Potsdam – In Potsdam stehen gleich mehrere größere Prozesse gegen radikale Linke und Rechtsextremisten bevor. Wie der Tagesspiegel aus Sicherheitskreisen erfuhr, hat die Staatsanwaltschaft vergangene Woche gegen die Linke Julia S. Anklage wegen versuchten Mordes erhoben. Die Behörde wirft der 22-Jährigen vor, sie habe in der Nacht zum 19. Juni in Potsdam mit vier weiteren Linken einen mutmaßlichen Rechtsextremisten überfallen und misshandelt. Dabei soll der 16-jährige Benjamin Ö. mit einem Teleskopstock geschlagen worden sein. Die vier Mitbeschuldigten werden vermutlich in den kommenden Tagen auch eine gleich lautende Anklage erhalten. Der Angriff auf Ö. wird trotz dessen nur geringer Verletzungen als versuchter Mord gewertet, da ein Teleskopstock als lebensbedrohliches Tatwerkzeug gilt. Und als Motiv wird Hass auf den politischen Gegner angenommen, damit wäre das bei Mord und Mordversuch typische Merkmal des niederen Beweggrunds gegeben.
Außerdem hat die Staatsanwaltschaft Ende Oktober fünf mutmaßliche Mitglieder der rechten Szene ebenfalls wegen versuchten Mordes angeklagt. Die vier Männer und eine Frau sollen am 3. Juli in Potsdam zwei Linke schwer verletzt haben. Möglicherweise handelte es sich um einen Racheakt nach dem Angriff der Linken vom Juni.
Der Fall Julia S. hat bereits viel Aufmerksamkeit erregt. Die linke Szene hält die Frau für unschuldig und betreibt eine Solidaritätskampagne. Julia S. ist Sprecherin des linken Potsdamer Wohnprojekts Chamäleon, das Neonazis mehrmals überfallen haben. In der Nacht zum 19. Juni erkannte die linke Gruppe um Julia S. nahe dem Nauener Tor offenbar Benjamin Ö. als Anhänger der rechten Szene. Nach Erkenntnissen von Polizei und Staatsanwaltschaft vermummten sich die Linken und prügelten auf Ö. ein. Einer der Angreifer soll mit dem antennenartigen, 50 Zentimeter langen Teleskopstock dem Rechtsextremisten auf den Kopf und gegen den Rücken geschlagen haben. Julia S. werden Tritte vorgeworfen. Benjamin Ö. erlitt eine Platzwunde am Kopf und Prellungen. Gäste eines nahen Cafés schritten ein und hielten die Linken fest, bis die Polizei kam.
Die linke Szene kritisiert, dass Julia S. versuchter Mord vorgeworfen wird, obwohl sie offenkundig nicht mit dem Teleskopstock schlug. In Sicherheitskreisen hieß es aber, allen Angreifern sei das gesamte Tatgeschehen zuzuordnen. Unklar bleibt, ob der bei den Festnahmen beschlagnahmte Teleskopstock die Tatwaffe war. An dem Gerät fanden sich keine Blutspuren. Julia S. sitzt nun seit mehr als vier Monaten in Untersuchungshaft. Die vier Mitbeschuldigten bekamen Haftverschonung, da sie zur Tatzeit keine 21 Jahre alt waren und deshalb Jugendstrafrecht angewendet wird.
Zwei Wochen nach dem Vorfall wurden nahe dem ersten Tatort zwei Linke Opfer eines Angriffs. Eine Gruppe Berliner und Brandenburger Rechtsextremisten erkannte die beiden von der Straßenbahn aus. Ein Neonazi zog die Notbremse, der Pulk stürmte aus der Bahn heraus. Die Opfer wurden durch Schläge mit Bierflaschen auf den Kopf und Tritte brutal misshandelt. Ein Angreifer soll einem Linken mit voller Wucht mehrmals ins Gesicht getreten haben. Das Opfer erlitt eine Gehirnerschütterung und Hämatome. Dem zweiten Linken wurde mit einer abgebrochenen Flasche ins Gesicht gestochen. Der bislang erhobenen Anklage gegen fünf Personen soll eine weitere gegen sechs Beschuldigte folgen. Vier mutmaßliche Angreifer sitzen in Untersuchungshaft.