(Martin Klesmann, Berliner Zeitung) POTSDAM. Die zunehmenden gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen linken und rechtsextremen Jugendlichen in Potsdam beunruhigen die Sicherheitsbehörden. Polizeipräsidium und Staatsanwaltschaft haben deshalb eine “Soko” Potsdam gegründet. Elf Beamte sollen die “weitere Eskalation der politisch motivierten Straftaten verhindern”, wie Polizeisprecher Rudi Sonntag am Mittwoch sagte. Darüber hinaus sind permanent bis zu 30 Beamte der Landeseinsatzeinheit LESE in der Stadt aktiv — in Zivil und in Uniform.
Ausschlaggebend für diese massive Präsenz der lokalen Sicherheitsbehörden war der jüngste Angriff von 15 Rechtsextremen auf zwei junge Männer aus der linken Szene in der Nacht zum vergangenen Sonntag. Gegen 1.30 Uhr hatten Neonazis aus Potsdam und Berlin die beiden 24- und 25-Jährigen von einer Straßenbahn aus erkannt, die Notbremse gezogen und waren auf sie zugestürmt. Sie traten und prügelten die beiden Männer mitten im Potsdamer Stadtzentrum krankenhausreif. Dabei soll eine Frau auch eine Bierflasche auf dem Kopf des 24-Jährigen zerschlagen haben. Der Überfall dauerte nur zwei Minuten, doch konnte die Polizei wenig später acht mutmaßliche Täter festnehmen. Die Staatsanwaltschaft beantragte Haftbefehle wegen versuchten Mordes, doch ein Potsdamer Amtsrichter erließ lediglich Haftbefehle wegen gefährlicher Körperverletzung. Gegen Auflagen kamen sie dann wieder auf freien Fuß. “Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass die Haftbefehle außer Vollzug gesetzt wurden”, kritisierte Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD). Inzwischen haben sich drei weitere Täter gestellt, einer wurde festgenommen. Zwei polizeibekannte Neonazis sitzen in Untersuchungshaft.
Polizei und Staatsanwaltschaft gehen davon aus, dass es sich bei der Gewalttat vom Wochenende um einen Racheakt der rechtsradikalen Szene handelt. Denn am 19. Juni war ein 16-jähriger Rechtsradikaler vor dem bekannten Potsdamer Café Heider von vier jungen Leute aus der linken Szene zusammengeschlagen worden. In diesem Fall ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen versuchten Mordes. Eine junge Frau sitzt deshalb noch in Haft. Bei ihr könnte es sich nach Ansicht des CDU-Generalsekretärs Sven Petke um die Vorsitzende des Trägervereins des alternativen Jugendprojektes Chamäleon handeln. Das Chamäleon war in der Neujahrsnacht 2003 von rechten Skinheads überfallen worden war. Die Haupttäter wurden erst vor kurzem verurteilt. Oberbürgermeister Jakobs zeigte sich “entsetzt über die zunehmende Gewalt und die neue Qualität der Auseinandersetzungen”.
Potsdam droht Spirale der Gewalt
(MOZ) Potsdam (ddp) Die Polizei in Potsdam verstärkt ihre Anstrengungen im Kampf gegen rechte und linke Gewaltstraftaten. Hintergrund ist nach Ansicht von Experten, dass Rechtsextremisten immer gewalttätiger gegen Jugendliche aus der linken Szene vorgehen. Diese würden daraufhin Jugendliche aus der rechtsextremen Szene angreifen. CDU-Generalsekretär Sven Petke warnte vor einer “Spirale der Gewalt”.
In Potsdam sind derzeit täglich etwa 30 teilweise verdeckt arbeitende Polizisten neben dem normalen Streifendienst zusätzlich im Einsatz, sagte am Mittwoch der Sprecher des Potsdamer Polizeipräsidiums, Rudi Sonntag. Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) zeigte sich “äußerst beunruhigt über die zunehmende Gewalt und neue Qualität der Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Gruppen”. Gewalt werde in Potsdam jedoch nicht toleriert, fügte er hinzu.
Frauke Postel vom Mobilen Beratungsteam (MBT) Brandenburg warnte davor, die Konflikte als “bloße Scharmützel zwischen rechtsextremistischen und linken Jugendgruppen im regionalen Kontext zu bagatellisieren”. “Nicht nur in Potsdam ist das Klima gereizt”, betonte sie. Als Beleg führte die Expertin gewalttätige Übergriffe von Rechtsextremisten in anderen Orten des Landes wie Cottbus oder Fürstenwalde an. Die Gewalt sei gegen Einrichtungen und Jugendliche gerichtet gewesen, die zum linken Milieu zählten.
Gewaltbereite Brandenburger Neonazis fühlten sich zum einen nach dem Erfolg der NPD bei der Landtagswahl in Sachsen politisch im Aufwind, sagte Postel. Zum anderen seien sie wegen der geringen Teilnehmerzahl beim Aufmarsch am 18. Juni in Halbe “deprimiert”. Beides zusammen hat laut Postel im unorganisierten rechtsextremen Milieu die Reaktion ausgelöst: “Der Zug geht ab.”
Vor diesem Hintergrund habe die gewaltbereite rechtsextreme Szene in Potsdam Zuwachs vor allem von jungen Leuten bekommen, erläuterte Postel. Diese zeigten zunehmend Präsenz und versuchten, “Straßen und öffentliche Räume zu erobern”. Das sei ihnen vor kurzem schon bei der Verhandlung gegen zwei Neonazis wegen des Überfalls auf den Club für linksorientierte Jugendliche, “Chamäleon”, an Silvester 2002 gelungen. Sie hätten die “Hoheit” im Gerichtssaal gehabt, sagte Postel.
Dieser Prozess habe die Auseinandersetzung zwischen rechten und linken Gruppen hochgeschaukelt, fügte Sonntag hinzu. Zusätzlich zu den verdeckt arbeitenden Polizisten gründete die Polizei zudem die elfköpfige Ermittlungsgruppe “Potsdam”, die aus Kriminalisten des Schutzbereiches und des Polizeipräsidiums besteht.
„Gewalt nicht tolerieren“
Jakobs beruft Beirat ein / SPD: Farbe bekennen
(SCH, PNN) In einer Sondersitzung soll heute der Beirat zur Umsetzung des „Aktionsplanes für Toleranz und Demokratie“ Maßnahmen gegen eine weitere Eskalation zwischen rechten und linken Gruppen in Potsdam beraten. Oberbürgermeister Jann Jakobs hat die Sitzung einberufen. „Ich bin entsetzt und beunruhigt über die zunehmende Gewalt“, sagte Jakobs gestern, nachdem der brutale Überfall von 15 Rechtsextremen auf zwei Jugendliche aus der linken Szene am Sonntag bekannt geworden war (PNN berichteten). Er verurteilte den Angriff entschieden: „Gewalt darf in unserer Stadt nicht toleriert werden.“ Auch die Fraktionen von SPD und PDS nahmen den Überfall mit Entsetzen zur Kenntnis und verurteilten ihn „aufs Schärfste“. Wichtig sei nun, geschlossen zu handeln, so der SPD-Fraktionsvorsitzende Mike Schubert. Es sei nötig, dass „Potsdam erneut Farbe bekennt“ und deutlich gemacht werde, dass für Gewalttäter in der Stadt kein Platz sei. Zudem müsse verhindert werden, dass der Eindruck entstehe, die Justiz messe mit zweierlei Maß, so Schubert.
Hintergrund ist, dass alle Haftbefehle gegen die mutmaßlichen rechten Täter vom Sonntag vom zuständigen Richter am Amtsgericht zunächst außer Vollzug gesetzt worden waren. Zudem sprachen Polizei und Staatsanwaltschaft zunächst von Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung. Nach dem mutmaßlichen Überfall einer Gruppe von Linken auf einen 16-jährigen Rechtsextremisten waren vor zwei Wochen vier Tatverdächtige wegen versuchten Mordes verhaftet worden. Solange es von Seiten der CDU und ihres Innenministers Jörg Schönbohm immer wieder „Ausflüchte und Relativierungen“ zur Bekämpfung rechtsextremistischer Straftaten gebe, könnten sich die „gewaltbereiten Schläger nur ermuntert fühlen“, warnte die stellvertretende Potsdamer PDS-Fraktionsvorsitzende Karin Schröter. Sie forderte Oberbürgermeister Jakobs auf, der Prävention einer Eskalation der Gewalt künftig einen höheren Stellenwert einzuräumen.
Die Potsdamer Jusos appellierten gestern an rechte und linke Gruppen, „sich strikt an rechtsstaatliche Prinzipien, demokratische Umgangsformen und das Gebot der Menschlichkeit“ zu halten. Selbstjustiz, Str
aßenkämpfe und Jagd auf Andersdenkende gehörten nicht nach Potsdam. Das „Juso-Herz“ schlage zwar links, doch gehe es den Jusos nicht darum, „hier in Grabenkämpfe zu verfallen“. Es könne jedoch unmöglich sein, dass ein „Trupp von 15 Schlägern zwei Menschen brutal zusammenschlägt“ und der Aufschrei der Potsdamer nicht größer ausfalle.