Hausdurchsuchungen bei AntifaschistInnen. Polizei verweigert bis heute Stellungnahme. Knapp drei Wochen nach der skandalösen Hausdurchsuchungswelle gegen AntifaschistInnen in Berlin, Potsdam und Eisenhüttenstadt warten die Betroffenen und die interessierte Öffentlichkeit immer noch vergeblich auf eine Stellungnahme der verantwortlichen Behörden.
Am 6. Juli 2005 drangen Einsatzkräfte der Berliner und Brandenburger Polizei unter Führung der Berliner Staatsanwaltschaft morgens in 15 Wohnungen von Zeugen, gänzlich Unbeteiligten und insgesamt neun Beschuldigten ein. Letzteren wird ein Überfall auf fünf Neonazis am 1. Juni 2005 auf dem Ostbahnhof vorgeworfen, welche auf dem Rückweg von einem Gerichtsprozess wegen eines Überfalls auf ein alternatives Wohn- und Kulturprojekt in Potsdam waren.
Im Rahmen der Hausdurchsuchungen stürmte die Polizei mit einem mobilen Einsatzkommando auch ein Haus in der Reichenberger Straße in Kreuzberg. Dort brachen die vermummten und bewaffneten Polizisten mit Rammböcken alle Wohnungstüren auf und traten anschließend die (unverschlossenen) Türen zu den Schlafzimmern ein. Unter anderem wurde bei dieser Aktion ein unbeteiligter Mitbewohner von Beamten, die mit Pistolen auf seinen Kopf zielten, aus seinem Hochbett geworfen und anschließend unbekleidet und an den Händen gefesselt durch die Glasscherben seiner bereits zertrümmerten Schlafzimmertür geschliffen. Dabei zog er sich zahlreiche Schnittwunden und Prellungen zu. Die Beamten stürmten im selben Objekt auch die Wohnung eines gänzlich Unbeteiligten, die sie erst nach drei Stunden wieder verließen. Weiterhin drang die Polizei in ein angrenzendes Haus ein, für das es keinen Durchsuchungsbeschluss gab, hielten mehrere Bewohner fest und bedrohten diese.
Die neun Beschuldigten wurden einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen und anschließend wieder freigelassen. Auf der Polizeiwache erstellten die Beamten unter Gewaltanwendung auch Bewegungsprofile mit einer Videokamera, obwohl dieses Vorgehen rechtswidrig ist. Vier der Beschuldigten entkamen im Sommer 2001 nur knapp einem Brandanschlag bei einem antirassistischen Festival in Königs Wusterhausen. Sie waren im Mai dieses Jahres als Nebenkläger gegen zwei der rechtsextremen Täter, darunter ein bekannter Aktivist der militanten Berliner Kameradschaftsszene, aufgetreten. Diese und weitere Neonazis zählen nun zu den Zeugen der Ermittlungsbehörden wegen des Überfalls am Ostbahnhof.
Angesichts des völlig überzogenen und willkürlichen Vorgehens der Polizei geht die Antifaschistische Linke Berlin [ALB] davon aus, dass die Durchsuchungen mehr der Einschüchterung aktiver AntifaschistInnen denn der Verfolgung angeblicher Straftaten dienen sollten.
Ein Sprecher der ALB erklärte: “Das noch am Tag der Befreiung am 8. Mai abgelegte Bekenntnis der Bundesregierung zu einer konsequenten Vorgehensweise gegen Rechtsextremismus scheint inzwischen wieder in die totalitarismustheoretische Gleichsetzung von links und rechts gemündet zu sein. Die gemeinsame politische Gesinnung von AntifaschistInnen reicht aus, um sie – ohne bisher Beweise zu erbringen – als kriminell zu diffamieren. Telefonüberwachung und persönliche Observation durch Zivilbeamte der Berliner Polizei gehören auch drei Wochen nach den Durchsuchungen zum Alltag der Betroffenen. Wir fordern eine sofortige Stellungnahme des Landeskriminalamtes zu den Vorgängen am 6. Juli 2005 und eine Verfolgung der durch die Polizei begangenen Straftaten. Wir verlangen ein Ende der Diffamierung und Kriminalisierung der antifaschistischen Initiativen Berlins.”