Prinzip Geisterstadt
Im niedersächsischen Bad Nenndorf und in Cottbus konnten am Sonnabend jeweils knapp 200 Neofaschisten unter Polizeischutz marschieren.
In Bad Nenndorf führte ein sogenannter Gedenkmarsch der Neonazis vom Bahnhof zum Kurhaus »Wincklerbad«. Dort, so die Rechten in ihrem Aufruf, habe der britische Militärgeheimdienst nach 1945 ein »grausiges Folterlager« unterhalten. In dem Camp waren bis 1947 rund 400 Nazis interniert, die meisten von ihnen waren mutmaßliche Kriegsverbrecher.
Gegen den Aufzug demonstrierten rund 500 Antifaschisten. Die ersten Protestaktionen gab es bereits am Morgen im Nenndorfer Bahnhof, wo rund 150 Gegendemonstranten einen Bahnsteig blockierten und so die Anreise vieler Neofaschisten erheblich verzögern konnten. Polizeieinheiten drängten die Blockierer aber schließlich ab. Der Start der antifaschistischen Demo verzögerte sich, weil die Polizei, die mit etwa 1000 Beamten im Einsatz war, Vermummung und angeblich nicht genehmigte Seitentransparente monierte. Im weiteren Verlauf kam es mehrfach zu Rangeleien und dem Einsatz von Schlagstöcken durch die Polizei. »Fotografen wurden ins Gesicht und an den Hals geschlagen und massiv in ihrer Arbeit behindert«, kritisierte die Sprecherin des Bündnisses gegen Geschichtsrevisionismus, Bea Hänsch. Auch zwei Ordner seien teilweise mit Schlagstöcken von der Polizei attackiert und am Kopf verletzt worden. Fünf Antifaschisten wurden fest bzw. in Gewahrsam genommen.
Im brandenburgischen Cottbus hatte ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Kirchen und allen im Rat vertretenen Parteien, also auch der Linkspartei, auf das »Geisterstadtprinzip« gesetzt. Das Bündnis verteilte im Vorfeld des NPD-Aufmarsches rund 5000 Flugblätter, mit der Aufforderung, die Neonazis zu ignorieren und dadurch »ins Leere laufen zu lassen«. Am Sonnabend selbst fuhr dann ein Lautsprecherwagen des Bürgerbündnisses etwa 500 Meter vor den polizeigeschützten Neonazis her und forderte die Anwohner auf, Fenster und Türen zu schließen. Es sei kaum jemand auf der Straße gewesen, freute sich Lothar Judith, Koordinator der Aktion, am Sonntag.
»Das lag vor allem am Regen und an der Polizei«, kommentierte Bernd Müller, Sprecher der DKP Cottbus, am Sonntag gegenüber junge Welt. Die Route der Neofaschisten sei weiträumig abgesperrt worden. Zweimal habe die Polizei Antifaschisten, die versuchten, in die Nähe der Rechten zu kommen, eingekesselt. Gegen die rund 100 Betroffenen seien Platzverweise bis zum Abend für die komplette Innenstadt ausgesprochen worden. »Wir haben das Geisterstadt-Konzept im Vorfeld kritisiert und den Bürgernmeister und die Parteien aufgefordert, sich an antifaschistischen Protesten zu beteiligen«, so Müller. Neofaschisten dürfe man nicht einfach ignorieren, aber daraus sei nichts geworden. Antifaschistische Gruppen, ATTAC und DKP hatten daraufhin zu zwei Kundgebungen am Busbahnhof und am Schillerplatz aufgerufen, um Anlaufpunkte für Gegendemonstranten zu schaffen. Dem Aufruf folgten je etwa 150 Teilnehmer.
In Ueckermünde ist in der Nacht zum Samstag ein kubanischer Musiker, der dort bei den Hafftagen auftreten wollte, krankenhausreif geschlagen worden. Der 31-Jährige ist laut Polizeiangaben gemeinsam mit zwei peruanischen Kollegen aus einer Gruppe von etwa 20 Jugendlichen heraus angegriffen und unter anderem am Kopf schwer verletzt worden. Noch sei nicht klar, ob ausländerfeindliche Motive eine Rolle gespielt hätten, so die Polizei.