Potzlow-Prozess: Neuer Zeuge unglaubwürdig
(BM) Neuruppin — Selbst die ansonsten so geduldige Richterin Ria Becher winkte
nach einer halben Stunde ab. Der als “letzter Zeuge” im Mordprozess von
Potzlow geladene Enrico H. löste bei allen Prozessbeteiligten nur noch
Kopfschütteln aus, nachdem er auch auf wiederholtes Nachfragen nicht
plausibel erklären konnte, woher er denn von angeblichen Mordplänen des
ältesten Angeklagten Marco Sch. gegenüber Mordopfer Marinus Schöberl schon
im Jahr 2000 gewusst haben wollte. “Das haben mir Freunde und Bekannte
erzählt, direkt kenne ich Marco gar nicht”, sagte der 26-Jährige.
Dann gab er an, dass unter den jungen Leuten in Templin, wo Marinus bis zu
seinem gewaltsamen Tod am 13. Juli 2002 die Schule besuchte, schon im Sommer
2000 die Nachricht die Runde gemacht habe, Marco Sch. wolle sich an Marinus
rächen. Das Motiv? “Marinus hat gegen Marco vor Gericht ausgesagt, habe ich
gehört”, sagte H. Selbst Staatsanwältin Eva Hoffmeister reagierte ungläubig:
“Wenn Marinus wusste, dass Marco sich rächen wollte, warum ist er dann mit
ihm losgezogen?” Die Aussage von Enrico H. habe für sie keine Beweiskraft.
Marcos Anwalt Matthias Schöneburg bezeichnete H. als “Wichtigtuer und
Trittbrettfahrer, der die Unwahrheit sagt”. Getötet wurde Marinus Schöberl
im Juli 2002 von Marcos jüngerem Bruder Marcel Sch.
Der Zeuge, der zurzeit in Tegel in Haft sitzt, hatte sich erst in der
vergangenen Woche über seinen Anwalt im Potzlow-Verfahren gemeldet.
Seinetwegen hat die Richterin die für gestern vorgesehene Urteilsverkündung
um eine Woche verschoben. Neuer Termin ist der 24. Oktober. Die
Staatsanwaltschaft hat hohe Haftstrafen für die Angeklagten beantragt.
Potzlow-Prozess: War der neue Zeuge ein Wichtigtuer?
(MOZ) Neuruppin (dpa) Ein überraschend aufgetauchter Zeuge hat nach den Plädoyers
im Prozess um den brutalen Mord an Marinus Schöberl vor Gericht für Wirbel
gesorgt. Der 26-Jährige sagte am Donnerstag am Landgericht Neuruppin, er
habe gehört, wie der erwachsene Angeklagte bereits im Sommer 2000
angekündigt habe, den Schüler Marinus zu töten. Allerdings wich der derzeit
im Gefängnis in Berlin-Tegel sitzende Zeuge im Laufe der Befragung immer
mehr von dieser Aussage ab.
Nach dem Einwand der Verteidiger, dass der von ihm Beschuldigte im Sommer
2000 im Gefängnis saß, sagte der aus Templin (Uckermark) stammende Zeuge, er
könne nicht mit Bestimmtheit sagen, dass dieser Angeklagte den Mord
angekündigt habe. Es könne auch ein anderer, ebenfalls mit einem Hakenkreuz
tätowierter Mann gewesen sein. Wegen der deutlichen Ungereimtheiten wurde
der Mann, der sich vor einigen Tagen überraschend beim Gericht gemeldet
hatte, vereidigt.
Staatsanwaltschaft, Nebenklagevertreter und Verteidiger bezeichneten die
Aussage des 26-Jährigen übereinstimmend als unglaubwürdig. “Der Zeuge war
ein Wichtigtuer und Trittbrettfahrer, der offensichtlich die Unwahrheit
gesagt hat”, sagte Verteidiger Matthias Schöneburg. Möglicherweise leitet
die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Falschaussage ein.
Die drei Angeklagten hatten gestanden, ihr 16-jähriges Opfer im Juli 2002 in
Potzlow (Uckermark) stundenlang misshandelt und dann getötet zu haben. Nach
Auffassung der Staatsanwaltschaft war die Schlüsselszene des Filmes
“American History X” Vorbild für die besonders grausame Tötung des Schülers.
“Das wird mein “American History X” sein”, soll nach Aussage des Zeugen zwei
Jahre vor der Tat an einem See in der Uckermark gesagt worden sein.
Die ursprünglich für Donnerstag geplante Verkündung des Urteils wurde auf
den 24. Oktober verschoben. Die Staatsanwaltschaft hatte für den erwachsenen
Angeklagten, der unter anderem wegen des Überfalls auf einen Afrikaner in
Prenzlau vorbestraft ist, lebenslange Haft wegen Verdeckungsmordes
gefordert. Für seinen 18- jährigen Bruder beantragte sie zehn Jahre
Jugendgefängnis — die Höchststrafe im Jugendrecht -, für dessen
gleichaltrigen Freund neun Jahre und acht Monate. Die Verteidiger forderten
für alle Angeklagten Strafen von deutlich unter zehn Jahren.
Der neue Zeuge wurde gleich ausgekontert
(Tagesspiegel) Nach seiner Aussage im Potzlow-Prozess droht Enrico H. nun sogar ein
Verfahren wegen Meineids
Neuruppin. Der Zeuge wurde mit Spannung erwartet, immerhin hatte Enrico H.
die für gestern geplante Verkündung des Urteils im Potzlow-Prozess
verhindert. Doch dann gab der 26-Jährige nur diffuse Angaben und
Widersprüche von sich. Er habe im Sommer 2000 am Lübbesee bei Templin
vermutlich vom Angeklagten Marco S. eine Morddrohung gegen den im Juli 2003
in Potzlow getöteten Marinus Schöberl gehört, sagte H. dem Landgericht
Neuruppin. Und: Er sei damals nur zehn Meter von dem Angeklagten entfernt
gewesen. Doch dessen Verteidiger konterte den überraschend aufgetauchten
Zeugen aus: Marco S. habe 1999 eine Haftstrafe angetreten, die bis Juli 2003
dauerte, und es sei kein einziger Hafturlaub bewilligt worden. Enrico H.
ließ sich aber nicht beirren. So hat er nun wohl seinem Vorstrafenregister
ein weiteres Delikt hinzugefügt. Denn der Anwalt von Marco S. bestand nach
der einstündigen Befragung darauf, Enrico H. zu vereidigen. Dies geschah -
und die Staatsanwaltschaft wird nun vermutlich ein Verfahren einleiten,
wegen des Verdachts auf Meineid.
Enrico H. hatte sich, wie berichtet, erst vor einer Woche über seinen Anwalt
beim Landgericht Neuruppin gemeldet. In dem seit fünf Monaten andauernden
Prozess zum Mord an dem 16-jährigen Marinus Schöberl in der Nacht zum 13.
Juli 2002 in Potzlow waren bereits alle Plädoyers gehalten, gestern sollte
der Schlussakt stattfinden. Doch nach dem Anruf des Anwalts von Enrico H.
sah sich die Strafkammer gezwungen, zur Beweisaufnahme zurückzukehren. Das
Ergebnis ist jedoch nach Ansicht der Staatsanwaltschaft, des
Nebenklage-Anwalts und der Verteidiger der drei Angeklagten gleich Null -
und damit eine ärgerliche Zeitverschwendung. Der aus einer Berliner
Haftanstalt vorgeführte Enrico H. — er verbüßt eine Strafe wegen
Körperverletzung und Hausfriedensbruchs — wich auf die bohrenden Fragen
immer mehr ins Ungefähre aus. Er sagte schließlich, Bekannte hätten ihm
erzählt, dass die Person am Lübbesee, von der er die Morddrohung gegen
Marinus Schöberl gehört habe, Marco S. gewesen sein soll. Wenig glaubwürdig
klang auch die Behauptung von Enrico H., er habe irgendwann das spätere
Mordopfer Marinus Schöberl an einem “Frittenstand” in Templin kennen
gelernt. Dabei soll Schöberl erzählt haben, er werde wegen einer
Zeugenaussage gegen Marco S. von diesem unter Druck gesetzt. Doch der Anwalt
von Marco S. konnte auch diese Angaben entkräften: Es gebe kein Verfahren
gegen seinen Mandanten, in dem Marinus Schöberl als Zeuge aufgetreten ist.
Nach der Aussage von Enrico H. wiederholten die Staatsanwältin, der
Nebenklageanwalt und die Verteidiger der drei Angeklagten Marco S., Marcel
S., und Sebastian F. nochmal in Kurzform ihre Plädoyers. Das Urteil soll nun
am kommenden Freitag verkündet werden.