(LR, 18.11.) Schüler malten Plakate, Landräte, Abgeordnete und Gewerkschaften riefen
zur Teilnahme auf, die Sonderbusse fahren voraussichtlich zuverlässiger
als der Nahverkehr sonst – in Halbe ist heute Tag der Demokraten.
Vorfälle der vergangenen Wochen und Monate zeigen jedoch: Die Demokraten
werden zwischen Dahme, Luckau, Lübben, Calau und Vetschau jeden Tag
gebraucht.
«Wir sind nicht untätig, was man aber manchmal nicht sieht und nicht
jeder weiß.»
Christoph Bartoszek,
Ordnungsamt Lübben
Drei große Plakate, die auf den Einsatz der Demokraten in Halbe gegen
braune Umtriebe hinwiesen, sind in den vergangenen Tagen in Lübben
beschmiert worden. Mitarbeiter vom Forum gegen Gewalt, Rechtsextremismus
und Fremdenfeindlichkeit konnten dem sogar etwas Gutes abgewinnen: «Wir
sind öfter als sonst darüber informiert worden. Das zeigt, dass es bei
den Bürgern eine gewisse Wachsamkeit und auch neue Wahrnehmung gibt» ,
heißt es beim Forum. Es nutze nichts, die Umtriebe der Rechten zu
verschweigen, sagen die Fachleute vom ehrenamtlich tätigen Forum, das im
Haus der Diakonie Opferberatung anbietet.
Denn die Provokationen der Szene sind Alltag in der Region. Da gibt es
immer wieder Nazi-Schmierereien am Aussichtsturm auf dem Wehlaberg bei
Krausnick. Da werden in Lübben Handzettel mit rechten Parolen aus
fahrenden Autos geworfen. Da ist der Golßener Markt Treffpunkt für
lautstarke Rechte, gegen die niemand mehr Anzeige erstatten mag. Da
kleistern Unbekannte das Ortsschild von Boblitz mit Rudolf
‑Heß-Aufklebern zu – immerhin gelang es, diese noch am gleichen Tag
wieder zu entfernen.
Manchem fielen auch die aufgemalten «Fenster» auf: Man sah sie an
Lübbener Hauswänden oder an einer Bank auf der Schiebefläche neben einem
Vetschauer Sportplatz. Doch ist das nicht der letzte architektonische
Schrei, sondern die gleichzeitig pfiffige wie ohnmächtige Beseitigung
von rechten Schmierereien im Spreewald. Denn unter den «Fensterrahmen»
verbergen sich meist Hakenkreuze. Für Lübben wird dies ebenso bestätigt
wie für Vetschau.
«Lübben ist eine saubere Stadt» , sagt der Leiter des Ordnungsamtes
Christoph Bartoszek. Vor allem rechte Schmierereien würden von
städtischen Gebäuden «möglichst schnell» entfernt. Nicht so schnell gehe
es bei privaten Eigentümern wie Supermärkten oder Wohnhäusern. «Da
müssen wir hinterher sein.»
Das eigentliche Lübbener Problem mit den Rechten hat einen Namen:
«Bunker 88» . Bis zu 40 Anhänger der rechten Szene finden sich dort
regelmäßig ein. Stadt und Polizei müssen meist machtlos zusehen, wie
sich dort die braune Suppe zusammenbraut. Das Gebäude in der früheren
Brauerei ist von privat vermietet. «Die Stadt hat dort keine Befugnis
einzuschreiten» , sagt Lübbens Rathaussprecherin Hannelore Tarnow. Auch
die Polizei könne nur anrücken, wenn es Straftaten gebe. Als Lösung des
Problems war zwischenzeitlich ein Kauf des Geländes durch die Stadt ins
Spiel gebracht worden. «Eine Fehlinterpretation» , so Hannelore Tarnow.
Allerdings würde die Stadt nach dem Muster von Delmenhorst eine
Bürgerinitiative unterstützen, die den Geländekauf über Spenden
finanzieren solle. Zumindest gelang es der Polizei Mitte Oktober, die zu
einem «Bunker» ‑Konzert anrückenden rechten Skinheads schon in den
Zufahrtsstraßen zu stoppen. Das Konzert fiel aus.
Lübben will die Probleme nicht mehr nur «in den eigenen vier
Rathaus-Wänden» behandeln. Hannelore Tarnow: «Wir werden mehr in die
Öffentlichkeit gehen, zeigen, dass wir die Probleme kennen und ernst
nehmen, aber auch die Bürger um Hilfe und alltäglichen Mut bitten.»
Gerade die Polizei sei auf Hinweise und Informationen beispielsweise bei
nächtlichen Schmierereien angewiesen. Und auf Zeugen. Die Stadt sei mit
ihrem durch gesetzliche Rahmen gezogenen Ohnmachtsgefühl «nicht
glücklich» . Deshalb seien um so mehr die Bürger gefragt. Erreichen will
man die auch durch Gespräche und Aufklärung über Symbole, Strukturen und
Verhalten der rechten Szene – wie sie in allen Lübbener Schulen geführt
wurden und werden. Ordnungsamtschef Bartoszek sagt über den «Bunker 88»
– die Zahl steht für das Signum «HH» – aber auch: «Wir sind da natürlich
nicht untätig, was man aber manchmal nicht sieht und nicht jeder weiß.»
Und wohl auch nicht sehen soll.
Wie weit rechte Gedanken, Sympathie dafür oder aber Desinteresse,
Verdrängung und Ignoranz verbreitet sind, zeigt ein Beispiel aus
Vetschau. In der Bahnhofstraße zierte ein Spruch wochenlang eine
Hauswand: «Rudolf Hess 1987 Mord» prangte dort in großen Buchstaben.
Solch ein Schriftzug fällt jedoch nicht unter die – strafbare –
Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organe. Heß,
Stellvertreter Hitlers, wird von Neonazis zum Märtyrer stilisiert.
Viele private Eigentümer haben resigniert, wenn es ums Entfernen solcher
Schmierereien geht. «Das kostet wahnsinnig viel Geld, und niemand kann
uns garantieren, dass nicht am nächsten Tag wieder was dransteht» , sagt
ein Hauseigentümer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will –
eben aus Angst, nach mehreren Vorfällen erneut Ziel von Sprühern oder
Schmierern zu werden. Dann wird offenbar auch in Kauf genommen, dass
Firmenautos unterm Nazi-Slogan parken und dass die Sprüche stehen und
buchstäblich haften bleiben, denen man zumindest eine Nähe zu rechten
Gedanken attestieren muss.
«Betreffen solche Vorkommnisse städtische Gebäude oder Flächen, wird
umgehend Anzeige erstattet, eine Fotodokumentation gemacht und dann
entfernt» , sagt Vetschaus Bürgermeister Axel Müller (SPD). Es gebe
einschlägige Tage und bekannte Orte, an denen immer wieder Schmierereien
auftauchen – meist an Einkaufsmärkten oder an Schulen.
Schwieriger wird es auch in Vetschau, wenn private Hauseigentümer
betroffen sind. «Ich sag es nicht gern, aber da sind uns die Hände
gebunden» , so Müller. Manchmal werde aus Kostengründen auf die
Reinigung verzichtet, sehr zum Leidwesen der Stadt. «Touristen, die aus
Burg nach Vetschau kommen, sehen in der Bahnhofstraße natürlich auch
solche Sprüche» , sagt Müller.
Schmierereien seien aber nur ein Teil der Auseinandersetzung, in der
Müller für einen kreativen Umgang plädiert. «Linke Schüler haben mal
Hakenkreuze auf dem Schulhof umgestaltet und somit uminterpretiert. Das
ist vielleicht besser, als wenn sich das hochschaukelt, wenn entfernt
wird, und in der nächsten Nacht werden erneut Hakenkreuze geschmiert.»
Gleichzeitig müsse der Zugang zu Schülern gefunden werden, in Gesprächen
in der Schule ebenso wie bei Freizeitangeboten oder in Vereinen. Der
Jugendklub als Gebäude mache es da nicht. Aufklärung sei wichtig, sagt
Müller. «Ich will es nicht verniedlichen, aber manchmal sind
Hakenkreuz-Schmierereien eher Streiche von dummen Jungen. Man muss die
Symbolik erkennen, die sich da fast schon in einer Parallelwelt
herausbildet.» Es gebe aber kein Patentrezept. «Die Gesellschaft wird
immer komplizierter, da kommen viele nicht mehr mit und finden schnell
Zugang zu den vermeintlich einfachen Lösungen.» Oder eben zum «Schnauze
voll» ‑Protest bei Wahlen.
Was oftmals fehle, so die Fachleute von der Lübbener Opferberatung, sei
der öffentliche Druck gegen die rechten Aktivitäten. Politische Aufrufe
seien da nur eine Seite. D
ie Jugendarbeit, die Angebote für alle
Altersgruppen müssten stabilisiert werden.
Und die Strafverfolgung dürfe nicht fehlen. Immerhin hat das Amtsgericht
Lübben im Juni einen Überfall vom Januar dieses Jahres auf einen
Jugendklub in Neu Lübbenau gegen vier Angeklagte mit Freiheits- und
Bewährungsstrafen zwischen zwei Jahren und acht Monaten geahndet.
Hintergrund Rechte Übergriffe in der Region
Die Opferperspektive Brandenburg hat für die Spreewald-Region bislang
vier Fälle rechter Übergriffe im Jahr 2006 aufgezeichnet.
Sie reichen
von verbaler Bedrohung bis hin zu Schlägen und Tritten sowie dem
Überfall auf den Jugendklub in Neu Lübbenau. Seit 2003 steigt die Zahl
der Übergriffe im Landkreis Dahme-Spreewald wieder – von drei über
sieben auf neun. 2002 waren es sogar zwölf. Im Landkreis
Oberspreewald-Lausitz waren es 2002 sieben, in den Jahren danach eine
sowie jeweils vier.
Der Verein verweist auf eine Dunkelziffer, da rechte Straftaten nur
selten angezeigt werden. Im Internet www.opferperspektive.de