Rathenow, 02.04.02. Zweieinhalb Jahre ohne Bewährung für den führenden Rathenower Nazi-Schläger Michael Müller und ein Jahr und acht Monate auf Bewährung für seinen Kumpanen Daniel G., so urteilte das Amtsgericht Rathenow am Dienstag. Verhandelt wurde, neben anderen Delikten, eine Tat, die über zwei Jahre zurückliegt und große Wellen ausgelöst hatte. Das Millenium-Sylvester; wie jedes Jahr versammelt sich auf der zentralen Kreuzung in Rathenow alles, was sich zur rechten Szene zählt. Eine Gruppe von Pakistanis aus dem Flüchtlingsheim weiß nichts von der Gefährlichkeit der Rechten und möchte mit der Bevölkerung mitfeiern. Das Ergebnis: eine Gruppe um Michael Müller spottet die Pakistanis und das Programm Hetzjagd läuft ab. Zwei der Pakistanis werden geschlagen, einer, Khalid Mahmood, so schwer, dass er zwei Schneidezähne verliert. Ein Bürger greift ein und rettet ihm das Leben. Khalid Mahmood litt in der Folge unter einer schweren Traumatisierung. Er verließ nach der Tat 47 Tage das Heim nicht mehr, aus Angst, er könne Typen wie Müller wieder treffen.
Angriffe wie der auf Khalid Mahmood waren der Auslöser für den Appell der Rathenower Flüchtlinge in Februar 2000: “Bringt uns hier weg”. Im März 2000 begleitete ein Filmteam von Kontraste Khalid Mahmood und andere pakistanische Flüchtlinge. Einer wurde vor laufender Kamera in einem Supermarkt in Rathenow beschimpft, “Was hat denn der Scheiß-Ausländer hier zu suchen!” Rassistischer Alltag in Rathenow, wie er auch während der Verhandlung greifbar wurde. Denn fast alle Zeugen logen, “dass sich die Balken bogen”, wie der Staatsanwalt sich ausdrückte. Sie wollen nichts gesehen haben, im entscheidenden Moment woanders hingeguckt haben, ja, “hätten sie denn was tun sollen?”, fragten sie das Gericht mit einem Anflug von schlechtem Gewissen. Dass die Kumpel von Müller mauerten, war nicht überraschend, und so konnten drei Mitangeklagte — Enrico H., Mathias K. und Christian B. — nicht für die Beteiligung an der Hetzjagd verurteilt werden, nur für ein anderes Delikt. Im Februar 2001 hatte der der rechten Szene nahe stehender Mike M. von einer Frau in der Diskothek Lemuria 200 DM erpresst, die sich die Müller-Gang zurückholen wollte. Am nächsten Tag, als sie M. nach einer Autoverfolgung gestellt hatten, schlugen sie ihn bei dieser Gelegenheit noch kräftig zusammen. Interessant war die Einschätzung des Verteidigers von Müller, die Diskothek Lemuria sei ein “rechtsfreier Raum”, den die Rechten beherrschen, ohne dass die Polizei einschreite. Wohl wahr, daran wird auch die Videoüberwachung wenig ändern. Mathias K. erhielt eine Bewährungsstrafe von einem Jahr, Enrico H. ein Jahr und vier Monate und Christian B., der sich mittlerweile von der rechten Szene gelöst habe und gegen seine Komplizen ausgesagt hatte, 160 Arbeitsstunden. Ein sechster Angeklagter wurde freigesprochen.
Insgesamt ein herber Schlag für Müller, der nach dem Urteil schweinchenrosa anlief. Da konnten ihm auch die im Gerichtssaal in Mannschaftsstärke versammelten Nazis nicht helfen: Müller muss wohl ab.