Dem 24-jährigen Mann sei bei der bestialischen Ermordung von Marinus Schöberl nur Körperverletzung vorzuwerfen
(Tagesspiegel, Claus-Dieter Steyer) Neuruppin. Die Überraschung kam ganz am Schluss: Zweiundzwanzig Prozesstage hatte der Hauptangeklagte im Verfahren um die bestialische Ermordung des 16-jährigen Marinus Schöberl in Potzlow nur geschwiegen. Erst gestern, in seinem Schlusswort, ergriff der 18-jährige Marcel S. im Landgericht Neuruppin doch noch die Chance, sich zu äußern: “Es tut mir leid, was geschehen ist. Wenn es ginge, würde ich es rückgängig machen. Aber das geht ja nicht. Es tut mir leid, dass ich der Familie den einzigen Sohn weggerissen habe.” Mit gesenktem Blick verließ der Mann in roter Strickjacke den Gerichtssaal. Nur ein Kopfnicken galt seinem ebenfalls angeklagten sechs Jahre älteren Bruder Marco und dem dritten Mittäter Sebastian F.
Um eben jenen Bruder war es zuvor gegangen: Der Verteidiger des 24-jährigen Marco S. forderte in seinem Plädoyer wegen dreifacher gefährlicher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von “deutlich unter zehn Jahren”. “Es gab unter den drei Angeklagten keinen gemeinsamen Plan, Marinus Schöberl mittels Bordsteinkick zu töten”, sagte Verteidiger Matthias Schöneburg. Der Haupttäter sei eindeutig Marcos 18-jähriger Bruder Marcel gewesen. Dieser sei es gewesen, der in der Nacht zum 13. Juli 2002 den schon zuvor misshandelten Marinus im früheren Schweinestall von Potzlow aufgefordert habe, in die Kante eines Betontroges zu beißen und ihm dann “in einer Black-out-Situation” auf den Hinterkopf gesprungen sei. Später, als Marcel auf Marinus’ Kopf noch zweimal einen schweren Stein warf, sei sein Mandant schon nicht mehr dabei gewesen. Der Leichnam des 16-Jährigen wurde erst im November 2002 in einer Jauchegrube entdeckt.
Wegen einer von einem Gutachter festgestellten Persönlichkeitsstörung, einer Alkoholkrankheit und einer erheblichen Intelligenzverminderung beanspruchte der Verteidiger für Marco S. mildernde Umstände. Erst einen Tag vor der Tat in Potzlow war der Arbeitslose aus dem Gefängnis entlassen worden, wo er eine dreijährige Strafe wegen Körperverletzung abgesessen hatte. Wie schon zuvor die anderen Verteidiger attakierte gestern auch Schöneburg die Staatsanwaltschaft: Sie sei früh von einer politischen Straftat ausgegangen, so dass weitere Ermittlungen nur unzureichend erfolgt seien.
Vor einer Woche hatte der Verteidiger des mutmaßlichen Haupttäters Marcel eine achtjährige Jugendhaft für angemessen gehalten. Für den dritten Angeklagten, Sebastian F., hatte sein Verteidiger lediglich “Zuchtmittel” verlangt. Im Unterschied dazu geht die Staatsanwaltschaft von einer gemeinschaftlichen Tat mit rechtsextremistischem Hintergrund aus. Sie fordert für Marco S. eine lebenslange Haftstrafe wegen Verdeckungsmordes, für seinen jüngeren Bruder die Höchststrafe für Jugendliche, zehn Jahre Jugendhaft, und für Sebastian F. 9 Jahre und 8 Monate.
Marcel S. und Sebastian F. schwiegen auch gestern. Das Urteil soll am nächsten Donnerstag gesprochen werden.
“Marco war nicht an der Tötung beteiligt”
Plädoyer des Verteidigers im Potzlow-Prozess
(Berliner Zeitung, Jens Blankennagel) NEURUPPIN. Am Ende des vorletzten Verhandlungstages im Prozess um die Ermordung des 16-jährigen Marinus Schöberl wendet sich Richterin Ria Becher an die Angeklagten: “Sie haben das letzte Wort, wollen Sie sich äußern?” Zum ersten Mal in diesem Prozess ist von der Anklagebank die Stimme des Hauptangeklagten Marcel Sch. zu hören: “Es tut mir Leid, dass ich der Familie den einzigen Sohn genommen habe.” Am liebsten würde er die Tat rückgängig machen. “Aber das geht ja nicht”, murmelte der 18-jährige schmächtige Junge mit kaum hörbarer Stimme. Sein Bruder Marco und der dritte Angeklagte Sebastian F. sagen nichts zu der Tat.
Zuvor hatte Anwalt Matthias Schöneburg im Saal 2 des Landgerichtes Neuruppin das letzte Plädoyer gehalten. Er ist der Verteidiger von Marcel Sch., jenes Angeklagten, der als Einziger zur Tatzeit volljährig war und deshalb nicht nach dem Jugendstrafrecht verurteilt wird. Die Staatsanwaltschaft hatte für ihn die Höchststrafe gefordert: lebenslange Haft. Sie warf den Angeklagten vor, auf Grund ihrer rechtsextremen Gesinnung den Schüler Marinus Schöberl am 12. Juli 2002 misshandelt und als Jude beschimpft zu haben. Die Anklage sah es als erwiesen an, dass die drei ihr Opfer in einem Schweinestall in Potzlow durch einen Sprung auf den Kopf töten wollten. Als dies misslang, hätten sie ihn mit einem Stein erschlagen.
Seit der Jugend alkoholkrank
Das sieht Schöneburg völlig anders. Marco sei nicht an der Tötung beteiligt gewesen, sagte er. Den “Bordsteinkick” habe der jüngere Bruder allein ausgeführt. “Weder gab es einen gemeinsamen Tatentschluss noch eine gemeinsame Tatausführung.” Da sich Marco nur an den vorherigen Körperverletzungen beteiligt habe, forderte der Verteidiger, den Mordvorwurf gegen seinen Mandanten fallen zu lassen. “Für die Körperverletzungen muss die Strafe deutlich unter zehn Jahren liegen”, sagte er. Der Angeklagte sei vermindert schuldfähig, weil er seit frühester Jugend alkoholkrank ist und bei ihm eine Persönlichkeitsstörung und eine erhebliche Intelligenzminderung festgestellt wurde.
Schöneburg erhob in seinem Plädoyer schwere Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft. “Es war kein fairer Prozess”, sagte er. Für die Angeklagten habe die Unschuldsvermutung nicht gegolten, die Staatsanwaltschaft habe sie wegen ihrer rechtsextremen Einstellung vorverurteilt. “Die Staatsanwaltschaft bewertet die Tat als politische Straftat und ging davon nicht ab”, sagte er. Doch der Prozess habe gezeigt, dass die Tötung mit der politischen Einstellung der Angeklagten nicht erklärbar sei. Zudem sei “einseitig und unzulänglich” ermittelt worden. Die Aussagen der Angeklagten bei der Polizei dürften bei der Verurteilung nicht verwertet werden, weil sie durch einen Rechtsbruch zu Stande gekommen seien. Denn die Polizei habe die Eltern der minderjährigen Täter nicht zu den Verhören zugelassen.
22 Verhandlungstage
(Berliner Zeitung) Das Opfer: Am 13. Juli 2002 verschwand der 16-jährige Marinus Schöberl. Seine verweste Leiche wurde erst am 17. November hinter einem ehemaligen Stall in Potzlow (Uckermark) gefunden. Sie lag in einer Jauchegrube.
Die Angeklagten: Drei jungen Männern wird vorgeworfen, Marinus Schöberl ermordet zu haben. Marcel Sch. war zur Tatzeit 17, sein Bruder Marco 23 Jahre alt. Dritter Angeklagter ist Sebastian F., zur Tatzeit ebenfalls 17 Jahre alt.
Die Plädoyers: Als Haupttäter gilt Marcel Sch. Für ihn verlangte die Staatsanwaltschaft die maximale Jugendstrafe von zehn Jahren. Marco soll lebenslänglich ins Gefängnis, Sebastian F. für neun Jahre und acht Monate.
Die Urteile: Am 16. Oktober soll in Neuruppin nach 22 Verhandlungstagen die Urteile gesprochen werden. Der Prozess begann am 26. Mai.
Letztes Plädoyer im Potzlow-Prozess
Hauptangeklagter entschuldigt sich
(MAZ, Günter Brüggemann) NEURUPPIN Im Prozess vor dem Landgericht Neuruppin um die Tötung des 16-jährigen Marinus Schöberl in Potzlow fordert die Verteidigung für den Angeklagten Marco Sch. ei
ne Haftstrafe von “deutlich unter zehn Jahren”. Dem 24-Jährigen seien drei gefährliche Körperverletzungen vorzuwerfen, sagte sein Anwalt Matthias Schöneburg gestern. Vom Mordvorwurf sei sein Mandant freizusprechen. Die Staatsanwaltschaft hatte demgegenüber für Marco Sch. eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes beantragt.
Erstmals ergriffen auch die drei Angeklagten das Wort. Dabei sagte der 18-jährige Marcel Sch., er bereue die Tat und würde sie gerne ungeschehen machen. Marinus Schöberl war am frühen Morgen des 13. Juli 2002 in einem ehemaligen Schweinestall in Potzlow bestialisch getötet und seine Leiche in einer Jauchegrube verscharrt worden. Angeklagt sind neben Marco Sch. dessen Bruder Marcel und der ebenfalls 18-jährige Sebastian F.
Wie seine Verteidigerkollegen attackierte Schöneburg die Staatsanwaltschaft. Sie habe früh den Boden für eine Vorverurteilung bereitet und den Tod von Marinus als “politische Straftat” gewertet. Schöneburg warf zudem Polizeibeamten vor, vor Gericht die Unwahrheit gesagt zu haben. Staatsanwältin Eva Hoffmeister wies die Vorwürfe “aufs Schärfste” zurück.
Schöneburg zufolge hat sich Marco Sch. an den stundenlangen Misshandlungen mit Schlägen und Tritten, die Marinus vor seiner grausamen Ermordung erdulden musste, beteiligt. Marco sei mitverantwortlich dafür, dass sich die Situation aufgeheizt habe. Hätte nur einer der drei Angeklagten zwischendurch mäßigend eingegriffen, “dann wäre Marinus heute noch am Leben”, sagte der Verteidiger. Beim so genannten Bordsteinkick, bei dem das Opfer in die Kante eines Schweinetroges beißen musste, bevor ihm Marcel Sch. auf den Kopf sprang, sei Marco keine Mittäterschaft anzulasten. Marcel sei “die Sicherung durchgebrannt”. Danach sei Marinus tot gewesen.
Zudem müsse das Gericht beim Strafmaß für Marco die verminderte Schuldfähigkeit berücksichtigen, forderte Schöneburg. Laut Gutachten hat der 24-Jährige einen Intelligenzquotienten von 55. Strafmildernd müsse sich zudem die “erhebliche” Alkoholisierung des Angeklagten zum Tatzeitpunkt auswirken.
Das Urteil wird für den 16. Oktober erwartet.
Potzlow-Prozess: Letztes Plädoyer
(BM) Neuruppin — Der älteste der drei Angeklagten im Potzlow-Mordprozess, Marcel Sch. (23), soll nach der Auffassung seines Verteidigers Matthias Schöneburg “deutlich unter zehn Jahre” hinter Gitter. Auf ein konkretes Strafmaß verzichtete der Anwalt in seinem Plädoyer. Nicht wegen Mordes, wie es die Staatsanwaltschaft sieht, sondern wegen Körperverletzung sei er zu bestrafen. Sein Mandant habe Marinus Schöberl nur geschlagen und getreten. Für den Tod des 16-jährigen Sonderschülers in dem Schweinestall in Potzlow (Uckermark) sei aber allein sein jüngerer Bruder Marcel Sch. (18) verantwortlich. Das Urteil wird am kommenden Donnerstag gesprochen.