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Rassismus: Theorie und Praxis

In der Abschiebe­haf­tanstalt Eisen­hüt­ten­stadt fes­seln und demüti­gen Weiße Beamte eine Schwarze Frau, weil sie Gren­zen über­schrit­ten hat. Ins­ge­samt 37h und 55min liegt Alice, das Opfer in Fes­sel . Ein Weißes Gericht entschei­det am 21. Sep­tem­ber 2007 in Frankfurt/Oder darüber, ob sie dies durften. Momen­tan sieht es danach aus, dass das Gericht diese Prax­is für recht­skon­form hält. Mit Ras­sis­mus hat das alles ange­blich nichts zu tun.
Ein Ver­such zu begrün­den, warum es sich lohnt diesen Prozess zu beobachten.

Mit Anfang Zwanzig arbeit­ete Alice als Au-pair in der Nähe von Hei­del­berg. Anschließend entsch­ied sie sich noch ein wenig länger zu bleiben. Sie lebte in ein­er bran­den­bur­gis­chen Kle­in­stadt – hat­te dort einige Fre­unde, sie fuhr gele­gentlich nach Berlin oder auch weit­er weg. Eigentlich nichts ungewöhn­lich­es, wenn Alice eine franzö­sis­che, spanis­che oder ital­ienis­che Schu­la­b­sol­ventin wäre. Nur: Alice kommt aus Kenia und Alice ist nicht Weiß. Das wurde ihr zum Verhängnis.
Es lohnt sich nicht auf alle Details einzuge­hen. Einige Zeit nach dem Aus­laufen ihres Visums ver­hängte der Eisen­hüt­ten­städter Amt­srichter Müller auf Antrag der Aus­län­der­be­hörde in einem Gerichtsver­fahren, dass den Namen nicht ver­di­ent, Abschiebe­haft. Bere­its drei Tage vor der Ver­hand­lung wurde Alice einges­per­rt – ohne Rechts­grund­lage und ohne Rechts­bei­s­tand. Alice, die – sieht man von den vie­len aus­län­der­rechtlichen Schika­nen und den alltäglichen Ras­sis­mus ein­mal ab – ein recht nor­males Leben führte – fand sich nun im Gefäng­nis wieder. Wohlge­merkt ohne etwas getan zu haben. Noch in der Ver­hand­lung betont sie: 

„Ich möchte nicht in Abschiebe­haft, weil ich meine Bewe­gungs­frei­heit möchte. Ich bin ein Men­sch und habe Rechte, die ich auch wahrnehme. Ich habe keinen Pass und kann deshalb nicht nach Kenia reise.. Ich habe auch gesund­heitliche Prob­leme. Ich möchte in Deutsch­land bleiben.“

Genutzt hat ihr das nicht. Alice war eine starke und selb­st­be­wusste Frau, die sich eben nicht alles gefall­en ließ. Eine Angestellte der Abschiebe­haftein­rich­tung meinte später erkennbar empört: 


„Jegliche Auf­forderun­gen und Anweisun­gen durch das Per­son­al wer­den von ihr ignori­ert und in Frage gestellt. Dabei tritt sie sehr laut und belei­di­gend auf. Bere­its bei der Auf­nahme und Durch­suchung legte sie das gle­iche Ver­hal­ten an den Tag. Frau K. wurde belehrt und sie wurde aufge­fordert ihr Ver­hal­ten zu ändern.“

Es blieb nicht bei Belehrun­gen und Auf­forderun­gen. Nach Kon­flik­ten mit dem Per­son­al wurde Alice am 12.09.2003 erst­mals für 1h 10 min gefes­selt und anschließend in eine Einzelzelle ver­legt. Alice litt zunehmend unter Haft – es kam zu immer neuen Auseinan­der­set­zun­gen. Immer wieder wurde Alice in Zelle 2007 an Bauch, Armen und Beinen gefes­selt. Als Alice nach mehr als drei Monat­en Haft im Novem­ber 2003 abgeschoben wurde, hat sie ins­ge­samt 37 h 55 min in Fes­seln ver­bracht. Die Zeit in der kahlen Einzelzelle 2008 ist darin noch nicht eingerechnet. 


Lauter Einzelfälle ergeben eine Struktur 

Man muss sich nichts vor­ma­chen – der Fall von Alice ist kein Einzelfall. Kaum EinE deutsch­eR Staatsbürger_in wäre je über­haupt in die Sit­u­a­tion gekom­men, in die Alice gebracht wurde. Eine sys­tem­a­tis­che rechts­för­mige und soziale Diskri­m­inierung set­zt Men­schen ohne deutschen Pass und Schwarze in beson­derem Maße der Gefahr aus, Ziel von insti­tu­tion­al­isiert­er Gewal­tan­wen­dung zu wer­den. Diese Gewalt ist entwed­er durch Recht und Gesetz gedeckt oder durch Willkür begün­sti­gende Struk­turen ermöglicht. 

Alice hat sich entsch­ieden mit Unter­stützung von Freund_innen, Bekan­nten und ein­er Anwältin gegen die Fes­selun­gen vorzuge­hen. Fast drei Jahre nach dem Geschehen wird es eine Ver­hand­lung vor dem Ver­wal­tungs­gericht Frankfurt/Oder geben. Das ist ungewöhn­lich. Nicht­deutsche Opfer von insti­tu­tion­al­isiert­er Gewalt haben nach ihrer Abschiebung häu­fig keine Möglichkeit mehr sich vor einem deutschen Gericht gegen das ihnen zuge­fügte Leid zu wehren. Aber selb­st wenn, sollte man die Hoff­nun­gen an Rechtssprechung nicht zu hoch hän­gen. Auch in dem Fall von Alice wird es nur darum gehen, zu klären, ob die unmen­schliche Prax­is aufmüp­fige Insassen zu fes­seln vom Abschiebe­haftvol­lzugs­ge­setz oder ein­er anderen Rechts­grund­lage gedeckt ist.
Eine Strafanzeige gegen das beteiligte Per­son­al wurde bere­its eingestellt. Man sollte daher keine zu eupho­rischen Hoff­nun­gen in den Ver­such steck­en, sich mit Mit­teln des Rechts gegen eine in Teilen ras­sis­tisch diskri­m­inierende Recht­sor­d­nung zu wehren. Und doch: Es ist wichtig, dass der Prozess öffentlich wahrgenom­men wird. 


Unsicht­barkeit und Verantwortung 

Auch ras­sis­tis­che Struk­turen beste­hen aus Men­schen, die in ihnen han­deln. Die Täter_innen sind in der Posi­tion sich sel­ten recht­fer­ti­gen zu müssen, weil die Stim­men der Opfer ihrer Gewalt unhör­bar gemacht wer­den. Im Falle von Alice durch Inhaftierung, Abschiebung und Ver­fahren, die schnell und diskret abgewick­elt wur­den. Auch in Alices Fall sollte es eigentlich keine öffentliche Ver­hand­lung geben. Die Angele­gen­heit sollte ohne Öffentlichkeit im Richter­entscheid abgewick­elt wer­den. Diese Sicher­heit des Nicht-gese­hen-wer­dens gilt es einzuschränken.
Es ist wichtig, Weißen, die sich immer in struk­turellen Macht­po­si­tio­nen befind­en in denen sie diskri­m­inieren kön­nen – sei es auf der Aus­län­der­be­hörde oder an der Kaufhauskasse — klarzu­machen, dass sie beobachtet wer­den und sich recht­fer­ti­gen müssen. Sei es, wegen des „lusti­gen“ Witzes auf ein­er Par­ty oder eben, weil sie Men­schen fes­seln und sich danach durch Beru­fung auf Geset­ze von jed­er Schuld freis­prechen lassen. 

Und es gilt mit denen sol­i­darisch zu sein, die zu Opfern gemacht wer­den sollen. Alice und viele andere haben gezeigt, dass sie sich nicht ohne weit­eres zu Opfern machen lassen. Sie haben sich teil­weise erfol­gre­ich dage­gen gewehrt vorgeschrieben zu bekom­men, wo und wie sie zu leben haben. Weiße soll­ten sich mit diesem Kampf sol­i­darisieren und ver­suchen die skan­dalösen Struk­turen in denen sie selb­st leben, zu einem Skan­dal zu machen. Auch wenn ein Gerichtsver­fahren nur ein Ort unter vie­len ist, in dem die skizzierten Auseinan­der­set­zun­gen geführt wer­den – Alice und wir wür­den uns freuen, viele Men­schen dort zu sehen! 


Anschrift des Ver­wal­tungs­gerichts Frankfurt/Oder:
Logen­straße 6; 15230 Frank­furt (Oder), Die Ver­hand­lung find­et am 21.9.2007 um 09.15 statt. Die Ver­hand­lung führt Richter Bölicke.

Anmerkung der Infori­otredak­tion: Zum sel­ben The­ma haben wir eine Son­der­seite ein­gerichtet, die hierabgerufen wer­den kann.

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