bestärken neonazistischer Gewalt gegen vermeintliche linke Staatsfeinde. Ebenso macht sich ein Teil der Ermittlungsbehörden verdächtig, sich vom beginnenden Bundestagswahlkampf instrumentalisieren zu lassen. Die Klischees und Muster, die von konservativen Politikern, beispielsweise dem brandenburgischen Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) und dem brandenburgischen CDU-Generalsekretär Sven Petke per Pressemitteilung vorgegeben werden, spiegeln sich sowohl in den Meldungen als auch Aktionen der staatlichen Repressionsorgane wieder. Die Unabhängigkeit der Justiz – ein wesentliches Fundament demokratischer Gesellschaften – läuft Gefahr, ausgehöhlt zu werden und zum Spielball machtpolitischer Interessen zu werden.
Die Arbeitsgemeinschaft Antifaschismus ruft daher die Ermittlungsbehörden auf, besonnen auf die Vorkommnisse zu reagieren und sich auf die wirkliche Bedrohung eines sicheren Zusammenlebens, einen neu erstarkten Rechtsextremismus subkultureller Prägung in Berlin und Potsdam zu konzentrieren sowie gewaltfreies und notwendiges Engagement gegen Rechts nicht durch überzogene Maßnahmen zu behindern.
Die staatlichen Organe haben keinerlei Monopol auf antifaschistische Aktivitäten, sondern sollten zunehmend auf eine Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren setzen, anstatt diese durch Repressionsmaßnahmen vollständig zu behindern. Zurzeit sorgen die Ermittler dafür, dass linksalternative Jugendliche ein enormes und berechtigtes Misstrauen gegen staatliche Stellen entwickeln. Ein solches Verhältnis behindert den Kampf gegen Rechtsextremismus und ist damit Wasser auf die Mühlen der Neonazis.