Die Polizei hat gestern in der Nachbarschaft des Jugendclubs «Fragezeichen
e.V.» in Sachsendorf Handzettel verteilt, um Zeugen für den Neonazi-
Überfall am Samstag zu finden. Die Polizei erhofft sich Aussagen über
Beobachtungen der Zusammenrottung von 20 bis 30 Personen auf der Freifläche
in der Nähe des Jugendclubs. Die Tatverdächtigen trugen Bomberjacken,
Tarnhosen, Springerstiefel und waren teilweise vermummt. Von einer «neuen
Qualität» der rechten Aktivitäten in Cottbus spricht Amtsgerichtsdirektor
Wolfgang Rupieper.
Kurz nach 17 Uhr waren die Männer in Bomberjacken am Samstag — wie
berichtet — in den Club eingedrungen, wo zu dieser Zeit eine Veranstaltung
«Des Nazis neue Kleider» stattfinden sollte. Drei Teilnehmer wurden
verletzt, die Einrichtungsgegenstände erheblich zerstört. Nun ermittelt die
Polizei wegen Verdachts des Landfriedensbruches.
Der Überfall teilweise maskierter Neonazis auf einen Jugendclub in
Sachsendorf ist nach Überzeugung von Amtsgerichtsdirektor Wolfgang Rupieper
ein Anhaltspunkt dafür, dass sich in der rechten Szene gefährliche
Änderungen vollziehen. Rupieper: «Die Phase der blöden Rechten ist vorbei.
Heute gibt es durchaus intelligente Vertreter in der rechten Szene, die den
anderen die Schmutzarbeit überlassen.» Der Cottbuser Amtsgerichtsdirektor
hat persönliche Erfahrungen über Einflüsse der Rechten auf die Jugend durch
regelmäßige Besuche von Schulklassen im Rahmen des Projekts «Richter,
Rechtsanwälte und Staatsanwälte gehen in die Schulen» . Es handelt sich um
ein Gemeinschafts programm des Brandenburgischen Anwaltsvereins, des
Richterbundes und der Jugendrechtshäuser.
Nach Rupiepers Erkenntnis gibt es fast in jeder Klasse Schüler, die von der
rechten Szene bevorzugte Kleidungsstücke tragen. «Die Eltern wissen oft gar
nicht, welche Klamotten ihre Kinder besitzen.»
Als gefährliche «Einstiegsdroge» für die Neonazi-Szene wertet der
Amtsgerichtsdirektor auch die Skinhead-Musik. Längst beschränke sie sich
nicht mehr auf den Sound der hämmernden Bässe, sondern transportiere über
weiche Töne rechte Ideologie. Rupieper: «Die jugendlichen Zuhörer merken oft
garnicht, dass es die Sprache des Dritten Reiches ist, wenn von der
“deutschen Rasse” gesungen wird.»
Die Gefährdung beginne im Alter von zwölf, 13 Jahren — «wenn sich das bis
zum 16. Lebensjahr verfestigt, dann ist es oft schon zu spät» . Der
Amtsgerichtsdirektor: «Ich spüre es in den Klassen, dass die Jugendarbeit
noch forciert werden muss. Man darf nicht ohnmächtig sagen: “Das ist eben
so, das legt sich auch wieder.”»
Das Interesse der Schüler an der Geschichte des Dritten Reiches sei größer,
als heute allgemein behauptet werde. Rupieper: «Vor allem müssen die Schüler
erkennen, dass es in diesen rechten Kameradschaften heute keine Wärme gibt,
keine Lagerfeueratmosphäre, sondern Eiseskälte. Das zeigt sich immer dann
besonders, wenn jemand aus der Szene wieder aussteigen will» . Der Direktor
des Cottbuser Amtsgerichts sagt zu, «zeitnah» in Schulen zu kommen, wenn
Gespräche über das Thema gewünscht werden oder wenn es Vorfälle mit
neonazistischem Hintergrund gegeben hat.
Nach Mitteilung des Jugendclubs Fragezeichen wurden bei dem Überfall
Mobiliar und Veranstaltungstechnik zerstört, Stühle und Lampen zertrümmert,
Instrumente, Lautsprecher und ein Mischpult ruiniert — auf rund 3500 Euro
schätzt der Verein den Schaden. Um weiter arbeiten zu können, müssten
Neuanschaffungen und Reparaturen finanziert werden, sagt der Verein, der in
Sachsendorf für Jugendliche ehrenamtlich Konzerte, Tischtennisturniere und
andere Freizeitaktivitäten organisiert. Ein Spendenkonto wurde bei der
Sparda Bank, Kennwort Fragezeichen e.V., Konto 3131076, Bankleitzahl
12096597, eingerichtet.