Neuruppin — Für die heutige Fortsetzung des Prozesses um den Tod des 16-jährigen Marinus Schöberl vor dem Neuruppiner Landgericht steht nur die
Uhrzeit fest. Sonst nichts.
Knapp vier Wochen hat die 2. Große Strafkammer unter Vorsitz von Richterin
Ria Becher pausiert. Eigentlich sollte das Urteil schon am 18. Juni
gesprochen werden. Doch der spektakuläre Prozess um den bestialischen Mord
an dem schmächtigen Sonderschüler dauert nun schon fast zwei Monate länger.
Und nach 14 Verhandlungstagen steht heute das ganze Verfahren auf der Kippe.
Die Verteidiger der wegen gemeinschaftlichen Mordes an Marinus angeklagten
Marco Sch. (24), Marcel Sch. (18) und Sebastian F. (18), halten die drei
Richter für befangen. Nach Einschätzung von Volkmar Schöneburg, dem Anwalt
des Haupttäters Marcel Sch., könnte der Prozess sogar platzen. Jedenfalls
dann, wenn die 1. Große Strafkammer, die sich mit dieser Frage beschäftigt,
den Anträgen der Verteidiger folgt. Ausgangspunkt für die Zweifel der
Anwälte an der unbestechlichen Urteilskraft der Richter ist deren
Entscheidung, das polizeiliche Geständnis von Haupttäter Marcel Sch. doch im
Prozess zu verwerten. Dies hatten die Anwälte moniert, weil es aus ihrer
Sicht bei der Vernehmung nicht mit rechten Dingen zuging.
Den Eltern des damals erst 17-jährige Marcel Sch. sei die Teilnahme an den
Verhören durch Beamte der Mordkommission Eberswalde verwehrt worden.
Tagelang wurde im Prozess darüber diskutiert. Ergebnis: Eindeutig könnten
die Richter dies nicht beurteilen, die Aussagen beider Seiten ließen sich
nicht auf einen Nenner bringen. Das erscheint juristisch spitzfindig, da die
Tatumstände für den Gewaltexzess als geklärt angesehen werden können. Es
könnte für die beiden Mitangeklagten jedoch weitreichende Folgen haben. Denn
gegenüber der Polizei hatte Marcel F. angedeutet, dass sich alle drei
entschlossen hätten, Marinus zu töten, nachdem sie ihn vier Stunden
misshandelt hatten.
Vor Gericht wollte Marcel Sch. nichts mehr davon wissen. Er allein habe den
mörderischen Entschluss gefasst. Spontan, ohne die beiden anderen. Ein
Blackout, wie er sagte.
Staatsanwältin Eva Hoffmeister stützt ihre Anklage aber vor allem auf die
Aussagen Marcels bei der Polizei. Sie geht von gemeinschaftlich begangenem
Mord an Marinus aus, auch wenn schließlich Marcel allein zu dem tödlichen
Sprung mit den Springerstiefeln auf den Hinterkopf von Marinus angesetzt
hatte. “Los spring”, habe Marco Sch. seinem jüngeren Bruder zugerufen. Ein
Satz, der für ihn über lebenslang oder deutlich weniger Haft entscheiden
könnte.
Auch für den dritten im Bunde, Sebastian F., geht es um viel. Ihm drohen bei
einer Verurteilung wegen Mordes zehn Jahre Jugendstrafe. Für die Beteiligung
an einem Verbrechen, das in puncto Grausamkeit und Menschenverachtung
seinesgleichen sucht. Vier Stunden lang hatten sie Marinus Schöberl in ihrer
Gewalt, schlugen ihn immer wieder, urinierten auf ihn, stilisierten sich den
Jungen zum “Juden”, der das Recht auf Leben verwirkt habe.
Im Fall des jetzt wegen Mordes und Entführung an dem Frankfurter
Bankierssohn Jakob Metzler verurteilten Jura-Studenten Magnus Gäfgen hatten
die Richter wegen eines mit Folterandrohungen erzwungenen Geständnisses
entschieden, die Aussage des Täters bei der Polizei im Prozess nicht zu
verwerten.