(Berliner Zeitung, 17.2.) POTSDAM. Brandenburg ist nach wie vor eine Hochburg der Rechtsextremisten:
Die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten ist 2004 um 21 Prozent angestiegen -
auf 105 Fälle. Darunter waren auch zwei Tötungsversuche, teilte
Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) am Mittwoch mit. So ist einem Kenianer in
Brandenburg/Havel eine abgebrochene Bierflasche in den Hals gerammt worden.
“Durch das beherzte Eingreifen von zwei Zeuginnen konnte Schlimmeres
verhindert werden”, sagte Schönbohm. In einem anderen Fall konnte ein
türkischer Imbissbuden-Besitzer in Brück (Potsdam-Mittelmark) einen
Molotow-Cocktail, der in seine Gaststätte geschleudert worden war, gerade
noch löschen.
Gefahr “brauner Einheitsfront”
Auch insgesamt stieg die Zahl der rechtsextremen Straftaten gegenüber dem
Vorjahr um 58 Fälle auf 1 051 Fälle an. Ein Großteil davon waren
Propagandadelikte, wie etwa das Tragen von NS-Symbolen. Schönbohm warnte vor
einer “braunen Einheitsfront” im Land. “Gerade die NPD wirbt gezielt
rechtsextremistische Gewalttäter an und platziert bekannte Köpfe der
gewaltbereiten Neonazi-Szene in ihren Führungsgremien”, sagte Schönbohm. Die
Kooperation mit der im Landtag vertretenen DVU müsse man “im Auge behalten”.
Konsterniert zeigte sich Schönbohm angesichts der elf Brandanschläge auf
Döner- und Asia-Imbissstände im Havelland, die offenbar alle gezielt von
einer Gruppe Heranwachsender begangen worden sind. Gegen diese 16- bis
20-Jährigen, die sich selbst als “Freikorps” bezeichnet haben sollen, wird
derzeit noch vor dem Oberlandesgericht verhandelt — es ist der erste Prozess
wegen des Vorwurfs der Bildung einer terroristischen Vereinigung in
Brandenburg. “Hier hat die Sozialkontrolle im unmittelbaren Lebensbereich
der Angeklagten total versagt”, sagte Schönbohm. Dann ließ er seinen
Abteilungsleiter Polizei, Hans-Jürgen Hohnen, leicht verfremdete
Polizeiprotokolle verlesen, die belegen, dass viele Leute vor Ort vom
Treiben der jungen Männer gewusst haben: Ein Lehrer (“Es wurde in der Schule
gemunkelt, dass diese Personen Imbisswagen abbrennen”) , ein Förster (“Es
gab Schießübungen im Wald”), ein Bürgermeister (“Die haben Märsche in der
Kiesgrube veranstaltet”), alle ahnten etwas. Aber niemand griff ein, stellte
die jungen Leute zur Rede oder ging zur Polizei. “Beschämend”, sagte
Schönbohm.
Er plant nun zusammen mit dem Landespräventionsrat und der Bundesregierung
eine wissenschaftliche Studie. Darin soll untersucht werden, wie Eltern und
Lehrer, aber auch Lokalpolitiker und die Chefs der freiwilligen Feuerwehren
dem Rechtsradikalismus entgegenwirken können. Zugleich verteidigte Schönbohm
Mittelkürzungen bei Organisationen wie der “Opferperspektive”. Man könne dem
Rechtsextremismus nicht mit “Staatsknete” begegnen, sondern müsse die Köpfe
der Bürger gewinnen.
Der Minister sagte, dass die polizeiliche Repression am Anschlag sei, man
die Täter meist kenne.