(Lausitzer Rundschau, 10.9.04) In einer Woche wählen Brandenburg und Sachsen neue Landtage. Dabei wird
ein Abschneiden rechtsextremer Parteien oberhalb der Fünf-Prozent-Hürde
für möglich gehalten. In Brandenburg tritt die DVU an, in Sachsen die
NPD, so eine Absprache zwischen beiden. Wenn sie in der Lausitz und im
Elbe-Elster-Land auf Stimmenfang gehen, versuchen beide Parteien, ihren
rechtsextremistischen Charakter zu verschleiern.
Ein mal in der Woche ist Markt am Wasserturm in Weißwasser, einem
Plattenbaugebiet. Hier wohnen viele Arbeitslose. Jeder vierte
Erwerbsfähige in der 22 000 Einwohner-Stadt im Niederschlesischen
Oberlausitzkreis (NOL) ist ohne Job. Die Händler auf dem Markt am
Wasserturm ringen um jeden Euro Umsatz.
An einer Ecke des Platzes steht ein Tisch mit schwarz-weiß-roter Fahne
darüber, daneben ein Sonnenschirm mit den Initialen der
rechtsextremistischen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD)
und der Aufschrift «Ein Herz für Deutschland» . Unter dem Schirm stehen
Michael Ackermann, Kreisvorsitzender der NPD im NOL-Kreis, und Ulrich
Becker, Direktkandidat der Rechtsextremisten für den sächsischen Landtag.
Gummibärchen mit NPD-Aufdruck
Der in Döbern geborene Becker hat kurze Haare, eine Brille und trotz des
warmen Spätsommerwetters eine Lederjacke im Trachtenstil an. In der DDR
war der 46-Jährige parteilos, nach 1989 in der CDU. Als Helmut Kohl «auf
unsere Ostgebiete» verzichtet habe, ging er für zwei Jahre zu den
Republikanern, dann zur NPD. Von der Partei, gegen die ein
Verbotsverfahren vor eineineinhalb Jahren scheiterte, sagt er stolz:
«Die ist meine politische Heimat.»
An den NPD-Wahlstand kommt an diesem Vormittag kaum jemand von allein.
Nur zwei Halbwüchsige lassen sich Gummibärchen-Tüten mit NPD-Aufdruck
schenken. Einige Männer holen Werbematerial ab, das sie in die
Briefkästen der benachbarten Häuser stecken. Auf den Faltblättern
dominieren unverfängliche aber populäre Reizworte wie Rentenklau,
Korruption, Sozialabbau und Hartz IV.
Ulrich Becker geht auf Marktbesucher zu und drückt ihnen das
NPD-Werbematerial in die Hand: «Sie können sich das ja mal durchlesen
und überlegen, ob sie uns wählen» , sagt er freundlich. In Anwesenheit
der RUNDSCHAU ist er erstaunlich wortkarg im Gespräch mit potenziellen
Wählern, auch als zwei ältere Frauen über «die Russen» schimpfen, die
kürzlich in der Nähe einen Mann verprügelt hätten.
Meist sind es ältere Frauen, die an diesem Vormittag in Weißwasser die
Wahlzeitung der NPD in ihre Einkaufstaschen stecken. Viele schimpfen auf
die schwierige wirtschaftliche Lage in der Region und darüber, dass die
Politiker die Lausitz vergessen hätten. «Ich lese alles, um mich zu
informieren, man weiß ja gar nicht mehr, wen man wählen soll» , sagt
eine 64-Jährige, die die NPD-Papiere in ihre Tasche steckt. Über die
rechtsextreme Partei weiß sie kaum etwas. «Ist das nicht so wie früher,
so national» , fragt sie unsicher. Nur ein Mann winkt ab, als er den
Info-Stand sieht: «Die kennen die Geschichte nicht, begreifen die
Gegenwart nicht und sind für die Zukunft überflüssig.»
NPD-Kandidat Ulrich Becker sieht sich dagegen als wirklichen
Volksvertretern. Zum «Volk» gehören für ihn jedoch nur «Bürger deutschen
Blutes» . Bevor er erklären kann, warum ihm das mit dem Blut so wichtig
ist, mischt sich ein junger Kahlkopf ein, der kurz vorher noch NPD-Flyer
verteilt hat. «Weil das unser Land ist und wir nicht von den Bimbos
überfremdet werden wollen, die unsere Frauen schänden» , hetzt er los:
«Die würde ich alle aufhängen.» Ulrich Becker schaut betroffen und sagt
sofort: «Den kenne ich nicht, das ist kein Parteimitglied.»
Der Kahlkopf, den NPD-Kandidat Becker nicht kennt, fühlt sich in seiner
«Rasse» diskriminiert. Etwa die Hälfte der Einwohner von Weißwasser,
phantasiert er, seien Ausländer. Der durchschnittliche Ausländeranteil
in den neuen Bundesländern liegt aber tatsächlich bei etwa zwei Prozent.
Weißwasser ist da keine Ausnahme. Der Kahlkopf ist nach eigenen Angaben
vor einem Jahr erst aus der NPD ausgetreten, weil er als Arbeitsloser
den Beitrag nicht mehr aufbringen konnte: «Ich wollte die Partei nicht
belasten.» Er sei jedoch Mitglied einer «Kameradschaft» , erzählt er
freimütig. «Man trifft sich, man kennt sich, der Kontakt ist gut» , sagt
der 22-Jährige über das Verhältnis zur NPD. Kreisparteichef Michael
Ackermann erzählt später über den 22-Jährigen, der sei aus der NPD
ausgeschlossen worden. «Von manchen Leuten muss man sich halt trennen» ,
sagt Ackermann und grinst. Der bekennende Ausländerhasser im
NPD-Wahlkampf kräftig hilft, stört ihn nicht.
Plakatschwemme
80 Plakate haben die NPD-Leute und ihre Helfer in Weißwasser aufgehängt.
Fast alle seien über Nacht zerstört worden, beklagt sich NPD-Kandidat
Ulrich Becker. Im Gegensatz zu seiner Partei könne es sich die Deutsche
Volksunion (DVU) leisten, Firmen mit dem Plakatieren zu beauftragen.
Die DVU, die in Brandenburg seit 1999 mit fünf Mandaten im Landtag sitzt
und dort auch bleiben will, verwahrt sich dagegen. «Alles ehrenamtliche
Helfer» , versichert der märkische DVU-Chef Sigmar-Peter Schuldt. Das
Geld für die Plakate komme aus Spenden. Laut Verfassungsschutz
finanziert jedoch der schwerreiche Münchner Verleger und autoritäre
DVU-Chef Gerhard Frey maßgeblich den Wahlkampf. In Brandenburg hat die
DVU laut Verfassungsschutz nur 230 Mitglieder, aber 100 000 Wahlplakate
angebracht. Bei der Kommunalwahl im vorigen Herbst schnitt die DVU in
den Kreisen Oberspreewald-Lausitz und Elbe-Elster am besten ab, wo sie
je zwei Mandate für die Kreistage errang. Arnold Graf aus Lauchhammer
ist einer der Abgeordneten. «Wir haben keine Zeit für Wahlstände und
auch keine Lust, uns dort von Chaoten bedrohen zu lassen» , begründet
der arbeitslose 60-Jährige das Fehlen öffentlicher Diskussionen seiner
Partei im Wahlkampf. Landeschef Schuldt versichert dagegen, in allen
Kreisen habe es bis vor vierzehn Tagen Infostände gegeben. «Sie kommen
zu spät, jetzt haben wir den öffentlichen Wahlkampf eingestellt» ,
verkündet er.