Beschimpft, gefoltert, totgetreten und verscharrt
Heute beginnt der Prozess um den grausamen Tod von Marinus Schöberl aus Potzlow
(BM) Vier junge Männer in einem Gemenge aus rechtsradikalen Phrasen und
literweise Alkohol: Im Neuruppiner Mordprozess müssen die Richter herausfinden, wie
genau und warum der 17-jährige Schüler sterben musste und warum die drei
anderen zu Mördern wurden.
Neuruppin — Die Erklärung scheint schlüssig: Natürlich war es dieser Film;
ausgestrahlt im Fernsehen, auszuleihen in jeder gut sortierten Videothek.
Diese Szene aus “American History X”, in der ein Skinhead namens Derek einen
farbigen Autodieb zwingt, in die Kante eines Bürgersteigs zu beißen und ihm einen
tödlichen Tritt in den Nacken gibt. Bei einer Vernehmung hatte der
17-jährige Marcel S. — der sich ab heute mit zwei Kumpanen wegen gemeinschaftlichen
Mordes vor dem Landgericht Neuruppin verantworten muss — plötzlich von dieser
Szene erzählt. Und dass er sie am 12. Juli 2002 im uckermärkischen Dorf
Potzlow mit aller Konsequenz nachgespielt habe.
Das Opfer war sein Freund Marinus Schöberl. Der 16-Jährige musste, nachdem
er stundenlang gemartert worden war, in einen Futtertrog beißen. Ob er am
Tritt gegen seinen Hinterkopf starb oder nachdem ihn seine Peiniger in der
ausgetrockneten Jauchegrube eines verlassenen Schweinestalls verscharrten, ist
nicht bekannt.
Wie die drei zu Mördern werden konnten, weiß niemand zu sagen. Das
560-Seelen-Dorf Potzlow ist aber nicht die rechtsextreme Hochburg, zu der es von
vielen stilisiert wurde. Einer der drei Täter, der 23-jährige Marco, war wenige
Tage vor dem Mord im Dorf wegen seiner rechtsradikalen Sprüche verprügelt
worden. Es gibt im Nachbarort ein Jugendzentrum, das für die umliegenden Dörfer
zuständig ist. Marcos jüngerer Brüder Marcel sei “oft gekommen”, so Ina
Schubert, Vorsitzende der Kindervereinigung Strehlow e.V. Man habe sich “vernünftig
mit ihm unterhalten” können. Die Familie der Brüder schien intakt. “Die
Kinder waren immer sauber und ordentlich gekleidet, die Eltern haben sich
gekümmert”, sagt der damalige Bürgermeister Peter Feike. Aber mit Marco waren sie
wohl überfordert.
In “American History X”, trägt Derek ein tätowiertes Hakenkreuz auf der
Brust. Der mit 23 Jahren etwa gleichaltrige Marco S. aus Potzlow hat sich im
Gefängnis auf die Wade den Spruch “Rotfront verrecke” tätowieren lassen. Marco
hat einen Sprachfehler, besitzt nur den Abschluss der siebten Klasse, ist mit
dem IQ 56 debil. Es heißt, er sei schon im Kindergarten gehänselt worden. Und
das zieht sich dann durch sein ganzes Leben. Immer war er der Schwächere, der
Verspottete. Dieses Gefühl hatten auch Bier und Schnaps, die er schon seit
dem zwölften Lebensjahr trank, nicht ersticken können.
Bei einem seiner Prozesse, erzählt Verteidiger Matthias Schöneburg, habe
Marco vom Hass auf Scheinasylanten gesprochen. Was Scheinasylanten seien, fragte
der Richter. Marco zuckte mit den Schultern. Erfolg hatte er zumindest bei
seinem 17-jährigen Bruder Marcel. Der kleidete sich erst als Hip-Hopper und
färbte sich das Haar. Als Marco im Juli 2002 nach drei Jahren aus dem Gefängnis
kam, ließ sich Marcel den Schädel rasieren.
Auch hier gibt es Parallelen zu “American History X”, wo der ebenfalls kahl
geschorene 16-jährige Danny seinen Bruder Derek nach einem
Gefängnisaufenthalt empfängt. Doch hier driften dann Fiktion und Realität
auseinander. Der
Film-Derek hat sich im Knast von der rechten Szene abgewandt. Er ist intelligent,
war bewusst Skinhead und ist es dann ganz bewusst nicht mehr. Aber Marco aus
Potzlow will nicht raus aus dieser tätowierten Haut, die den Blick der
anderen auf ihn lenkt und einen anderen Kerl aus ihm zu machen scheint, als diesen
stotternden, schwerfälligen, belächelten.
Er wird darin an jenem 12. Juli bestärkt durch den 17-jährigen Sebastian,
den Marcel bei einem berufsfördernden Lehrgang kennen lernte. Auch er kahl
geschoren. Auch er Sonderschüler. Zu dritt ziehen sie durchs Dorf, trinken
Unmengen Bier, fühlen sich stark und treffen schließlich auf Marinus. Der kleidet
sich immer noch als Hip-Hopper. Das hatte bisher weder Marcel noch Marco
gestört. Und das missfällt ihnen anfangs auch an diesem Tage nicht. Marinus läuft
mit, trinkt mit, fühlt sich ebenfalls stark.
Doch die Stimmung schlägt unvermittelt um, als Sebastian sagt, Marinus sehe
in seinen Schlabberhosen und mit seinem blond gefärbten Haar “wie ein Jude”
aus. Es lässt sich viel hinein deuten in diesen Beginn eines entsetzlichen
Szenarios, das der Neuruppiner Oberstaatsanwalt Gerd Schnittcher als “so
grausam, dass man die Einzelheiten auch nicht ansatzweise schildern kann”
umschreibt. Vielleicht war Marinus im Dunst des Alkohols ja tatsächlich ganz plötzlich
der verhasste Hip-Hopper. Vielleicht war der lernbehinderte Junge, der wie
Marco einen Sprachfehler hat, einfach nur der Schwächste in dieser Runde. In
“American History X” gibt es am Ende einen Monolog des 16-jährigen Danny: “Hass
ist Ballast. Das Leben ist einfach zu kurz dafür, dass man immer wütend
ist.” Der 17-jährige Marcel zeigte Dorfbewohnern vier Monate nach dem Mord, wo er
und seine Kumpane die Leiche verbargen. Er soll das getan haben, um eine
Handvoll Euro zu bekommen. Das passt trefflich zu dem Bild vom skrupellosen und
dumpfen Neonazi. Vielleicht konnte er mit diesem Schweigen aber auch einfach
nicht mehr leben.
Prozessauftakt um brutalen Mord an Schüler in Potzlow
(MAZ) Neuruppin — Vor dem Landgericht Neuruppin hat der Prozess um den brutalen
Mord an dem 16-jährigen Marinus Schöberl aus Potzlow (Kreis Uckermark)
begonnen. Vor der Jugendkammer des Gerichts müssen sich zwei 17 und 23 Jahre alte
Brüder aus Potzlow und ein weiterer 17-Jähriger wegen gemeinschaftlichen Mordes
verantworten. Sie sollen laut Staatsanwaltschaft das Opfer im Juli 2002
bestialisch gequält, getötet und in einem stillgelegten Stallgebäude in Potzlow in
einer Jauchegrube vergraben haben.
Der Vorfall war vier Monate später durch Zufall bekannt geworden und hat
wegen seiner Grausamkeit weit über die Grenzen Brandenburgs hinaus für Entsetzen
gesorgt. Die Ermittlungen haben laut Staatsanwaltschaft ergeben, dass die
Täter das spätere Opfer wegen Kleidung, Frisur und gewisser Sprachstörungen als
minderwertig ansahen. Nach dem Fund der Leiche im November vergangenen
Jahres war mit Trauergottesdiensten und Schweigemärschen des Opfers gedacht
worden.
«Fall Potzlow» vor Gericht — 16-Jähriger grausam ermordet
(MOZ) Neuruppin (ddp-lbg). Vor der Jugendstrafkammer des Landgerichts Neuruppin
hat am Montag der Prozess um die Ermordung eines 16 Jahre alten Jungen im
nordbrandenburgischen Potzlow begonnen. Angeklagt sind drei junge Männer aus
Potzlow und Templin im Alter von 18 und 24 Jahren. Die Staatsanwaltschaft wirft
ihnen vor, im Juli 2002 den Schüler Marinus Schöberl aus niederen Beweggründen
und zur Verdeckung einer vorangegangenen Körperverletzung ermordet und die
Leiche in einem Stall in Potzlow in einer Jauchegrube vergraben zu haben. Zwei
der Täter sind Brüder. Dem älteren von ihnen droht eine lebenslange Haft. Der
Jüngere und der zur Tatzeit ebenfalls minderjährige dritte Angeklagte fallen
unter das Jugendstrafrecht. Ihnen droht eine Höchststrafe von zehn Jahren.
Der
«Fall Potzlow» hatte wegen seiner Grausamkeit bundesweit für Entsetzen
gesorgt. Die Ermittlungen haben laut Staatsanwaltschaft ergeben, dass die
Täter ihr Opfer wegen Kleidung, Frisur und gewisser Sprachstörungen als
minderwertig ansahen. Die Anklage geht von einem rechtsextremistischen Motiv für die
bestialische Tat aus. Nach dem Fund der Leiche im November 2002 war mit
Trauergottesdiensten und Schweigemärschen des Opfers gedacht worden.
Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt. Insgesamt sind zehn
Verhandlungstage anberaumt. Für den 18. Juni wird das Urteil erwartet.
Erinnern tut weh
Vor einem Jahr wurde in Potzlow ein 16-Jähriger brutal von Rechten ermordet.
Heute beginnt in Neuruppin der Prozess gegen die drei Täter.
(Tagesspiegel) Neuruppin. Das Kreuz vor dem Eingang zum ehemaligen Schweinestall von
Potzlow in der Uckermark ist mit Unkraut überwuchert. Brennnessel wächst, wilde
Blumen, etwas Löwenzahn und dazwischen liegen Kranzschleifen, die vor ein paar
Monaten noch bunt glänzten. Die Kuscheltiere sind vom vielen Regen
aufgeweicht. Die Menschen in Potzlow machen offenbar einen großen Bogen um dieses
Kreuz,
das an eines der brutalsten Verbrechen der jüngeren Vergangenheit in
Brandenburg erinnern soll. Der 16-jährige Schüler Marinus Schöberl kam hier auf
“viehische Art” ums Leben, wie es der Leitende Oberstaatsanwalt Gert Schnittcher
formulierte.
Seine mutmaßlichen Mörder müssen sich ab dem heutigen Montag vor dem
Landgericht in Neuruppin verantworten. Angeklagt sind drei Männer im Alter von 17,
18 und 23 Jahren aus Potzlow und Templin. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen
Nötigung, gefährliche Körperverletzung, versuchten Mord und Mord vor. Sie
sollen am 12. Juli vergangenen Jahres den 16-Jährigen in einem stillgelegten
Stallgebäude “zur Verdeckung einer vorangegangenen Körperverletzung und aus
niedrigen Beweggründen getötet haben”, heißt es in der Anklageschrift der
Staatsanwaltschaft.
Marinus Schöberl war ein ruhiger, schüchterner Junge, einer, der die
Sonderschule besuchte und eine Sprachstörung hatte. Eines von sieben Kindern.
Am jenem 12. Juli machte er sich wie so oft von seinem Heimatdorf Gerswalde
auf den Weg zum nicht weit entfernten Potzlow. Der 16-jährige Marinus
Schöberl blieb oft über Nacht in dem Dorf und schlief dann meistens in dem leeren
Schweinestall. Die verhängnisvollen Geschehnisse begannen an einem Sommerabend
in einer Potzlower Wohnung. Zwei Brüder, 23 und 17 Jahre alt, und ein
18-Jähriger tranken zusammen mit drei Erwachsenen sehr viel Alkohol. Marinus war
dabei. Aber dann begannen die Jüngeren ihn zu ärgern und betrachteten ihn
plötzlich als einen Feind. Seine blond gefärbten Haare und die weiten
Hipp-Hopp-Hosen dienten dem laut der Staatsanwaltschaft rechtsextremistisch
eingestellten
Täter-Trio als Vorwand für eine ganze Kette von Provokationen.
In deren Mittelpunkt stand die Aufforderung an den körperlich unterlegenen
Jungen, sich als “Jude” zu bekennen. Nach Schlägen und Tritten gab Marinus
dann das verlangte “Bekenntnis” ab. In einer weiteren Wohnung in Potzlow wurden
die Torturen gegen Marinus Schöberl noch mal verschärft.
Vorbild für die Tat soll der Hollywood-Streifen “American History X” gewesen
sein, in dem ein Neonazi zwei Schwarze brutal ermordet. Die Tötungsart weist
jedenfalls Parallelen auf. Einer der angeklagten Jugendlichen gab an, diesen
Film vorher gesehen zu haben. Im Film zwang der Skinhead sein Opfer, in den
Bordstein zu beißen, um dann gegen den Kopf zu treten.
Im Potzlower Schweinestall, in den die drei Angeklagten Marinus verschleppt
hatten, muss es ähnlich abgelaufen sein. Am Boden liegend, musste der
17-Jährige mehrere Tritte gegen den Kopf ertragen. Sie waren tödlich. Das Opfer
wurde in einer Jauchegrube vergraben und erst im November gefunden, nachdem einer
der Angeklagten mit der Tat geprahlt hatte.
Am Landgericht in Neuruppin sind zehn Verhandlungstage vorgesehen. Das
Urteil soll am 18. Juni gesprochen werden. Möglicherweise wird die Öffentlichkeit
ausgeschlossen, weil einer der Angeklagten zum Tatzeitpunkt unter 18 Jahre
alt war.
Rechtsradikale Mörder aus Potzlow stehen vor Gericht
Landgericht Neuruppin verhandelt Mord an Marinus Schöberl
(MAZ, 25.5.) NEURUPPIN/POTZLOW Es gibt wohl kein Wort, das den Tod von Marinus Schöberl angemessen beschreibt. Neuruppins Leitender Oberstaatsanwalt Gerd Schnittcher hat es versucht, nachdem das Skelett des 16-Jährigen am 15. November vergangenen Jahres aus einer Jauchegrube in dem uckermärkischen Dorf Potzlow geborgen worden war. Das Verbrechen sei “viehisch” gewesen, sagte Schnittcher mit abwesendem Blick. Wer die Einzelheiten des Todes kennt, weiß, dass hier jedes Wort versagt. Tiere sterben nicht so.
Und eine Erklärung für die Tat? Ausschlaggebend war vielleicht die rechtsextreme Gesinnung der drei jungen Angeklagten, wie der Staatsanwalt annimmt und in der Anklage zu dem Mordprozess betont, der am Montag im Neuruppiner Landgericht beginnt.
Vielleicht musste Marinus wirklich wegen seiner blond gefärbten Haare und seiner weitgeschnittenen Hose sterben, die den Schlägern als undeutsch galt, als weibisch. Zumindest zwei Angeklagte, der 17-jährige Sebastian F. und der 23 Jahre alte Marco S., waren überzeugte Rechtsextreme — was man Überzeugung nennen möchte bei einem IQ von weit unter 60 wie bei Marco.
“Diese monokausale Erklärung reicht nicht aus, die eigentlichen Abgründe liegen viel tiefer”, entgegnet Anwalt Volkmar Schöneburg, der Marcos 17-jährigen Bruder Marcel S. verteidigt. Das Wesen des späteren Haupttäters ist kaum fassbar. Mal stolzierte Marcel in Springerstiefeln und mit Glatze durchs Dorf und demonstrierte für die NPD. Mal konsumierte er Haschisch, bis Marco ihm Prügel androhte, weil ein Neonazi keine Drogen nehme, sondern Bier.
Es kam vor, dass auch Marcel in weiten Hosen umherlief und sich die Haare blau färbte. Marcel nannte sich “Raver”, berichten Bekannte. In dieser Zeit stand Marcel, der spätere Täter, seinem Kumpel Marinus, mit dem er gemeinsam oft an Mopeds bastelte, näher als seinem Bruder, dem rechtsextremen Schläger.
In der Morgendämmerung des 13. Juli war es dennoch Marcel, der Marinus tötete. Während dieser in die Steinkante eines Schweinetrogs beißen musste, sprang Marcel ihm mit beiden Beinen ins Genick. Marinus kippte zur Seite und röchelte noch schwach.
“Der wird nicht mehr, den können wir keinem Arzt mehr vorstellen, den müssen wir jetzt umbringen”, soll Marco gesagt haben. Marcel schmettert danach zweimal einen Gasbetonstein auf Marinus Schädel. Die Täter zerrten den Leichnam zu einer Jauchegrube auf dem Gelände der verlassenen LPG, wühlten ein Loch und bedeckten Marinus mit Schlamm.
Tage später narrte Marcel die Polizei. Marinus habe ein Auto gestohlen und sei wohl geflüchtet. Die Fahnder glaubten die Lüge. Vermutlich wäre Marinus Leiche jahrelang unentdeckt geblieben, hätte nicht vier Monate später Marcel selbst alles verraten.
Wenige Wochen vor dem Verbrechen am 12./13. Juli hatte sich die Stimmung bei den Jugendlichen in Potzlow geändert. Zunächst schien der Wandel unbedeutend. Marcel betonte, er sei nun rechts. Marco werde bald aus der Haft entlassen, und der sei rechts. Marcel hetzte gegen Ausländer.
Marco wurde immer meh
r zum Vorbild. “Ich möchte so werden wie mein Bruder. Der hat bewiesen, dass er super cool ist, der hat einen Neger verprügelt”, soll Marcel gesagt haben. “Marco hatte sicherlich eine wichtige Rolle für den Bruder gespielt, aber er hat das nicht verlangt”, verteidigt Rechtsanwalt Matthias Schöneburg seinen Mandanten, der bis heute schweigt.
Am Tag vor Marcos Rückkehr aus dem Gefängnis rasierte Marcel sich eine Glatze. Am Mittwoch, dem 3. Juli, zehn Tage vor der Tat, traf Marco in Potzlow ein. Sofort trank er wieder unmäßig viel Alkohol, obwohl er wusste, wie aggressiv ihn das machte.
Kurz darauf feierte das Dorf ein Fest, bei dem Marco von anderen Jugendlichen verprügelt wurde. Er wagte sich erst wieder aus dem Haus, als Marcel ihm durch Freunde Schutz versprach. Marcos Bild vom starken Mann war zerstört. Er empfand nur noch Hass — wie acht Jahre zuvor.
Die Eltern waren 1994 soeben nach Potzlow gezogen, als Jugendliche Marco zusammenschlugen und ihm einen toten Aal um den Hals banden. Es geschah noch mehr. Es muss ein tiefer Einschnitt in Marcos Leben gewesen sein. Rache trieb ihn, er trank noch mehr als die tägliche Flasche Schnaps. Gelegentlich dreht er Katzen den Hals um.
Am Nachmittag des 12. Juli 2002 traf Marcels Freund, der 17-jährige Sebastian F. aus Templin, in Potzlow ein, um Marcos Haftentlassung zu feiern. Sebastian F. war gewalttätig, bekannt dafür, sinnlos zu prügeln. Er galt als “mega rechts”. Es heißt, er wolle “unbedingt mal zur Wehrmacht und an der Front kämpfen”. Diese Erfahrung sei wichtig. Ausländer in Deutschland sollten seiner Ansicht nach im Steinbruch arbeiten, weil Konzentrationslager nicht mehr zeitgemäß seien.
Gegen 19 Uhr an jenem Freitag besuchten Marco, Marcel und Sebastian einen Bekannten. Später kam Marinus hinzu. Die Stimmung blieb trotz großer Mengen Alkohol friedlich. Kurz nach Mitternacht zogen die vier jungen Männer weiter und setzten das Trinkgelage in der Wohnung einer Bekannten fort. Dort begann Marinus Martyrium. Im Beisein mehrerer Erwachsener wurde der 16-Jährige drei Stunden lang gedemütigt und geschlagen. Sebastian F. urinierte auf den am Boden Liegenden und sagte: “Juden trinken das doch gern.” Aus Furcht vor weiteren Schlägen stammelte Marinus, wie befohlen, er sei Jude. Doch statt der erhofften Erlösung wurden die Schläge noch heftiger. Bei dem letzten Faustschlag ins Gesicht kippte Marinus rücklings vom Stuhl.
Für die Staatsanwaltschaft ist Marinus systematisch entmenschlicht worden. Als er sagte, er sei Jude, habe er nach dem Verständnis der rechtsextremen Täter jedes Recht verwirkt, als Mensch behandelt zu werden.
Dennoch eskalierte die Gewalt nicht sofort. Zunächst radelten die drei Täter davon und ließen den Verletzten in der Wohnung zurück. Kurz darauf machten sie kehrt, um Marinus noch etwas mehr Angst einzujagen. Auf der Fahrt zum Schweinestall der LPG soll Marinus gewimmert haben. Der Staatsanwalt denkt nicht, dass die Täter den Tod schon auf dem Weg besiegelt hätten. Erst als Marinus in die Knie gezwungen wurde und in die Steinkante beißen musste, sei er zum Tode verurteilt gewesen. Diese Situation war einer Szene aus dem Spielfilm “American History X” nachgestellt, in der ein Neonazi einem Schwarzen das Genick zertritt. Marcel S. hatte den Film kurz zuvor zweimal gesehen.
Drei Monate später, Mitte Oktober, begann Marcel immer wieder zu erzählen, er und sein Bruder Marco hätten einen Penner erschlagen und in eine Jauchegrube geworfen, weil ihnen das Gesicht des Mannes nicht gefallen habe. Das sei “ein richtig guter Kick” gewesen.
Niemand glaubte Marcel. Schließlich wettete er mit zwei Bekannten um 25 Euro, er könne eine Leiche zeigen. 18 Wochen nach der Tat, es war wieder Freitag, führte Marcel sie zur der Jauchegrube. Er legte Teile der Leiche zunächst vorsichtig frei. Dann zertrümmerte Marcel mit einem mitgebrachten Beil den Schädel seines toten Kumpels.