Verspätete Verhandlung gegen Neonazis in Potsdam. Nach gefährlichem
Angriff lautet Anklage der Staatsanwaltschaft nur auf Brandstiftung
Vor dem Amtsgericht Potsdam beginnt am heutigen Mittwoch ein Prozeß
gegen militante Neofaschisten. Dem 23jährigen Michael G. und dem
21jährigen Thorsten S. aus Potsdam sowie dem Berliner Danny L, 26 Jahre,
wird die Beteiligung an einem Angriff auf ein linkes Wohn- und
Kulturprojekt in Potsdams Innenstadt vorgeworfen. Bei dem Angriff auf
das Haus in der Hermann-Elflein-Straße in der Silvesternacht 2002 fing
eine Etage des von mehreren jungen Menschen bewohnten Projektes Feuer.
Zuvor sollen sich die drei an einem Übergriff auf einen Jugendlichen
beteiligt haben.
Der Vorfall lief nach Angaben des Vereins »Chamäleon e.V.«, in dem sich
die Bewohner des Hauses organisiert haben, folgendermaßen ab: Zwei
lautstark den Jahreswechsel feiernde Gruppen trafen an der Kreuzung
Hermann-Elflein-Straße/Ecke Gutenbergstraße aufeinander. Dabei kam es zu
dem erwähnten Übergriff auf den Jugendlichen. Er wurde aus einer etwa
50köpfigen Gruppe heraus mehrfach geschlagen, getreten und beschimpft.
Etwa 20 der »Feiernden« begannen dann, das linke Wohnprojekt unter dem
Jubel der Umstehenden zu attackieren. Sie brachen die Fensterläden im
Erdgeschoß des Hauses auf, schlugen die Scheiben mit Eisenstangen ein
und versuchten, die Tür aufzubrechen. Das Gebäude wurde mit
Feuerwerkskörpern, teilweise aus Schreckschußpistolen, beschossen. Die
Bewohner reagierten, indem sie sich verbarrikadierten und die Polizei
verständigten. Einer der Feuerwerkskörper flog in einen Wohnraum und
entzündete Papier und Kokosmatten. Nur durch Zufall wurde der Brand
rechtzeitig entdeckt, wodurch ein Großbrand in dem denkmalgeschützten
Fachwerkhaus verhindert werden konnte. Nach zehn Minuten beendete die
Polizei die Belagerung. Allerdings wurden nur sieben der Angreifer,
darunter die drei Angeklagten, festgenommen.
Das juristische Nachspiel des Überfalls beginnt nicht nur verspätet,
sondern auch mit einem weiteren Schlag gegen die Opfer. Da die
Staatsanwaltschaft Potsdam den Vorfall als Brandstiftung und nicht als
schwere Brandstiftung zur Anklage bringt, wurden die Nebenklagen der
Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses zu dem Prozeß nicht zugelassen.
Dadurch können sie keinerlei Entschädigung für die teilweise erlittene
Traumatisierung geltend machen. Betroffene berichten laut dem Verein
»Chamäleon« noch heute von Angstzuständen beim kleinsten Geräusch auf
der Straße.
Der Vorfall war nicht der erste Angriff auf das Projekt. Immer wieder
waren Fensterläden und Türen beschädigt worden. Ein am Haus befestigtes
Transparent wurde in Brand gesetzt, Besucher und Bewohner wurden
mehrfach von Neonazis beschimpft, geschlagen, mit Bierflaschen beworfen.
Auch die Internetseite der »Anti-Antifa-Potsdam« verweist auf ihrer
»Feindliste« direkt auf das Hausprojekt. So verwundert es auch nicht,
daß das Interesse der Neofaschisten am heute beginnenden Prozeß groß
ist. Bereits bei vorangegangenen Verhandlungen kamen größere Gruppen
organisierter Neofaschisten zur Prozeßbeobachtung. Es kam zu Pöbeleien
und Drohungen, Antifaschisten wurden fotografiert, teilweise gab es nach
den Verhandlungen Übergriffe. Antifaschisten rechnen auch bei diesem
Prozeß mit einer massiven Teilnahme von Neonazis. Sie rufen daher für
den heutigen Mittwoch ab 8 Uhr zum antifaschistischen Picknick vor dem
Potsdamer Amtsgericht (Hegelallee 8) auf, das bis zum Ende des Prozesses
fortgesetzt werden soll.