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Rathenow: Zweifelhaftes „Bürgerbündnis“will gegen „Asylmissbrauch“ demonstrieren / Proteste angekündigt
Am kommenden Dienstag plant ein „Bürgerbündnis Havelland gegen Asylmissbrauch“ ab 18.30 Uhr eine Versammlung auf dem Märkischen Platz in Rathenow. Gemäß einem seit dem 15. Oktober 2015 in sozialen Netzwerken kursierenden Flyer will sich der Veranstalter, analog der PEGIDA-Bewegung, gegen die vermeintliche „Islamisierung des Abendlandes“ positionieren sowie die „konsequente Abschiebung abgelehnter Asylbewerber“ und den Stopp „unkontrollierter Zuwanderung“ einfordern. Der Veranstalter gilt jedoch auch als Sympathisant der NPD, deren lokale Funktionäre und Aktivist_innensowie Tarnseiten der Partei die geplante Versammlung ebenfalls kräftig bewerben. Indes plant ein zivilgesellschaftliches Bündnis eine Gegenveranstaltung.
Zweifelhaftes „Bürgerbündnis“
Das so genannte „Bürgerbündnis Havelland gegen Asylmissbrauch“ tritt, als vermeintlicher Veranstalter der am kommenden Dienstag geplanten Versammlung, erstmals in Erscheinung. Als mutmaßlicher Initiator der Vereinigung gilt der Rathenower Christian Kaiser. Er übernimmt zumindest die Verantwortung für die Verbreitung des Veranstaltungsaufrufes im Sinne des Pressegesetzes und bewirbt die Veranstaltung mit einem offenbar selbst angefertigten Banner an einem Gerüst vor seiner Wohnung im von Einfamilienhäusern dominierten Stadtteil Rathenow-West. Der 25 jährige Kaiser fristete in seiner Heimatstadt bisher ein Schattendasein, weder gesellschaftlich, noch kommunalpolitisch trat er bisher in Erscheinung. In der Schule galt er als eher schüchterner, zurückhaltender Junge. In einem sozialen Internetnetzwerk gefallen ihm jedoch, öffentlich und für jeden sichtbar, die NPD und deren Brandenburger Landesverband. Weiterhin ist Kaiser dort mit mindestens zwei US-Amerikanern befreundet, deren Profilbilder mit Hakenkreuzen und SS-Runen verziert sind. Er selber nutzte zeitweise die kaiserliche Reichskriegsflagge als Erkennungsbild. Das Zeigen dieser Fahne ist im Land Brandenburg, gemäß Erlass vom 19. April 2002 (erneuert am 10. Juni 2014),eine Ordnungswidrigkeit, da die „Reichskriegsflagge“ nach wie vor als „Symbol nationalsozialistischer Anschauungen und/oder von Ausländerfeindlichkeit“ gilt. Inzwischen mobilisieren auch NPD Funktionäre, wie derwegen Gewaltdelikten vorbestrafte Rathenower Stadt- und Kreisrat Michel Müller, für die Veranstaltung. Er ruftim Zusammenhang mit der Versammlung dazu auf, Gesicht zu zeigen und den „Aufstand der wirklichen Aufstand der Anständigen zu wagen“ (Fehler im Original). Sein Beitrag in einem sozialen Internetnetzwerk wurde inzwischen 148-mal geteilt. Mehrere ortsbekannte Neonazis haben Müller daraufhin ihr Kommen zugesagt.
NPDin den Startlöchern
Obwohl Michel Müller als einer der aktivsten NPD-Kader im Land Brandenburg gilt, gelang es ihm, der neben seiner Abgeordnetentätigkeit übrigens auch Landesorganisationsleiter seiner Partei ist,allerdings bishernicht, eine öffentlich wahrnehmbareOrtsstruktur der Nationaldemokraten aufzubauen. Die letzte größere neonazistische Demonstration fand im Jahr 2009 statt, drei kleinere Kundgebungen ohne nennenswerte Beachtung der Bevölkerung und mit vielen Kadern von außerhalb in den Jahren 2013 bis 2014. Während in anderen Städten im Land Brandenburg, insbesondere im benachbarten Landkreis Oberhavel oder im osthavelländischen Nauen, die NPD längst kontinuierlich Aufmärsche, so genannte „Abendspaziergänge“ oder „Mahnwachen“ organisierte, protegierte oder auch dominierte blieb es in Rathenow lange Zeit ruhig. Die früher recht aktive und mitgliederstarke neonazistische Szene konnte die Welle rassistischer Propaganda in sozialen Internetnetzwerken, die von lokalen Multiplikatoren seit 2013 verstärkt verbreitet wurde, bisher nur geringfügigfür sich vereinnahmen. Der aktive Rathenower Kern, der sich zuletzt an öffentlichen Versammlungen der NPD am 3. Oktober 2015 in Nauen sowie am 17. Oktober 2015 in Velten (Landkreis Oberhavel) beteiligte, besteht aus weniger als eine HandvollLeuten, die seit mehreren Jahren dem neonazistischen Milieu zugehörig sind. Ungeachtet dessenerreichen die mutmaßlich von der NPD initiierten und betont „bürgerlich“ gestrickten, jedoch mit deutlicher rassistischer Tendenz und perfider Hetze unterlegten lokalen „Nein zum Heim“-Seiten in sozialen Internetnetzwerken aber auch Teile der regionalen Bevölkerung, die ansonsten keine Berührungspunkte mit organisierten Neonazis haben. Zu diesen „Initiativen“zählen beispielsweise die „Bürgerinitiative Nein zum Heim in Premnitz und Rathenow“, die „Bürgerinitiative Nein zum Heim in Friesack“ sowie „Nein zum Heim in Nauen“, die ebenfalls für die „Demo“ am 27. Oktober 2015 werben. Auf einer Veranstaltungsseite des „Bürgerbündnisses Havelland“ haben so inzwischen 200 Menschen öffentlich ihr Kommen angekündigt, bei denen in der Mehrheit zuvor bisher überhaupt keine oder nur eine geringfügige politische Willensbildung erkennbar war. Von den regional bekannten Neonazis haben dort bisher ca. 20 Personen aus Rathenow, Premnitz und Nauen der Versammlung zugesagt.
Gegenveranstaltung geplant
Die Veranstaltung des „Bürgerbündnisses Havelland gegen Asylmissbrauch“ soll allerdings auch nicht unkommentiert bleiben. Das Aktionsbündnis „Rathenow zeigt Flagge“ ruft inzwischen unter dem Motto: „Mein Rathenow — Mit Herz statt Hetze“ zu einer Alternativveranstaltung auf. Diese ist am selben Tag ab 18.00 Uhr auf dem August-Bebel-Platz vor der Postfiliale, an der Berliner Straße Ecke Wilhelm Külzstraße, geplant.