POTSDAM Das brandenburgische Justizministerium hat damit begonnen, den Einfluss rechtsextremer Jugendlicher in den Haftanstalten des Landes zu brechen. Das bundesweit einmalige Projekt läuft in den fünf Gefängnissen Spremberg, Frankfurt (Oder), Wriezen, Oranienburg und Luckau bis Ende 2004 und kostet eine Million Mark, erklärte Justizminister Kurt Schelter (CDU) gestern. Anschließend soll das Modellprojekt “Präventive Arbeit mit rechtsextremistisch orientierten Jugendlichen” wissenschaftlich ausgewertet und bei Bedarf in Gefängnissen anderer Bundesländer nachgeahmt werden. Das Projekt wird von den Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung inhaltlich und finanziell unterstützt.
Keine Gruppe ist in den Jugendabteilungen der Gefängnisse des Landes so dominant wie die der rechtsextrem orientierten Straftäter. Von den etwa 350 in den Haftanstalten einsitzenden Tätern, die nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden, zählen etwa 100 bis 120 zu dieser Gruppe, berichtet Werner Koldehoff, Abteilungsleiter für Strafrecht im Justizministerium. Das sind 28 bis 35 Prozent der nach Jugendstrafrecht Inhaftierten, also des Personenkreises, den das Projekt erreichen soll. Bei Betrachtung nur der etwa 280 deutschen Straftäter liegt der Prozentsatz entsprechend höher, er schwankt zwischen 35 und 43 Prozent. Der harte Kern der rechtsextremen Rädelsführer soll aus 20 bis 25 Personen bestehen.
Die Gruppe der rechtsextremen jugendlichen Häftlinge sei in sich nicht homogen, sondern unterschiedlich stark ideologisiert, erklärte Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Deshalb, so Minister Schelter, könne auch “nicht die Rede davon sein, dass die Haftanstalten in der Hand von Rechtsextremisten sind”. Schelter: “Wir haben eine relativ entspannte Situation.” Es gebe keine von Rechtsextremen aufgebaute Strukturen in den Haftanstalten des Landes, und die vom Verfassungsschutz seit Jahren beobachtete rechtsextremistische “Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige” spiele in Brandenburg “praktisch keine Rolle”.
Das Modellprojekt soll in erster Linie dazu beitragen, einen “Bewusstseins- und Haltungswandel” der rechtsextremen Mitläufer zu bewirken. Das Projekt zielt nicht auf die Umerziehung der Rädelsführer, sondern will sie “entzaubern”, so Minister Schelter. Geschehen soll dies besonders durch wöchentliche Bildungsprogramme, die jeweils drei Monate dauern. Die rechtsextremen Häftlinge sollen sich dabei mit ihrer Tat und der Rolle des Opfers auseinandersetzen, außerdem mit Gruppenzwang, also dem Einfluss der “Kumpels”. Ferner sollen sie sich mit der Geschichte von Nationalsozialismus und Rassismus sowie ihrer eigenen Zukunft nach Ablauf der Haftzeit beschäftigen.
Das Trainingsprogramm will das Wissen jugendlicher Straftäter über rechtsextreme Themen vermehren und so die Deutungshoheit der Rädelsführer brechen. “Deutungshoheit bedeutet Macht”, erklärt Projektleiter Helmut Heitmann vom “Archiv der Jugendkultur” den Reformansatz. Seinen Optimismus leitet Schelter aus den Erfolgen eines sechsmonatigen Vorprojekts ab, das im März endete. Es habe gezeigt, dass zwei rechtsextreme Führer in Diskussionen entzaubert und von einstigen Mitläufern ausgelacht wurden. Die Anführer wurden so entmachtet.
Das Justizministerium sowie Projektleiter Heitmann schließen nicht aus, dass sich Rädelsführer gegen den drohenden Einflussverlust wehren, indem sich Druck auf die ausüben, die sich von der Szene abwenden wollen. Um dem entgegenzuwirken, müssen in das Projekt auch die Justizvollzugsbediensteten eingebunden werden, so Heitmann. Ihr Wissen über rechtsextreme Szene-Zeichen und Strukturen soll deshalb verbessert werden.
Das Modellprojekt soll für die rechtsextrem orientierten jugendlichen Straftäter nicht mit dem Tag der Haftentlassung enden. Familie und Freundeskreis des Häftlings, Schule, Lehrstelle sowie Vereine sollen vielmehr in die Aufklärungsarbeit mit einbezogen werden. “Es ist wichtig, dass ein nachhaltiger Effekt entsteht”, so der Präsident der Bundeszentrale, Krüger.
Für Justizminister Schelter ist der Rechtsextremismus in den Gefängnissen die Folge eines “Defizits an politischer Grundbildung” an den Schulen. Es fehle ein “Mindestmaß an Kenntnissen über den Nationalsozialismus”. Lehrer — nicht nur in Brandenburg — hätten “oft selbst Probleme”, diese brisanten Themen ihren Schülern zu vermitteln, so der Minister.
Guter Einstieg
Kommentar von Frank Schauka
Der Rechtsextremismus besetzt nicht mehr die Spitzenplätze der Nachrichten, für eine Entwarnung besteht jedoch kein Anlass. Die Zahl der Gewalttaten hat sich auf hohem Niveau stabilisiert, obwohl Polizei und Justiz ihren Druck erhöhten. Das führt logischerweise dazu, dass die Zahl rechtsextremer Täter im Gefängnis wächst. Dabei besteht die Gefahr, dass die Haftanstalten dauerhaft zu Brutstätten für weitere Neonazis werden. Das Brandenburger Modellprojekt “Präventive Arbeit mit rechtsextremistisch orientierten Jugendlichen” setzt an der richtigen Stelle an. Es gibt nur die Möglichkeit, beeinflussbare Mitläufer über das menschenverachtende Wesen des Nationalsozialismus aufzuklären, damit sie sich davon distanzieren. Kritikwürdig an dem Modellprojekt wäre allein, dass es sich auf die nach Jugendstrafrecht Verurteilten konzentriert. Das Problem des Rechtsextremismus hinter Gefängnismauern ist in Wirklichkeit umfassender. Doch ein Modellprojekt, das sagt der Name, ist ein Einstieg.