Erstmals seit drei Wochen hat das zivilgesellschaftliche Aktionsbündnis in Rathenow wieder Flagge für eine Stadt „mit Herz statt Hetze“ gezeigt. An der Veranstaltung am historischen Kurfürstendenkmal nahmen ungefähr 200 Menschen teil. Mit ihrer Teilnahme an der Versammlung sprachen sie sich für einen Ort der Vielfalt und der Weltoffenheit aus und positionierten sich gegen Rassismus und Hetze gegen Flüchtlinge. Ungefähr zeitgleich versammelten sich allerdings auch, und zwar nur einige Meter davon entferntmehrere hundertMenschen, um gegen dieso genannte „Asylpolitik“ und das vermeintliche „Politikversagen der Bundesregierung“ zu protestieren. An einem anschließenden, harmlos als „Spaziergang“ angekündigten, Hass-Aufmarsch beteiligten sich bis zu 600 Personen. Dabei wurden u.a. Parolen gerufen, die neonazistischen Veranstaltungen entlehnt waren, sowie anwesende Pressevertreter beleidigt und bedroht. Die Polizei hatte Mühe die Situation unter Kontrolle zu behalten.
„Bürgerbündnis“ radikalisiert sich
Ähnlich wie an den vorangegangenen Veranstaltungen des „Bürgerbündnisses Havelland“ auf dem Märkischen Platz, versuchten die Redner_innen ihr Publikum am Ausweichort, dem Edwin_Rolf-Platz, durch polarisierende Polemik, Kolportierung von Ressentiments sowie der Schürung von Ängsten und Vorurteilen eine berauschende und die Zuhörer_innen verbindende Atmosphäre zu schaffen. Fast diabolisch und dystopisch wirkte die Szenerie auf dem schwach beleuchteten Edwin Rolf Platz, dem Treffpunkt der vermeintlichen Wut- und Angstbürger_innen. Die Redner_innen, einmal mehr Christian Kaiser, Nico Tews und Sebastiano Graziani, aber auch der szenebekannte PEGIDA-Redner Curd Schumacher sowie die Videobloggerin Stephanie Schulz, taten ihr Übriges, um ihr Volk den Takt des „Protestes“, mal seicht, mal scharf, zumeist aber in einfachen Worten, vorzugeben. „Lügenpresse“, „Volksverräter“ und „Merkel muss weg“ rief die in „Wut“ und „Angst“ geeinte Gemeinschaft brav ihren Demagogen nach. Das neben den vermeintlich „besorgten Bürger_innen“ auch organisierte Neonazis standen, schien dort einmal mehr niemanden zu stören. Offenbar reichten diesbezüglich die „vertrauensvollen“ Worte eines Nico Tews aus, der sich in der Vergangenheit immer wieder von der NPD oder „Nazis“ distanzierte. Und Kritik daran lässt Tews ohnehin nicht zu. Wer sich kritisch über das Bürgerbündnis äußert oder nicht in dessen Interesse berichtet, muss mit Schmähkampagnen oder Drohungen rechnen. Jüngst durfte ein MAZ Lokalredakteur dies in einem sozialen Internetnetzwerk wieder über sich ergehen lassen. Auch während des Marsches am Dienstagabend waren Pressevertreter, nach einem Hinweis von Christian Kaiser bezüglich „linker Presse“ am Rande, wieder das Ziel wüster Beschimpfungen und Drohgebärden. Eine Eskalation wie in der vergangenen Woche, wo es einen Angriff auf einen Fotojournalisten gab und dabei dessen technisches Equipment teilweise beschädigt wurde, blieb jedoch diesmal aus.Dennoch ist global gesehen ein Trend zur Radikalisierung erkennbar. Nicht nur in der Steigerung der Aggressivität, sondern auch im verbalen Ausdruck und der ideologischen Unterfütterung. Klar und deutlich waren gestern Parolen, wie „kriminelle Ausländer raus“ oder „wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“, zu hören, die sonst nur bei Neonaziveranstaltungen skandiert werden. Doch das scheint nur der Anfang zu sein.
„Bürgerbündnis“ will sich mit Neu-Rechter Kampagne vernetzen
In seinem einleitenden Redebeitrag stellte Christian Kaiser, presserechtlich Verantwortlicher des „Bürgerbündnisses Havelland“, ein Vernetzungsprojekt vor, welches eine enge Zusammenarbeit so genannter „Bürgerbewegungen“ beinhaltet. Diese momentan auch in anderen Orten als bundesweite Kampagne beworbene Vernetzung trägt den unverfänglichen Arbeitstitel: „ein Prozent für unser Land“. Die Idee dahinter klingt dann allerdings weit weniger harmlos. 800.000 Menschen, also ein Prozent der bundesrepublikanischen Bevölkerung, sollen sich, gemäß den Initiatoren der Kampagne, finden, um deren „juristische, mediale und politische Aktionen“ zu unterstützen. Ziel sei es die durch wachsende Flüchtlingsströme befürchtete „Auflösung“ des „Staates“ zu verhindern. Da die führenden Köpfe der „Einprozent“-Gruppe allerdings auch bekannte Köpfe der extremen Rechten, wie der Neu-Rechte Götz Kubitschek oder der Querfrontler Jürgen Elsässer, sind, könnten damit auch ganz andere Zwecke, wie beispielsweise die breite Sabotierung oder gar die Abschaffung des demokratischen Rechtstaates angestrebt werden. Mit 800.000 Sympathisant_innen wäre diese Kampagne sogar stärker als die SPD, mit ihren 460.000 Mitgliedern, als größte politische Partei der Bundesrepublik. Diese Dimensionen lassen dieses Vorhaben aber andererseits auch gleichermaßen irreal erscheinen. Zudem sind die anvisierten „Bürgerbewegungen“ keine homogenen Aktionsgruppen, sie eint lediglich der Frust auf „die da oben“. Trotz des eher aussichtslosen Vorhabens ist jedoch jetzt zumindest, durch die deutliche Sympathie mit derartigen Projekten, eine deutliche Offenheit des „Bürgerbündnisses Havelland“ gegenüber der extremen Rechten erkennbar.
Tummelplatz für extrem rechte Parteigänger_innen
Darüber hinaus bleibt die Versammlung des „Bürgerbündnis Havelland“ nach wie vor ein Tummelplatz für rechtspopulistische und neonazistische Vereinigungen. Erstmals nahm am Dienstagabend beispielsweise „PEGIDA Havelland“, eine Gruppe die hauptsächlich in und um Schönwalde-Glien aktiv sein soll und auch schon zu entsprechenden Veranstaltungen in Dresden fährt, mit einem eigenen Banner an der „Bündnis“-Versammlung in Rathenow teil. Eine Abordnung der neonazistischen „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ war ebenfalls vertreten, genau wie die üblichen NPD Sympathisant_innen aus Rathenow, Premnitz und Nauen. Neonazibarde Thomas L. alias „TOytonicus“ war zudem wieder als Ordner eingesetzt. Des Weiteren nahmen bekannte Sympathisanten der Partei „DIE.RECHTE“ aus Stendal am Marsch des „Bürgerbündnisses Havelland“ teil.
Singen gegen Hass und Hetze
All dem konnte das zivilgesellschaftliche Aktionsbündnis „Rathenow zeigt Flagge“ allerdings nur wenig entgegensetzen. Einerseits will es über die Gerüchte und Vorurteile aufklären, also schon einen Kontrapunkt zu der Propaganda des „Bürgerbündnisses Havelland“ setzen, andererseits aber auch Bürger_innen zurückgewinnen. Von einer „Gegenveranstaltung“ im eigentlichen Sinne kann also nicht gesprochen werden. Die Positionierung von „Rathenow zeigt Flagge“ war im Wesentlichen neutral, dafür aber mit einem konkreten Angebot für eine vielfältige und offene Gesellschaft „mit Herz statt Hetze“. Neben politischen Reden gab es so beispielsweise Auftritte von unterschiedlichen, auch internationalen Musikinterpreten. Vielfach war den Menschen auch einfach nur wichtig an dem Abend öffentlich präsent zu sein und sich gegenseitig Mut zu machen. Konkret sah dies beispielsweise so aus, dass gemeinsam das Lied „die Gedanken sind frei“ gesungen wurde.
Fotos: hier
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