Rathenow. Für die Polizei gehören sie längst zur Tagesordnung. Die
Hitler-Grüße und die Aufkleber mit einem Konterfei des
Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess. Die “Zecken” leben gefährlich in
Rathenow, in der Silvesternacht 2001/2002 erwischte es Mathias S.: Weil
vier
Rechtsradikale ihn offenbar für einen “Linken” hielten, schlugen sie in
der
Nähe eines Jugendclubs auf den 19-Jährigen ein — mit einem
Baseballschläger,
so stark, dass die Keule am Körper von Mathias S. zerbrach. Mit
schweren
Kopf- und Kieferverletzungen wurde Mathias K. nach dem Überfall ins
Krankenhaus gebracht.
Vor dem Amtsgericht der 30 000-Einwohner-Stadt beginnt am heutigen
Dienstag
der Prozess gegen die Gruppe Rechtsradikaler. Die vier Angeklagten -
alle
sind unter 20 Jahre alt — sind nach Angaben des Vereins
“Opferperspektive”
Mitglieder des harten Kerns der rechtsradikalen Szene im unweit von
Rathenow
gelegenen Premnitz. Kay Wendel vom Verein “Opferperspektive” wird den
19-Jährigen auch während der Gerichtsverhandlung beistehen.
Ein Fall, der im Westhavelland kein Einzelfall ist. Immer wieder kommt
es im
Großraum Premnitz/Rathenow zu Übergriffen von Rechtsradikalen auf
Ausländer,
Asylbewerber oder linke Jugendliche. In einem Memorandum hatten
Asylbewerber
vor drei Jahren sogar gefordert, wegen der ständigen Übergriffe und
Beleidigungen in ein anderes Bundesland verlegt zu werden. Der Fall
hatte
damals bundesweit für großes Aufsehen gesorgt.
Kay Wendel von der “Opferperspektive” schätzt die Anzahl gewaltbereiter
Jugendlicher in Premnitz und Rathenow “auf insgesamt etwa 120 bis 140”
ein.
Wendel: “Die rechte Szene im Westhavelland gehört zu den militantesten
in
ganz Brandenburg. Aber sie hat keinen wirklich politischen Anspruch.”
Die Polizei im Landkreis Havelland versucht, dem Problem mit massiver
Präsenz an den Treffpunkten der Szene beizukommen. Berühmt-berüchtigt
war in
Rathenow jahrelang die Schillerstraße, wo sich die Rechten auch in
einschlägigen Kneipen trafen. Mehr als 30 Beamte des
Sonderkommissariats
“Tomeg” (täterorientierte Maßnahmen gegen extremistische Gewalt) stehen
den
jungen Rechten seit Jahren auf den Füßen. “Wir wollen ihnen klarmachen:
Wir
wissen, wer ihr seid, und wir wissen, wo ihr euch trefft”, sagt die
Leiterin
der Polizei im Landkreis Havelland, Silke Sielaff. Durch die massive
Präsenz
der Beamten sei die Zahl der Taten in den vergangenen Monaten auch
spürbar
zurück gegangen.
Wurden im Jahr 2000 noch 87 Straftaten mit politischem Hintergrund in
Premnitz/ Rathenow gezählt, so waren es nach der Gründung der
Spezialeinheit
ein Jahr später nur 69 und im vergangenen Jahr 47 — “Tendenz weiter
fallend”, so Sielaff. Aber: “Klar ist uns auch, dass die Gewalt der
Rechten
wieder zunähme, würden wir das Feld räumen”, ergänzt der Sprecher der
Potsdamer Polizei, Rudi Sonntag. An eine Auflösung des Kommissariats
wird
derzeit allerdings nicht gedacht.
Am vergangenen Wochenende kam es erneut zu Gewaltexzessen in Rathenow.
Nach
einer Demo von meist jugendlichen Antifaschisten anlässlich des
Kriegsendes
vor 58 Jahren schlugen Stunden nach Ende der Demonstration am
Samstagabend
mehr als 30 Linke und Rechte aufeinander ein. Bilanz der politisch
motivierten Krawallnacht: drei Verletzte und 19 festgenommene
Jugendliche
aus der rechten Szene wegen Landfriedensbruchs. Gegen einige werden
Ermittlungsverfahren gestartet.