In Rathenow wird es am kommenden Dienstag eine Neuauflage der Kundgebungen des „Bürgerbündnisses Havelland“ und des Aktionsbündnisses „Rathenow zeigt Flagge“ geben. Hintergrund ist die auch bundesweit kontrovers diskutierte Flüchtlingspolitik. Für die Gegner von pauschalisierender Hetze gegen Flüchtlinge sei es zudem wichtig, am Dienstag wieder ein klares Zeichen gegen Ressentiments zu setzen.
Bürgerbündnis läutet zur zweiten Runde
Nach dem das „Bürgerbündnis Havelland“ am vergangenen Dienstag, aus dessen Sicht, erfolgreich gegen „die Islamisierung des Abendlandes“ und „unkontrollierter ´Zuwanderung“ sowie für die konsequente Abschiebung abgelehnter Asylbewerber“ protestiert hatte und dabei ungefähr 500 Sympathisant_innen auf dem Märkischen Platz versammelte, hatte Veranstalter Christian Kaiser noch am selben Abend die Fortsetzung der Veranstaltung angekündigt. Diese erneute Versammlung soll nun wieder an einem Dienstag, genauer gesagt am 3. November 2015, zur gleichen Zeit und am gleichen Ort stattfinden. In einem sozialen Internetnetzwerk wird bereits dafür ausführlich geworben. Des Weiteren ließ das „Bürgerbündnis Havelland“ auch heute wieder bedruckte, in schwarz-rot-goldenen Farben gehaltene Flyer als Veranstaltungshinweis in Briefkästen privater Haushalte einwerfen.
Vom Immobilienmakler zum Volkstribun
Aufgrund seines Engagements für das „Bürgerbündnis Havelland“ weiter in den Fokus des öffentlichen Interesses gerutscht ist, neben Versammlungsleiter Christian Kaiser, inzwischen auch der aus dem osthavelländischen Senzke stammenden Immobilienmakler Nico Tews. Er ist gesetzlicher Vertreter der Latinum Hausverwaltungs GmbH und in einem Maklerhaus in der Fontanestadt Neuruppin integriert. Als Hausverwalter setzte er in der Kreisstadt des Landkreises Ostprignitz-Ruppin im Jahr 2011 u.a. die Räumung einer insolventen Kindertagesstätte durch. Auf der letzten Versammlung des „Bürgerbündnisses Havelland“ auf dem Märkischen Platz soll er dagegen bekräftigt haben, sich angeblich für die Zukunft „unserer Kinder“ einzusetzen. Darüber gefiel er sich offenbar in der Rolle des Tribuns, der im Sinne des einfachen Volkes die vermeintliche „Lügenpresse“ und die Regierung Merkel anklagte. Auch die weiterhin in der Bundesrepublik angekommenen Flüchtlinge wurden thematisiert. Tews Meinung nach seien es zu viele, die in „unser Land“ kommen. Derartige Ansichten widersprechen allerdings der von der Bundesrepublik ratifizierten UN Menschenrechtserklärung, demnach Flüchtlinge, egal wie viele es sind, ein Recht auf Schutz vor Krieg und Verfolgung haben, und somit nicht nur demokratische, sondern übrigens auch auf christliche Werte. Bei seinem Publikum, das freilich nicht nur aus bekannten Neonazis bestand, kam Tews trotzdem gut an. Dies heißt allerdings nicht, dass sein Redebeitrag unbedenklich ist. Tatsächlich hatte Tews Rede zum Teil recht demagogische Züge.
Die Scham des Erkannten
Im Gegensatz zu seinem selbstbewussten Auftreten und seiner recht freizügigen Rede vor seinem „Volk“ im Dunkel des Märkischen Platzes gab sich Tews, im Nachgang zu der Versammlung auf dem Märkischen Platz, einerseits getroffen und andererseits recht angriffslustig gegenüber Medien, die über ihn auch im Lichte der Öffentlichkeit berichteten. So verlangte er u.a. die Anonymisierung seines Namens und die Löschung von Bildern, auf dem sein Konterfei abgebildet sei. Als Unternehmer bzw. Hausverwalter hatte er allerdings bisher keine Probleme damit im Licht der Öffentlichkeit zu stehen. Im Impressum seiner Firma steht er mit vollem Name und Adresse, ebenso bei seiner Landiner Ferienwohnungvermietung. Und im Team des Maklerhauses Neuruppin ist er sogar mit Porträtfoto zu sehen. Nicht einmal als er die besagte Kindertagesstätte in der Fontanestadt zwangsräumen ließ und daraufhin in einer Lokalzeitung mit vollen Namen über ihn berichtet wurde, störte ihm das offenbar. Anders hingegen bei Berichten über die flüchtlingsfeindliche Kundgebung auf dem Märkischen Platz. Anscheinend sind ihm einige seiner dort vertretenen Positionen, möglicherweise im Zusammenhang seiner beruflichen Stellung, inzwischen peinlich. Für die nächste Veranstaltung des „Bürgerbündnisses Havelland“, am 3. November 2015, wirbt er, im Gegensatz zu ersten Versammlung am 27. Oktober 2015 auch nicht mehr unter seinem eigenem Namen. Denkbar ist aber, dass die Flyer mit Hilfe von Tews Kapital finanziert werden. Das „Bürgeründnis“ hat sich übrigens mittlerweile auch eine eigene Seite in einem sozialen Internetnetzwerk zugelegt, mit der Anonym für die nächste Kundgebung geworben und Hetze gegen Flüchtlinge geschürt wird. Die dort veröffentlichten, ausnahmslos in einseitigem Kontext veröffentlichten Zeitungsartikel erinnern übrigens an die so genannten „Nein zum Heim“-Seiten der NPD.
Die Rolle der NPD
Die nationaldemokratische Partei selber scheint somit zwar einen gewissen Einfluss auf die Gestaltung der „Bürgerproteste“ zu haben, Veranstalter Christian Kaiser sympathisiert in einem sozialen Internetnetzwerk ja auch recht deutlich mit dieser Organisation, den Ton geben ihre Funktionäre jedoch bisher nicht an. Tews ist als Immobilienmakler schon beruflich höhergestellt als der ranghöchste regionale NPD Funktionär Michel Müller. Außerdem ist in Rathenow auffällig, dass an der Veranstaltung des Bürgerbündnisses verstärkt eher kleinbürgerliches Klientel, also kleinere Lädenbesitzer_innen oder Dienstleistungsunternehmer_innen, teilnahmen. Prekariat, prekarisiertes Proletariat oder Alkoholabhängige, wie beispielweise bei den klar von der NPD dominierten rassistischen Aufmärschen in Nauen, war in Rathenow anteilsmäßiger deutlich weniger vertreten. Auch wurde in der havelländischen Kreisstadt offensichtlich, dass die nationaldemokratische Partei bisher nur auf die Proteste aufgesprungen ist und möglicherweise nur aus taktischen Gründen mit dem „Bürgerbündnis Havelland“ sympathisiert. Die NPD ist nämlich momentan in der Region die einzige politische Partei der extremen Rechten die bei politischen Wahlen antritt und offensiv gegen Flüchtlinge hetzt. Das „Bürgerbündnis Havelland“ ist dagegen bisher nur eine lose Vereinigung, ohne konkreten politischen Einfluss oder entsprechenden Ambitionen. Die Option, dass die NPD, diese Organisationsschwäche ausnutzt, um zum einen in die so genannte gesellschaftliche „Mitte“ vorzustoßen und zum andern selber politisches Kapital daraus zu schlagen ist zumindest vorstellbar.
Einzelne Antifas machen mobil
In jedem Fall hat die Versammlung des „Bürgerbündnisses Havelland“ auch zu einer extremen Polarisierung der Lager geführt. Eine in Rathenow nicht näher bekannte Gruppe namens „Writer Antifas Rathenow“ mobilisiert beispielsweise seit letztem Freitag im Internet unter dem Motto „dem deutschen Volksmob entgegentreten“ für direkte Proteste gegen die flüchtlingsfeindliche Kundgebung. Als Vorabtreffpunkte werden u.a. Bahnhöfe in Berlin und Potsdam angegeben.
Rathenow will wieder Flagge zeigen
Auch das zivilgesellschaftliche Rathenower Aktionsbündnis für Demokratie und Toleranz will am kommenden Dienstag wieder Flagge zeigen. Mit „Zivilcourage und Entschlossenheit“ wollen die Akteure „den vielen Gerüchten, den Ressentiments und der Ignoranz“ entgegentreten. Die Versammlung des Aktionsbündnisses soll wieder um 18.00 Uhr auf dem August-Bebel-Platz (Postplatz) stattfinden. Neben dem Bekenntnis für ein Rathenow „mit Herz statt Hetze“ wird aber auch Gesprächsbereitschaft gegen über allen Interessierten signalisiert. Es sei, so das Aktionsbündnis in einer Pressemitteilung, „wichtiger, miteinander in Gespräch zu kommen, als nebeneinander Parolen nachzurufen“. „Ängste“ sollten so „besprochen und möglichst aufgelöst werden“ und so bestehende Ressentiments abgebaut werden.
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