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Provokateure und Kriminelle im Einsatz für den Verfassungsschutz Brandenburg

(WSWS, Lena Sokoll, 14. Novem­ber 2003) So genan­nte “Ver­trauensleute” (V‑Leute) des Ver­fas­sungss­chutzes in Bund und Län­dern wer­den aus Organ­i­sa­tio­nen und Kreisen, die dem Inlands­ge­heim­di­enst als poli­tisch sus­pekt gel­ten, ange­wor­ben oder in diese eingeschleust, um Infor­ma­tio­nen aus erster Hand über die verdächti­gen Grup­pen zu liefern — so ihr offizieller Auf­trag. In der Prax­is jedoch sind V‑Leute oft­mals alles andere als pas­sive Spitzel: Sie bege­hen zum Teil schw­er­ste Straf- und Gewalt­tat­en und üben in Führungspo­si­tio­nen einen bes­tim­menden Ein­fluss auf die überwachte Organ­i­sa­tion aus. Sie sind “Krim­inelle im Dienst des Staates”, wie es Rolf Göss­ner in seinem jüngst erschiene­nen Buch Geheime Infor­man­ten tre­f­fend aus­drückt. (1)

Der Ver­fas­sungss­chutz des ost­deutschen Bun­des­lan­des Bran­den­burg ist in den weni­gen Jahren seines Beste­hens bere­its berüchtigt für seinen Ein­satz von Pro­voka­teuren und Krim­inellen als V‑Leute.

Auf­se­hen in der Öffentlichkeit erregten die Fälle Carsten Szczepan­s­ki und Toni Stadler — zwei Neon­azis, die als V‑Männer im Dien­ste des bran­den­bur­gis­chen Ver­fas­sungss­chutzes in der recht­sex­tremen Szene und neo­faschis­tis­chen Organ­i­sa­tio­nen aktiv waren, diese zum Teil selb­st auf­baut­en und sich an ille­galen Hand­lun­gen beteiligten, die der Ver­fas­sungss­chutz vorge­blich zu ver­hin­dern suchte. 

Carsten Szczepan­s­ki erwarb sich bere­its zu Beginn der 1990-er Jahre einen Ruf als Neon­azi: Er war Teil der recht­sex­tremen Skin­head­szene, unter­hielt Kon­tak­te zur Führung der “Nation­al­is­tis­chen Front” und war führend daran beteiligt, einen Ableger des Ku-Klux-Klans in Deutsch­land aufzubauen. 

Obwohl 1992 bei ein­er Polizeirazz­ia vier Rohrbomben, Sprengstoff-Sub­stanzen und Zünd­vor­rich­tun­gen in ein­er von Szczepan­s­ki gemieteten Woh­nung gefun­den wor­den waren und daraufhin ein Ermit­tlungsver­fahren wegen Grün­dung ein­er ter­ror­is­tis­chen Organ­i­sa­tion gegen ihn ein­geleit­et wurde, wurde Szczepan­s­ki für diese Aktiv­itäten niemals belangt und verurteilt — ein Umstand, der Ver­mu­tun­gen nährte, dass der Neon­azi möglicher­weise bere­its zu diesem Zeit­punkt für staatliche Behör­den arbeit­ete und gedeckt wurde. 

Nach Angaben des Ver­fas­sungss­chutzes Bran­den­burg begann die Zusam­me­nar­beit mit Szczepan­s­ki erst im Jahre 1994, nach­dem er wegen ver­sucht­en Mordes an dem Nige­ri­an­er Steve Eren­hi zu ein­er hohen Frei­heitsstrafe verurteilt wor­den war und im Gefäng­nis saß. Trotz der Schwere der Tat befand sich Szczepan­s­ki bere­its Anfang 1997 wieder auf freiem Fuß und wirk­te for­t­an als V‑Mann “Pia­to” in der recht­sex­tremen Szene. 

Nach sein­er Ent­las­sung eröffnete Szczepanski/Piato einen Laden in Königs Wuster­hausen, in dem er Büch­er und Ton­träger mit recht­sradikalen Inhal­ten verkaufte, war Her­aus­ge­ber des Fanzines “Unit­ed Skins” und maßge­blich am Auf­bau der recht­sex­tremen Szene beteiligt, die er für den Ver­fas­sungss­chutz bespitzeln sollte. Er wurde Ortsvor­sitzen­der der NPD in Königs Wuster­hausen, Mit­glied im Kreisvor­stand des NPD-Kreisver­ban­des Spree­wald sowie Lan­des­or­gan­i­sa­tion­sleit­er und Beisitzer im Lan­desvor­stand der NPD Brandenburg-Berlin. 

V‑Mann “Pia­to” nahm eine Führungs­funk­tion in der recht­sex­tremen Partei ein, die er offiziell für den Ver­fas­sungss­chutz Bran­den­burg aushorchen sollte. Damit stellte er keineswegs einen Einzelfall dar: Das Parteiver­bot, das die Bun­desregierung gegen die NPD angestrengt hat­te, wurde vom Bun­desver­fas­sungs­gericht im Früh­jahr dieses Jahres zurück­gewiesen, da sich im Ver­botsver­fahren nach und nach her­ausstellte, dass die Partei regel­recht geheim­di­en­stlich unter­wan­dert ist. Angesichts des Umstandes, dass min­destens jedes siebte Führungsmit­glied der Partei als V‑Mann aktiv war, sah sich das Gericht damit kon­fron­tiert, dass Mitar­beit­er des Ver­fas­sungss­chutzes als Pro­voka­teure in der NPD möglicher­weise selb­st die Beweise pro­duziert hat­ten, mit denen das Ver­bot der Partei begrün­det wer­den sollte. 

Im Fall Toni Stadler kam dem Ver­fas­sungss­chutz Bran­den­burg sog­ar noch viel unmit­tel­bar­er eine Ver­ant­wor­tung für die von dem Neon­azi began­genen Straftat­en und die Ver­bre­itung von recht­sex­tremer Pro­pa­gan­da zu. 

Stadler betrieb einen recht­sex­tremen Szene-Laden mit ein­schlägiger Lit­er­atur und Musik und war an der Her­stel­lung und dem Ver­trieb der CD “Noten des Has­s­es” beteiligt, auf der die “White Aryan Rebels” zu Kinder­schän­dung, Verge­wal­ti­gung und Mord an Aus­län­dern, Juden und poli­tis­chen Geg­n­ern der Neon­azis aufriefen. 

Kurz nach­dem Stadler den Auf­trag zur Pro­duk­tion des Book­lets und Aufk­le­bers zur CD erhal­ten hat­te, wurde er vom Ver­fas­sungss­chutz Bran­den­burg als V‑Mann ange­wor­ben. Stadlers Bekan­nter Mirko Hesse, der den Kon­takt zu einem aus­ländis­chen CD-Press­werk her­stellte, arbeit­ete der­weil als V‑Mann für das Bun­de­samt für Ver­fas­sungss­chutz. Mit Wis­sen und Rück­endeck­ung bei­der Behör­den ver­bre­it­eten die Neon­azis die CD mit den Mor­daufrufen, die in ein­er Auflage von 3.000 Stück pro­duziert wor­den war und wegen des großen Erfol­gs unter den Augen der Ver­fas­sungss­chützer eine zweite Auflage erleben sollte. 

Die V‑Leute flo­gen schließlich auf, als die Berlin­er Polizei, die von Stadlers und Hess­es Tätigkeit für den Ver­fas­sungss­chutz nichts wusste, gegen den recht­sex­tremen Musikver­trieb vorg­ing. Der Ver­fas­sungss­chutz hat­te zuvor alles Erden­kliche getan, um Stadler vor der Polizei zu schützen: Sein V‑Mann-Führer warnte ihn vor Haus­durch­suchun­gen, stat­tete ihn mit einem “sauberen” Com­put­er aus und riet zur Anlage eines “Bunkers” für die indizierte Ware, die sich in Stadlers Laden befand. 

“Ohne die Hil­fe des Ver­fas­sungss­chutzes in Bran­den­burg wäre die recht­sex­trem­istis­che CD der Neon­az­iband White Aryan Rebels nicht zu Stande gekom­men”, fasste der Berlin­er Ober­staat­san­walt Jür­gen Heinke im Prozess gegen Stadler die Fak­ten zusam­men. Der Vor­sitzende Richter Hans-Jür­gen Brün­ing erk­lärte in seinem Urteil, die Straftat­en des Angeklagten seien “unter den Augen und in Ken­nt­nis ein­er staatlichen Behörde” verübt wor­den und der Ver­fas­sungss­chutz habe es “in der Hand gehabt, die Tat im Keim zu erstick­en”. Er schloss die Urteils­be­grün­dung mit der für einen Richter höchst ungewöhn­lichen Forderung nach ein­er par­la­men­tarischen Untersuchungskommission. 

Bei­de Fälle aus Bran­den­burg wer­fen ein Schlaglicht auf die Meth­o­d­en und Charak­tere, mit denen der Ver­fas­sungss­chutz arbeit­et. In Bran­den­burg gibt es keine Dien­stvorschriften, in denen geregelt ist, welche Hand­lun­gen V‑Leuten erlaubt sind und welche nicht. Innen­min­is­ter Jörg Schön­bohm (CDU) vertei­digt diese Prax­is offen­siv: Bei Straftat­en, die von V‑Leuten began­gen wer­den, müsse es einen Ermessensspiel­raum geben, denn sie wären son­st durch Mut­proben leicht zu enttarnen. 

Der bran­den­bur­gis­che Min­is­ter­präsi­dent Matthias Platzeck stellte sich angesichts der Kri­tik am Innen­min­is­teri­um im Fall Stadler demon­stra­tiv hin­ter Schön­bohm und erk­lärte, Bran­den­burg brauche einen “leis­tungs­fähi­gen”, keinen “gläser­nen” Ver­fas­sungss­chutz. Im gle­ichen Sinne hat die Par­la­men­tarische Kom­mis­sion im Pots­damer Land­tag zur Kon­trolle des Ver­fas­sungss­chutzes das Ver­hal­ten des Geheim­di­en­stes in den bei­den Fällen der V‑Männer Szczepan­s­ki und Stadler gebil­ligt und gedeckt. Über die Zusam­me­nar­beit mit V‑Mann “Pia­to” war die Par­la­men­tarische Kon­trol­lkom­mis­sion sog­ar kon­tinuier­lich unter­richtet wor­den; im Fall Stadler legit­imierte sie das Han­deln des Ver­fas­sungss­chutz nachträglich und griff die Berlin­er Polizei wegen ihres unabges­timmten Vorge­hens gegen den CD-Ver­trieb an. 

Über ähn­liche Aktiv­itäten des Ver­fas­sungss­chutzes Bran­den­burg in dem von ihm so tit­ulierten “link­sex­trem­is­chen Spek­trum” ist in den ver­gan­genen Jahren nur wenig an die Öff
entlichkeit gedrun­gen. Da Innen­min­is­ter Schön­bohm sich darin gefällt, vor der Unter­schätzung des Link­sex­trem­is­mus zu war­nen, sind Ver­suche des Ver­fas­sungss­chutzes, Pro­voka­teure in linken Kreisen zum Ein­satz zu brin­gen, nur allzu wahrschein­lich. Ver­suche des Ver­fas­sungss­chutzes, Mit­glieder von linken Grup­pen zu Spitzel­dien­sten anzuhal­ten, wer­den regelmäßig bekan­nt, wenn ein solch­es Ange­bot von den Betrof­fe­nen zurück­gewiesen wurde. 

Im März dieses Jahres fand sich in der bran­den­bur­gis­chen Märkischen All­ge­meinen Zeitung ein Inser­at, in dem ein “Arbeit­skreis Wis­sen und Fortschritt” Neben­jobs für “poli­tik­in­ter­essierte junge Leute ab 18” anbot. Ein an dem Job zunächst inter­essiert­er Stu­dent berichtete nach einem Tre­f­fen mit ein­er Kon­tak­t­per­son, er sei aufge­fordert wor­den, gegen Bezahlung in bar Infor­ma­tio­nen über die “links­gerichtete Szene” zu liefern — “zum Beispiel aus der Friedens­be­we­gung”. Der “Arbeit­skreis Wis­sen und Fortschritt” ent­pup­pte sich bei Nach­forschun­gen als nicht exis­tent. Der Berlin­er Ver­fas­sungss­chutz hat­te wenige Monate zuvor bere­its ver­sucht, unter dem Tarn­na­men “Team Base Research” per Anzeige Stu­den­ten für das Auss­pi­onieren von linken Grup­pen zu gewinnen. 

Wie viele V‑Leute auf diese Weise gewon­nen wer­den kon­nten, ist nicht bekan­nt. Es wäre allerd­ings sträflich naiv davon auszuge­hen, dass der Ver­fas­sungss­chutz nicht mit eben solchen Mit­teln der Pro­voka­tion, wie sie aus der Neon­azi-Szene bekan­nt gewor­den sind, auch im “link­sex­trem­istis­chen Spek­trum” arbeitet. 

(1) Rolf Göss­ner, Geheime Infor­man­ten, ISBN 3–4267-7684–7, 315 Seit­en, ? 12,90.

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