(Spiegel Online, 9. Juli, Jochen Leffers) Die Innenminister von Brandenburg und Sachsen-Anhalt warnen vor einer Aktion von Rechtsextremisten, die Jugendliche mit der “Einstiegsdroge Musik” anfixen wollen. Mindestens 50.000 kostenlose CDs mit stramm rechtem Rock, so der Plan der Neonazis, sollen vor allem an Schüler verteilt werden.
Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes wurden bisher 50.000 Exemplare eines Rechtsrock-Samplers hergestellt. Sie sollen von Angehörigen der Skinhead- und Neonazi-Szene an Jugendtreffpunkten und Bushaltestellen, vor allem aber in und vor Schulen verteilt werden. “Projekt Schulhof” heißt die Aktion, “Anpassung ist Feigheit — Lieder aus dem Untergrund” die Propaganda-CD.
Klaus Jeziorsky (CDU), Innenminister von Sachsen-Anhalt, hatte bereits Ende Juni vor der Verteilung gewarnt und sprach von einer “neuen Qualität” im Auftreten der Rechtsextremisten. Ziel dieser konzertierten Aktion sei es, “ideologisch noch nicht gefestigte Jugendliche über multimediale Medien und insbesondere über die Musik an rechtsextremistisches Gedankengut heranzuführen und sie schließlich dauerhaft für die Szene zu gewinnen”. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) schloss sich jetzt an und betonte ebenfalls, dass es darum gehe, Jugendliche mit der “Einstiegsdroge Musik” für die rechtsextremistische Szene zu ködern.
Die Multimedia-CD enthält überwiegend Rock und Heavy Metal von 20 Bands, deren Namen ihre politischen Ziele schon erahnen lassen — darunter “Stahlgewitter”, “Nordfront”, “Noie Werte”, “Hauptkampflinie” oder “Frontalkraft”. Hinzu kommen Propagandamaterial und Kontaktinformationen, zum Beispiel Dateien mit einschlägigen Adressen und Internetseiten in mehreren Bundesländern, in Österreich und der Schweiz. Wie der Informationsdienst “Blick nach rechts” (www.bnr.de) berichtet, lobt ein zackiger Sprecher unter anderem das “Fremde in der Fremde” und schimpft über die angebliche “antideutsche Geschichtsschreibung, die an allen Schulen gelehrt wird und nur Deutsche als Täter sieht”.
Als Auftraggeber vermutet der Infodienst einen bekannten Neonazi aus Sachsen-Anhalt und sieht auch Verbindungen zur NPD, vor allem zur NPD Niedersachsen. In der Zeitung “Volksstimme Magdeburg” bestätigte der sachsen-anhaltinische Verfassungsschutz, hinter der Aktion stehe ein “Mann aus dem Norden Sachsen-Anhalts, der seine Hände im rechtsextremistischen Musikgeschäft hat”.
Behörden können Aktion kaum stoppen
Die Innenminister sehen offenbar keine Möglichkeit, die Aktion schon im Vorfeld zu stoppen, etwa durch ein Verbot des Samplers. “Im vorliegenden Fall müssen wir davon ausgehen, dass gezielt nur Titel für die CD ausgewählt wurden, die hart an der Grenze zur Strafbarkeit liegen, um die dahinter stehenden verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu verdecken”, sagte Jörg Schönbohm. Strafrechtlich werde die CD nur schwer zu ahnden sein, ergänzte Ministeriumssprecher Heiko Homburg; allerdings stelle das Betreten von Schulhöfen durch Unbefugte aus der Sicht der Schule ja durchaus Hausfriedensbruch dar.
Erstellt wurde die CD laut “Blick nach rechts” am 25. Juni, habe dem Verfassungsschutz aber bereits einige Tage zuvor vorgelegen. Die Behörden hatten sich offenbar zunächst gescheut, mit einer Warnung vor der Aktion an die Öffentlichkeit zu gehen. Nun will das Brandenburger Innenministerium aber rechtzeitig vor Schuljahresbeginn alle Schulen des Landes informieren, auch bei einer Schulleiter-Konferenz mit Bildungsminister Steffen Reiche (SPD).
Wie die ARD berichtet, flog die geplante Aktion auf, als ein CD-Produzent in Sachsen-Anhalt den Auftrag erhielt, 45.000 Stück zu pressen, sich aber an die Behörden wandte. Wie viele Propaganda-CDs die Neonazis insgesamt verteilen wollen, ist unklar; die Angaben schwanken zwischen 50.000 und 250.000.
“So bekloppt wie Hitler will niemand mehr sein”
Als Finanziers für Herstellung und den Vertrieb vermuten die Behörden in- und ausländische Musikvertriebe mit rechtsextremen Programmen. Denn die einschlägigen Labels sind auch auf der CD vertreten — und könnten mit der Aktion nicht nur rechte Propaganda streuen, sondern zugleich auch ihren Geschäften neue Käufer zuführen. Die auf dem CD-Cover genannte Internetadresse ist inzwischen nicht mehr erreichbar und leitet zu einem schwedischen Domainverwalter um; als Inhaber der Domain wird ein Schwede mit einer Postfachadresse in Stockholm geführt.
Im Web bieten Rechtsextremisten bereits Ratschläge für Schüler feil, inklusive Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache: “Solltet Ihr mit euren Lehrern Probleme wegen dem Besitz einer solchen Cd bekommen, oder sie Euch gar entwendet werden, besteht unbedingt darauf das sie Euch zurück gegeben wird. (…). Also lasst Euch nichts gefallen, und hört einfach mal rein!”
Die länderübergreifende Stelle für Jugendschutz im Internet (www.jugendschutz.net) will der rechten Werbekampagne entgegenwirken. “Das ist eine neue Qualität der rechtsextremen Ansprache Jugendlicher”, sagte der Leiter Friedemann Schindler, “offensichtlich neonazistische Angebote sind relativ leicht durchschaubar — so bekloppt wie Hitler will niemand mehr sein. Subtile ausländer- oder judenfeindliche Parolen sind da ein grüßeres Problem.”
Für die Bundeszentrale für politische Bildung hat jugendschutz.net eine “medienpädagogische Handreichung” entwickelt, die gerade in einer neuen Auflage erschienen ist. Die CD enthält Hintergrundinformationen, Musikbeispiele und in der Praxis erprobte Projekte für die Arbeit mit Jugendlichen. Schindler rät Lehrern, sich auf das Thema Rechtsextremismus vorzubereiten, bevor die Propaganda-CDs verteilt werden: “Es gibt Material. Es gibt eigentlich keinen Bereich, der besser dokumentiert ist als der Rechtsextremismus.”