Potsdam — Das Jahr 2013 steckt noch in den Startlöchern, da stehen schon Bands der Grauzone bereit um mit ihrem reaktionären Pathos das Publikum zu unterhalten. Im studentischen Nil-Klub am Neuen Palais findet am 5. Januar das jährliche Konzert der Band „Blutiger Osten“ statt. Seit 2009 treten die Musiker mit wechselnden Bands zum Jahresstart dort auf, dieses Jahr mit „High Society“ aus Dresden und „Quitschbois“ aus Lehnin.
In den letzten Jahren hat sich die Problematik um die Grauzone immens verschärft. Früher war es der Anspruch jeder akzeptierten Punk/Skinhead Band, sich klar von neonazistischem Gedankengut und Personenzusammenhängen zu distanzieren und sich gegen eine Aufweichung der Ablehnung eben dieser einzusetzen. Mittlerweile gehört es leider zum guten Ton der unpolitischen Musik-Szene „Linksfaschisten“ mit Neonazis gleichzusetzen und auf das Label Grauzone stolz zu sein. Fehlendes Problembewusstsein und persönliche Verstrickungen beflügeln den Trend, konservative und anti-emanzipatorische Inhalte unter dem Deckmantel der systemkritischen Rebellen wieder salonfähig zumachen. Gerade bei jüngeren Menschen führt das dazu, dass Parolen und Texte ohne Hinterfragen aufgesogen und unreflektiert wiedergegeben werden. Wo früher der Kampf gegen das System, Bullen oder Nazis an erster Stelle in Songtexten standen, sind diese Themen mittlerweile dem Saufen, der Heimatliebe oder dem „Wir-gegen-den-Rest“ gewichen. Wichtig dabei ist, nicht die Grenzen zu verwischen, wie es eben diese Bands tun. Die Grauzone hat im Allgemeinen wenig mit Neonazis am Hut. So sind auch die erneuten Beteuerungen im Vorfeld des Konzerts im Nil-Klub „Wir sind keine Rechte- oder Rechtsoffene Band. Wir sind keine Rassisten, Antisemiten, wir sind nicht homophob und keine Sexisten.“ ernstzunehmen. Weder die Musiker der Bands sollen als Neonazis abgestempelt werden, noch Konzertveranstalter. Jedoch ziehen solche Bands vermehrt Neonazis als Konzertgäste an und untergraben gesetzte emanzipatorische Positionen. Mehr Infos zur Grauzone
Bereits im April letzten Jahres gaben sich die Grauzonen-Combos „9mm“ und „Kärbholz“ im Waschhaus „die Ehre“. Kritik und Warnungen Potsdamer Antifaschist_innen wurden nicht für voll genommen und das Konzert durchgeführt. Im Nachhinein berichtete die Presse über Neonazis im Publikum, eine Person, die den Hitlergruß zeigte und einschlägige Nazi-Symboliken an Kleidung und Fahrzeugen der Konzertgäste. Im Oktober verhielt sich der Lindenpark konsequent, als nach bekannt gewordenen Vorwürfen gegen die Band „Krawallbrüder“ kurzer Hand das Konzert abgesagt wurde. Die Band verlegte das Konzert nach Berlin und hatte auch dort Schwierigkeiten einen Auftrittsort zu finden.
Hauptkritikpunkt des kommenden Konzerts ist die Band „High Society“. Die Band spielte im März 2007 mit den RAC-Bands „Discharger“ und „Glory Boys“ im thüringischen Rechtsrock-Laden „Skinhouse Menfis“[Abb. 1]. Dort geben sich regelmäßig unter anderem die Neonazi-Hooligan Band „Kategorie C“, die Naziband „Endstufe“, die Rechtsrockband „Bakers Dozen“ aber auch weitere Grauzonenbands wie „Schusterjungs“, „Last Riot“ oder „Bombecks“ die Klinke in die Hand. Auch in den Jahren danach scheint die Band nicht geläutert und tritt weiterhin in dubiosen Locations und mit strittigen Bands auf. Im September 2010 spielte sie im „Drums Weimar“, einem rechtslastigen Schuppen der „Bootboys Weimar“, der zeitweise als Ersatz für das „Skinhouse“ diente. Auch dort traten RAC- und Rechtsrockbands wie „Booze & Glory“ oder „The Corps“ auf. Für die Konzertpolitik beispielhaft ist ein gemeinsames Konzert im Mai 2012 in Chemnitz mit den Grauzonenbands „Stomper 98“ und „Gumbles“, die auch gerne mal auf Antifas einprügeln.
Nachdem der Nil-Klub auf die Vorwürfe aufmerksam gemacht wurde, blieb die Distanzierung von „High Society“ leider aus. In einer kurzen Stellungnahme schreibt der Nil-Klub: „Zu der Zeit als die Band [im „Skinhouse“] aufgetreten ist, befand sich der Laden wohl gerade in einem Umbruch. Es war vorher ein reiner Punkladen und die Entscheidung dort aufzutreten haben sie bewusst getroffen um darauf aufmerksam zu machen, dass der Laden immer mehr abdriftet.“ Zu dem Zeitpunkt des Auftrittes 2007 hatte dort aber bereits im Dezember 2006 die Neonaziband „Kategorie C“ gespielt, was sich nachweislich auf der Website des „Skinhouse Menfis“ finden lässt. Daher ist die Aussage einem „Umbruch“ entgegenzuwirken unverständlich bis absurd, da dieser augenscheinlich bereits stattgefunden hatte. Weiter schreibt der Nil: „[Die Bandmitglieder von „High Society“] haben sich bei dem Konzert [im „Skinhouse“] klar von der rechten Szene distanziert und wollten eigentlich ein Zeichen setzen.“ Eine Distanzierung von der rechten Szene ist immer begrüßenswert. Jedoch kann sie nicht ernst genommen werden, wenn bei dem Konzert „High Society“ mit den RAC-Bands „Discharger“ und „Glory Boys“ auf der Bühne steht. Als letzter Punkt wird das vermeintlich progressive Label „Contra-Records“ als Argumentationspunkt angeführt: „[…]auch das Label bei welchem sie unter Vertrag stehen, steht unter dem Motto „love music – hate racism“. Dass bei „Contra Records“ Antirassismus groß geschrieben wird, möchten wir an dieser Stelle nicht dementieren, jedoch bewegt sich auch dieses Label im Sumpf der Grauzone und veranstaltete erst Anfang Dezember die Record-Release-Show der einschlägigen Szene-Band „Stomper 98“ mit und auch weitere Grauzonenbands, wie „On the Job“, veröffentlichen auf diesem Label.
Hinter dem brachialen Namen der gastgebenden Band „Blutiger Osten“ stecken sechs Punkrocker aus Brandenburg an der Havel, die regelmäßig Konzerte in und um Potsdam geben und hauptsächlich in den neuen Bundesländern auftreten. Im September 2010 traten sie noch unter dem Motto „Fuck off Grauzone“ in Chemnitz auf. In letzter Zeit kommt es jedoch vermehrt vor, dass auch mit umstrittenen Bands wie „Pöbel und Gesocks“ oder „OHL“(Oberste Heeres Leitung) zusammen gespielt wird. Nach dem Konzert mit letzterer Band im Oktober[Abb. 2] äußerte sich die Band auf Facebook belustigt über die Erwähnung in dem bekannten Grauzone-Watchblog „OireSzene“. Auf die ironische Frage, ob „Blutiger Osten“ denn überhaupt noch mit Grauzonencombos zusammenspielen wollte, antworteten die Musiker scherzhaft: „Da wir alle in der Band ein Augenleiden, dem grauen Star zum Opfer gefallen sind können wir darüber hinwegsehen“[Fehler im Original]. Genau dieser Umgang mit Kritik ist der Nährboden für die voranschreitende Aufweichung progressiver Normen und Werte einer alternativen Subkultur.
Wir fordern, dass die Band „High Society“ von dem Konzert ausgeladen wird und der Nil-Klub sowie die Band „Blutiger Osten“ eindeutig gegen die Grauzone Stellung bezieht!