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Potzlow: Das Schweigen am Tatort

POTZLOW Die kleine Gemeinde Pot­zlow in der Uck­er­mark denkt um: Zwei Wochen nach dem Fund der Leiche des 17-jähri­gen Mar­i­nus Schöberl in der Jauchegrube des ehe­ma­li­gen Schweinestalls hän­gen nun Zettel am Ort­sein­gang und in den Schaukästen, auf denen tiefe Trauer bekun­det wird über den Tod des Jugendlichen aus Ger­swalde, der von „Recht­sex­tremen bes­tialisch ermordet“ wor­den sei. Zuvor hat­ten sich viele der 560 Ein­wohn­er gegen den Ver­dacht gewehrt, die drei mut­maßlichen Täter aus Pot­zlow seien recht­sex­trem­istisch. Die ermit­tel­nde Staat­san­waltschaft in Neu­rup­pin hat­te sofort nach Bekan­ntwer­den des Mordes von „ein­deuti­gen Hin­ter­grün­den“ gesprochen. Mar­i­nus musste dem­nach ster­ben, weil er mit blondierten Haaren und Hip-Hop-Hosen nicht den Vorstel­lun­gen der Täter entsprach. 


Viele Men­schen sind in Pot­zlow nicht unter­wegs. Wer sich ihnen als Jour­nal­ist vorstellt, hat schlechte Karten. Einige Ein­wohn­er meck­ern über die Presse. Die meis­ten winken schweigend ab. Das liegt offen­bar nicht allein am Ärg­er über viele bohrende Fra­gen zum Leben in dem recht abgeschieden liegen­den Dorf. Ein Kam­er­ateam soll den Kindern und Jugendlichen, die die Leiche in der Jauchegrube fan­den, 450 Euro für ein Nach­stellen der Sit­u­a­tion geboten haben. „Ihr werft alle Ein­wohn­er in einen Topf, nun drehen wir mal den Spieß um“, sagt eine junge Frau an der Bushaltestelle. 

 

Auch die Suche der Staat­san­waltschaft nach möglichen Mitwissern und Zeu­gen der Tat regt die Pot­zlow­er auf. „Da bin ich wirk­lich auf die Beweise ges­pan­nt“, sagt Petra Freiberg, die Chefin des örtlichen Jugendzen­trums. „Bis jet­zt sind das doch alles vage Ver­mu­tun­gen, die aber unseren Ort und die Umge­bung stig­ma­tisieren.“ Wie berichtet, geht Ober­staat­san­walt Gert Schnittch­er von fünf bis sechs Per­so­n­en aus, die zumin­d­est vom Beginn der Mis­shand­lun­gen gewusst haben müssen. „Mar­i­nus’ Lei­densweg begann in zwei Woh­nun­gen im Ort“, sagte Schnittch­er. Am Tatort selb­st, wo die in Haft sitzen­den Tatverdächti­gen den Jugendlichen zuerst übel zurichteten, quäl­ten, ihn mit einem Stein erschlu­gen und schließlich ver­schar­rten, sollen keine Zeu­gen gewe­sen sein. Noch ermit­telt die Polizei in Pot­zlow. Eine mögliche Anklage gegen Mitwiss­er kön­nte sich auf unter­lassene Hil­feleis­tung oder psy­chol­o­gis­che Tat­beteili­gung erstrecken. 

 

Sozialar­bei­t­erin Petra Freiberg hofft, dass nicht nur Pot­zlow, son­dern die ganze Gesellschaft nicht schnell wieder zur Tage­sor­d­nung überge­hen. „Wir müssen ein­fach über den Ver­fall unser­er Grundw­erte nach­denken. Da sind alle gefragt.“ Sie stimme Innen­min­is­ter Jörg Schön­bohm zu, der in einem Inter­view mit dem Tagesspiegel von einem „unglaublichen Ver­ro­hungspoten­zial“ gesprochen habe. „Wenn er das allerd­ings nur dem Erbe der DDR zuweist, macht er sich die Erk­lärung zu leicht“, sagte Petra Freiberg. Ger­ade die Uck­er­mark lei­de unter ein­er hohen Arbeits- und ein­er gewis­sen Per­spek­tivlosigkeit. Wenn jet­zt endlich von der Lan­desregierung eine Diskus­sion angeschoben wer­den würde, sei der unfass­bare Tod von Mar­i­nus wenig­stens nicht ganz umsonst.

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