Weniger Rechtsextreme, aber hohe Ausländerfeindlichkeit
Wissenschaftliche Studie sieht vor allem bei Mädchen viele Vorurteile gegen Fremde
(Berliner Morgenpost) POTSDAM Brandenburg verzeichnet bei den Jugendlichen einen Trend zu mehr Leistungsbereitschaft und zu weniger Rechtsextremismus und Gewalt. Die Zahl der Jugendlichen mit tendenziell rechtsextremen Einstellungen hat sich in den letzten beiden Jahren weiter verringert.
Die 1991 begonnene und in dreijährigen Abständen durchgeführte Untersuchung «Jugend in Brandenburg» unter Prof. Dietmar Sturzbecher von der Universität Potsdam kommt zu dem Schluss, dass die Jugendlichen auch seltener antisemitische Vorurteile verbreiten. Dagegen hat sich das Ausmaß der Ausländerfeindlichkeit zwischen 1999 und 2001 nur leicht verringert.
Auffallend: Immer mehr Mädchen sind ausländerfeindlich eingestellt. «Die Gründe dafür könnten darin liegen, dass sie sich auf dem Arbeitsmarkt als besonders benachteiligt erleben und dadurch größere Konkurrenzangst entwickelten», sagt Prof. Sturzbecher. Lange sei unterschätzt worden, dass Mädchen in rechtsextremen Cliquen eine herausragende Rolle spielen.
Zeigten 1999 noch 19 Prozent der 13- bis 18-Jährigen rechtsextreme Positionen in «hoher» oder «eher hoher» Ausprägung, ging dieser Anteil bis 2001 auf etwa 13 Prozent zurück. Nach der Studie hat sich in den letzten beiden Jahren die Gruppe der Schüler stark vergrößert, die rechtsextreme Positionen völlig ablehnen. Diesen 55 Prozent (1999: 44,8 Prozent) steht allerdings weiterhin ein harter rechtsextremer Kern gegenüber, der bei drei Prozent liegt.
Sowohl in der Schule als auch in der Freizeit haben Gewaltaktionen abgenommen. An den Gesamtschulen nimmt der Anteil der Schüler, die sich niemals an Schlägereien beteiligen, wie an den Gymnasien und Realschulen zu. Im Vergleich zu 1999 geben jedoch auch doppelt so viele Schüler an, häufig Gewalt anzuwenden. Jedoch wird Gewalt mittlerweile auch von jedem vierten Jugendlichen akzeptiert. Ungefähr ein Drittel der Jugendlichen ist bereit, seine Interessen mit Hilfe von Gewalt durchzusetzen.
Als besorgniserregend bezeichnet Sturzbecher, dass an Gesamtschulen doppelt so viele Schüler als vor zwei Jahren der Meinung sind, dass ihre Lehrer bei Gewaltaktionen wegsähen. Auch an den anderen Schulen würden die Lehrer nicht häufiger als vor Jahren eingreifen. Schüler berichteten jedoch von erhöhten Sanktionen. «Lehrer, die wegschauen, sind schlimmer als gar keine Lehrer», warnt Sturzbecher. «Sie ermutigen die Täter und entmutigen die Opfer.»
Der Anteil der Schüler, die antisemitische Vorurteile ablehnen, ist von 34 Prozent im Jahr 1999 auf 41 Prozent 2001 gestiegen. Jedoch zeigen immer noch auffallend viele Brandenburger Jugendliche antisemitische Vorurteile. «Die Ergebnisse der Studie machen Mut. Es gibt aber keinen Grund zur Entwarnung», fasst Sturzbecher die Ergebnisse der Studie zusammen.
Brandenburgs Bildungsminister Steffen Reiche (SPD) nannte die Zahlen weiterhin alarmierend. Durch die leichte Trendwende sehe sich die Landesregierung in ihren Bemühungen gegen den Rechtsextremismus bestätigt. Es sei offenbar gelungen, über das Handlungskonzept Tolerantes Brandenburg und die Förderung lokaler Bündnisse den negativen Trend zu stoppen.
Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn bescheinigte Brandenburg eine große Offenheit und kooperative Bereitschaft. Von den jährlich drei Millionen Euro, mit denen ihr Haus Projekte gegen Rechtsextremismus unterstütze, fließe die Hälfte nach Brandenburg.
Weniger rechtsextremistische Gedanken, mehr Leistungsbereitschaft
Studie stellt Brandenburger SchülerInnen gutes Zeugnis aus
(Märkische Allgemeine) POTSDAM Erstmals seit der Wende lehnt eine Mehrheit der märkischen Schüler der Klassen 9 bis 13 Rechtsextremismus kategorisch ab: insgesamt 55,4 Prozent, rund elf Prozent mehr als im Jahr 1999. Hoch erfreut konnte Bildungsminister Steffen Reiche (SPD) gestern die Trendwende vermelden. Sie ist das Ergebnis der Hochschul-Studie “Entwicklung von Rechtsextremismus und Gewalt im Jugendalter”.
Für die Untersuchung des Institutes für angewandte Jugendforschung an der Universität Potsdam wurden in den Jahren 1999 und 2001 insgesamt 1200 Jugendliche der Klassen 9 bis 13 befragt. Mit den aktuellen Zahlen könne man erstmals das Klischee widerlegen, wonach der Rechtsextremismus unter Brandenburger Jugendlichen ständig zunehme, sagte Institutsleiter und Autor der Studie Dietmar Sturzbecher. Abgenommen habe auch die Tendenz zum Antisemitismus. 41 Prozent lehnen antisemitische Vorurteile strikt ab (1999: 34 Prozent).
Angst vor Ausländern als Konkurrenten
Trotz positiver Tendenz: Die unterschiedlichen Ergebnisse belegen, dass der Rückgang rechtsextremistischer Einstellung nicht mit einem Rückgang der Ausländerfeindlichkeit einhergeht. Besonders bei jungen Mädchen sei die Fremdenfeindlichkeit auffällig hoch, erläuterte Sturzbecher das Phänomen. Das könne daran liegen, das sie für soziale Ängste offener seien und Ausländer eher als Arbeitskonkurrenz wahrnehmen würden.
Der Soziologe betonte, dass die Bereitschaft zu Gewalt unter Jugendlichen in den vergangenen zwei Jahren ebenfalls merklich abgenommen habe. 65 Prozent der Schüler gaben an, sich “nie” an Schlägereien zu beteiligen (1999: 59,5 Prozent). Mit drei Prozent gleichermaßen hoch sei jedoch noch immer die Zahl der “Polit-Hooligans”, die ihre Aggressionen hinter politischen Vorwänden ausleben würden, so Sturzbecher. Positiv sei die größere Bereitschaft, das eigene Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und eine größere Leistungsbereitschaft.
Die Trendwende sei ein Erfolg für die Landesprogramme Tolerantes Brandenburg und Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit sowie die Projekte des Potsdamer Ministeriums, so die Bilanz des SPD-Politikers Reiche. Die Ergebnisse der Befragung seien eine “Motivation, die Anstrengungen zu erhöhen”, so Reiche. Eine Entwarnung sei nicht möglich, da es noch immer “alarmierende Zahlen” gebe. So würden sich rund 13 Prozent der Befragten noch immer zu rechtsextremistischen Positionen in “hoher” oder “eher hoher” Ausprägung bekennen (1999: 19 Prozent).
Dennoch bleibt Anlass zur Sorge
Auch Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD), betonte, dass es trotz der sehr positiven Entwicklung in Richtung Demokratie und Toleranz noch Anlass zur Sorge gebe. So würden laut mehreren bundesweiten Studien noch immer 30 Prozent der 16- bis 25-Jährigen rechtsextremen Einstellungen anhängen. “In Westdeutschland sind es nur 15 Prozent.”
Gleichzeitig warnte die SPD-Ministerin eindringlich davor, die Themen Ausländer und Zuwanderung zu Wahlkampfthemen zu machen. Diese Debatte würde in Deutschland in eine Richtung führen, “die sich Deutschland nicht leisten kann”, so Bulmahn. “Die Geister die man ruft, wird man so schnell nicht wieder los.”
Edelgard Bulmahn lobte die Offenheit und das Engagement Brandenburgs im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Deshalb erhalte das Land auch die Hälfte aller Bundesmittel für Programme gegen Rechts aus dem Berliner Ministerium — insgesamt rund 1,5 Millionen Euro (2,93 Millionen Mark) im Jahr.