Der 9. November 1918, der Tag an dem die deutsche Republik ausgerufen wurde, ist der
Tag, der als historisches Datum für die Novemberrevolution steht. Diese Revolution
war das Aufbegehren gegen den preußisch deutschen Militarismus. Der Wunsch nach Brot
und Frieden ließ die Arbeiter und Soldaten den ersten Weltkrieg auf eigene Faust
beenden. In jener Zeit standen sich zwei Seiten gegenüber: die revoltierenden
Arbeiter und die Mordbanden der Freikorps, Keimzellen der späteren
Nationalsozialisten. Viele der Revolutionäre von 1919 fanden sich ab 1933 in den KZ
wieder zum Teil bewacht, gefoltert ermordet von ehemaligen Freikorpssöldnern.
Die am 9. November 1918 errichtete Republik scheiterte. Sie scheiterte,weil Militär
und Justiz, Beamte und Bürgertum ihr vom ersten Tag an feindlich gesonnen waren und
im geringsten Fall keine Hand zu ihrer Verteidigung rührten,doch meistens auf ihre
Abschaffung hinarbeiteten. Wir gedenken jener Menschen,die versuchten eine Republik
zu errichten, die Demokratie und Frieden ermöglicht. Wir gedenken jener, die
deswegen von Freikorps und Nationalsozialisten ermordet wurden. Wir gedenken ihrer
an diesem Ort, der wie kein zweiter in Potsdam für die deutsche Allianz aus
Bürgertum, Militär und traditionellen Eliten steht, der Allianz der Mörder.
Der 9. November 1938 ist der Tag, an dem der deutsche Antisemitismus, nach Erlassen
der Nürnberger Gesetze von 1935, sich als Vernichtungswille des deutschen Mobs
gegenüber allem was ihnen als jüdisch erschien äußerte. Als Vorwand für die
Entladung des Volkszorn galt ein Attentat auf einen Nazi, mit dem auf die
Abschiebung von 17.000 Juden nach Polen aufmerksam gemacht werden sollte. In der
Nacht vom 9. auf den 10. November zerstörte der Volksmob dann 2.676 Gottes- und
Gemeindehäuser und 7.500 Geschäfte. In der Nacht selbst kamen mindestens 400
Menschen ums Leben, 30.000 Juden wurden in die KZs Buchenwald, Dachau und
Sachsenhausen verschleppt.
Und trotz dieser Ereignisse, oder vermutlich eher wegen dieser Ereignisse, wollen
Preußenliebhaber am 9. November 2006 wieder selbstbewußt und “zu Recht” die
Versöhnung mit der eigenen Geschichte und mit all jenen, die sie sich als Objekte
der Versöhnung ausgesucht haben, feiern. Massenmord, Vernichtung durch Arbeit,
Zwangsarbeit, Quälereien und Demütigungen entziehen sich jedoch dem
Versöhnungsbegriff. Es wäre vermessen z.B. jüdische Menschen, ehemalige
ZwangsarbeiterInnen, Verfolgte aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Sinti und
Roma mit diesem Ansinnen zu konfrontieren, da dies einer Relativierung und Negierung
der deutschen Verbrechen gleichkommt. Wir wollen nicht aktzeptieren dass an einem
Ort “Versöhnung” gefeiert werden soll, an dem am 21. März 1933 schon einmal das Wort
Versöhnung unzweideutig fiel- “die Versöhnung des preußischen Geistes mit der neuen
Bewegung”- zwischen Hitler und Bismarck, am sogenannten Tag von Potsdam. Wir wollen
deshalb am 9. November all jenen gedenken, die nicht in das deutsche Konzept der
Aufarbeitung der Geschichte passen.
Die Potsdamer Polizei nimmt dazu eine eher fragwürdige Stellung ein. Im Rahmen einer
Gedenkveranstaltung an Max Dortu stellte diese, Mitte diesen Jahres fest, dass
Gedenkveranstaltungen nicht genehmigt werden müssten. Mit willkürlichen Anrufen bei
Antifaschisten versucht die Polizei nun uns davon abzuhalten, dass auch wir uns auf
dieses Recht berufen. Man wolle zwar der Versammlungsleitung am 9. November nicht
vorgreifen, aber unser Gedenken könne sich als schwierig erweisen, so der gemeinsame
Nenner dieser Telefonate. Davon werden wir uns allerdings nicht abbringen lassen. Am
9. November wird um 16.30 an der Breiten Straße, Ecke Dortustraße unser Gedenken an
die Opfer des deutschen Größenwahns stattfinden.