(LR, 23.2.) Das Sondereinsatzkommando (SEK) rückt an, wenn es gilt, gefährliche
Straftäter festzunehmen. Im November 2002 sollen die maskierten Spezialisten
jedoch ungerechtfertigt einen Spremberger brutal überwältigt und dabei
verletzt haben. Zwei Kriminalbeamte, die den Einsatz auslösten, stehen
deshalb seit gestern als Angeklagte vor dem Cottbuser Amtsgericht. Der
Vorwurf gegen sie: Freiheitsberaubung und Körperverletzung im Amt.
Es ist ein Nachmittag Ende November 2002 als die Kassiererin einer
Tankstelle in Spremberg ihren Augen nicht traut. Maskierte umstellen
plötzlich einen Mann, der gerade Benzin zapft. Wenige Augenblicke später
liegt Jens P. am Boden. “Ich habe mich furchtbar erschrocken. Ich dachte,
das ist ein Überfall, die rauben den aus” , erzählte die Kassiererin gestern
als Zeugin vor dem Cottbuser Amtsgericht. Sie habe deshalb sofort über 110
die Polizei gerufen. Die war jedoch schon da. Die maskierten Männer, die von
der Kassiererin für Kriminelle gehalten wurden, waren Angehörige des
Brandenburger Sondereinsatzkommandos (SEK).
Verbindung zur Rockerszene
Hintergrund des SEK-Einsatzes war ein bizarrer und möglicherweise auch mit
Gewaltandrohung geführter Streit um einen Hund, in den Jens P. und sein
Freund Steffen R., genannt “Eisen” , maßgeblich verwickelt waren. Beiden
Sprembergern werden Verbindungen zum Motorrad-Club “Gremium” nachgesagt.
Mitglieder dieses in ganz Deutschland, Polen und Griechenland agierenden Ro
ckerclubs stehen immer wieder im Verdacht, in Rauschgift- und Waffenhandel
verstrickt zu sein und sich als Schuldeneintreiber zu betätigen. Sie sollen
auch Kontakte zur rechtsradikalen Szene haben. Vor einem Jahr löste die
Polizei in Spremberg auf dem Clubgelände des MC “Gremium” ein Rockertreffen
auf und beschlagnahmte Rauschgift, Messer und eine Schreckschusspistole.
Dementsprechend fiel die Begründung aus, mit der die jetzt angeklagten
Cottbuser Beamten über das Polizeipräsidium in Frankfurt (Oder) im November
2002 das SEK anforderten. Es sei um eine Festnahme wegen räuberischer
Erpressung gegangen, die Verdächtigen galten als gewaltbereit und
möglicherweise bewaffnet, schilderte der damals in Frankfurt Dienst habende
Kriminalrat die ihm vorgelegten Informationen. Das habe ausgereicht, um beim
Landeskriminalamt die Spezialisten zu bestellen.
Dass die Staatsanwaltschaft Cottbus zu diesem Zeitpunkt nicht von einer
räuberischen Erpressung, sondern eventuell nur von einer Nötigung ausging,
wusste er nicht. “Bei einer Nötigung oder Bedrohung hätten wir aber auch
nicht anders gehandelt” , versichert der Kriminalrat.
Ausgelöst hatte die ganze Polizeiaktion ein Hund, der in Spremberg mehrmals
den Besitzer wechselte. Die Odyssee des Boxermischlings begann damit, dass
der ursprüngliche Besitzer, Rene V., den Vierbeiner an einen Mann abgab, der
kurz darauf ins Gefängnis musste. So kam der Hund zu einer Gastwirtin. Aus
deren Kneipe nahm ihn eines Tages die damalige Freundin von Rene V. einfach
wieder mit zum früherer Eigentümer. Der verkaufte den Hund erneut weiter.
Hund oder Geld
Die Gastwirtin soll dann Steffen R., alias “Eisen” , beauftragt haben, den
entwendeten Hund zurückzuholen. Vor Gericht sagt die 33-Jährige jedoch, ein
richtiger Auftrag sei das nicht gewesen “Der sollte sich nur mal umgucken” ,
wiegelt sie ab. Doch “Eisen” nahm die Sache gleich in die Hand. Er habe Rene
V. angerufen und beschimpft, aber nicht bedroht, versichert der 38-Jährige:
“Der hat von alleine angeboten, die 400 Euro Erlös für den Hund
herauszugeben.” Möglicherweise, so räumt er ein, habe Rene V. vor ihm aber
auch ohne Drohung Angst gehabt.
Das kann man sich leicht vorstellen. Steffen R. ist wie sein vom SEK
überwältigter Freund Jens P. muskelbepackt und kahlköpfig. Nur ein schmaler,
wenige Millimeter hoher Haarstreifen zieht sich in der Mitte über seinen
Schädel. Sein schwarzes Kapuzen-Sweatshirt spannt über Schultern und
Oberarmen. Auf dem kräftigen Hals zieht sich eine Tätowierung bis unter das
Ohr empor. Nach der Übergabe der ersten Hunderate an “Eisen” war Rene V. zur
Polizei gegangen und hatte Anzeige erstattet.
Von den Verteidigerinnen der beiden angeklagten Polizisten zu seinen
Vorstrafen befragt, wird “Eisen” einsilbig. Mit zehn Kilogramm Haschisch sei
er mal erwischt worden, sagt er, das sei aber schon lange her. Auch eine
Körperverletzung habe es gegeben, später noch andere Ermittlungsverfahren,
aber keine Verurteilung. “Da waren mehr Sachen ohne Gewalt als mit” , fasst
er zusammen.
Auch gegen Jens P. gab es Ermittlungen, die eingestellt wurden. Eine
Vorstrafe wegen Körperverletzung ist aktenkundig. Nur aus Gefälligkeit für
seinen Freund “Eisen” will er im November 2002 zu einer Tankstelle gefahren
sein, um dort die zweite Rate für die Hundebezahlung in Empfang zu nehmen.
Gegen die SEK-Beamten, die ihn kurz danach an einer anderen Tankstelle in
der Stadt festnahmen, erhebt er schwere Vorwürfe.
Schläge und Tritte
Mit Sturmhauben über dem Kopf und vorgehaltenen Pistolen seien sie auf ihn
zugestürzt und hätten ihn sofort, ohne eine Information, worum es ginge, zu
Boden geworfen. Er schildert Schläge ins Gesicht, Schläge und Tritte in den
Rücken. “Ich wurde gefesselt und geknebelt, Schuhe und Strümpfe wurden mir
ausgezogen, Pullover und Jacke über den Kopf gestülpt, sodass ich nichts
mehr sehen konnte” , beschreibt er die Festnahme. In dieser Lage habe er
trotz des kalten Novemberwetters mindestens eine halbe Stunde auf der Erde
gelegen, bevor er in den Polizeigewahrsam nach Cottbus abtransportiert
wurde. Erst spät am Abend wurde er wieder auf freien Fuß gesetzt. Lippe und
Kinn seien aufgeplatzt gewesen, das linke Auge geschwollen und auf einem Ohr
habe er zeitweise nichts mehr gehört, klagt Jens P. vor Gericht. Zwei Wochen
sei er deshalb krank gewesen.
Haftbefehl abgelehnt
Die Anklage gegen die beiden Kriminalbeamten stützt sich vor allem darauf,
dass einer der beiden am Tag des SEK-Einsatzes früh vergeblich bei der
Cottbuser Staatsanwaltschaft versucht hatte, Haftbefehle wegen räuberischer
Erpressung gegen Jens P. und Steffen R. zu bekommen. Die zuständige
Staatsanwältin lehnte das ab. Die angeklagten Polizisten ließen Jens K.
trotzdem kurz darauf durch das SEK festnehmen.
Was sie dazu bewogen hat, wollten sie vor dem Cottbuser Amtsgericht aus
Gründen polizeilicher Geheimhaltung nur hinter verschlossenen Türen
erzählen. Auch der Leiter des SEK-Einsatzes berichtete nur unter Ausschluss
der Öffentlichkeit, was sich an der Spremberger Tankstelle abgespielt hat.
Am kommenden Mittwoch werden weitere Zeugen aussagen. Darunter wird auch die
Cottbuser Staatsanwältin sein, die der Polizei die gewünschten Haftbefehle
verweigerte.