Rechtsextreme starten Wahlkampf — SPD prüft Klagen gegen Radio- und Fernsehspot
(Berliner Zeitung, 3.8., Martin Klesmann) POTSDAM. Mit einem massiven Einsatz von Wahlkampf- und Propagandamaterial versucht
die rechtsextreme DVU bei der Landtagswahl am 19. September erneut in den Potsdamer
Landtag zu gelangen. “Für Brandenburg haben wir bisher 97 000 Plakate gedruckt”,
sagte DVU-Bundessprecher Bernd Dröse am Montag in München. Gegebenenfalls würden
weitere Plakate nachgedruckt. Damit ist die DVU in Brandenburg die Partei, die
landesweit die meisten Plakate kleben wird. “SPD, PDS und CDU werden vielleicht
zusammen so viele Plakate kleben”, sagtr SPD-Landesgeschäftsführer Klaus Ness.
Bei den Landtagswahlen 1999 hatte die Partei des umstrittenen Münchner Verlegers
Gerhard Frey 5,3 Prozent der Stimmen erhalten und ist seitdem mit fünf Abgeordneten
im Landesparlament vertreten. Als Verleger rechtsextremer Zeitungen kann der ohnehin
finanzkräftige Gerhard Frey in einschlägigen Druckereien preiswert drucken lassen.
“Herr Frey kauft sich seine Wähler durch Propagandamaterial, das Wochen vor einer
Wahl plötzlich überall auftaucht”, heißt es bei der SPD. Tatsächlich zielen die
Plakate der Rechtsradikalen klar darauf, unzufriedenes Protestwähler-Potenzial zu
mobilisieren: “Schnauze voll? Diesmal DVU”, steht auf dem am häufigsten geklebten
Plakat. Die DVU plant zudem umfangreiche Steckwurfsendungen kurz vor der
Landtagswahl.
Verbot des Spots wird geprüft
Ein besonders perfider DVU-Wahlkampfslogan bringt derzeit die SPD in Rage. Die DVU
will nämlich in Fernseh- und Radiospots mit der verstorbenen SPD-Sozialpolitikerin
Regine Hildebrandt werben — zu Lebzeiten war sie die populärste Politikerin im Land.
Wörtlich heißt es in der halb minütigen Parteiwerbung: “Die DVU ist sich sicher.
Regine Hildebrandt würde heute Protest wählen.” Außerdem heißt es in dem Spot:
“Regine Hildebrandt hat Asyl-Missbrauch bekämpft.”
Der Witwer Jörg Hildebrandt ist tief getroffen. Die SPD hat Anwälte eingeschaltet
und will gegen diese Art von Wahlkampf juristisch vorgehen. Denn möglicherweise kann
der Ehemann der Verstorbenen geltend machen, dass seine Persönlichkeitsrechte
verletzt sind und das Andenken Verstorbener verunglimpft wird. Dann dürfte der Spot
nicht gesendet werden. Der Radio- und Fernsehspot soll im RBB sowie bei Lokalsendern
laufen.
“Uns liegt der Spot noch nicht vor”, sagte RBB-Sprecher Ulrich Anschütz am Montag.
“Aber laut Parteiengesetz sind wir generell zur Ausstrahlung von Wahlwerbung
verpflichtet.” Jeder Spot würde aber vor der Ausstrahlung geprüft.
DVU-Landeschef Sigmar-Peter Schuldt sagte am Montag, seine Partei wolle mit der
Werbung darauf hinweisen, dass die SPD ihre sozialpolitischen Positionen verraten
habe. Er finde nicht, dass Rechtsextreme nun in perfider Weise die Person Regine
Hildebrandt in Besitz nehmen würden. “Wir haben das im Land häufig gehört: Wenn
Regine Hildebrandt noch leben würde, hätte sie da nicht mitgemacht.”
Die äußerst redefreudige Regine Hildebrandt war viele Jahre lang Sozialministerin in
Potsdam. Sie galt zusammen mit Manfred Stolpe als Befürworterin eines sozial
abgefederten Übergangs der DDR-Gesellschaft in die Marktwirtschaft. Die
Transformation sollte durch allerlei staatliche Maßnahmen, wie etwa umfangreiche
ABM, behutsamer gestaltet werden. Nach der Landtagswahl 1999 plädierte sie für ein
rot-rotes Bündniss in Brandenburg und verweigerte sich mit harschen Worten der
Koalition mit den Christdemokraten um Jörg Schönbohm. Nach längerer Krankheit erlag
sie im November 2001 ihrem Krebsleiden.
DVU-Plakate: legal, aber teuer
Rechtsextreme hängen in ganz Neuruppin weit über 100 Wahlwerbetafeln auf
(MAZ, 4.8., Erik Heier) Als Erhard Schwierz gestern Morgen um halb sieben einen Trupp der
rechtsextremen Deutschen Volksunion (DVU) beim Anbringen ihrer Wahlplakate
an nahezu jeder Laterne des Neuruppiner Schulplatzes beobachtete, war er nur
kurz verärgert. “Ich dachte, bis Mittag sind die alle wieder weg”, sagte der
SPD-Stadtverordnete, der zur AG Innenstadt gehört. Glaubte er doch, dass die
von der Stadtverordnetenversammlung am 14. Juli beschlossene Änderung der
Sondernutzungsgebührensatzung Wahlplakate in der Innenstadt verbieten würde.
Seit neun Uhr aber ahnte Schwierz, dass sein Ärger nicht so schnell
verpufft. Er hatte bei der Stadt angerufen: “Dort hat man hat mir erklärt,
dass der Stadtverordnetenbeschluss das zulässt.”
Dies bestätigt Marion Duschek, Sachbearbeiterin der Fachgruppe
Grundstückswesen bei der Stadt: “In dem Beschluss heißt es nur, dass in der
Innenstadt das Plakatieren gebührenpflichtig ist.” Pro Quadratmeter
Plakatfläche und pro Tag kostet das 50 Cent. Gestern wollte sie bereits den
Gebührenbescheid an die DVU herausschicken.
Mit der Plakat-Aktion der DVU nimmt eine Debatte eine neue Wendung, die der
SPD-Bundestagsabgeordnete Ernst Bahr in der vergangenen Woche im Gespräch
mit den Kreisvorsitzenden der demokratischen Parteien und Vereinigungen
eigentlich beenden wollte: die Diskussion um das Fairplay-Abkommen in
Neuruppin (die MAZ berichtete).
Die Stadtparteien hatten sich Anfang Mai darauf verständigt, höchstens 100
Plakate und fünf Großaufsteller im Wahlkampf einzusetzen und die Innenstadt
von derartiger Werbung ganz freizuhalten. Die SSV beschloss in ihrer Sitzung
am 14. Juli, diese Höchstzahlen kostenfrei zu belassen. Darüber wirds
teuer.
Diese Änderung vom 14. Juli hat jedoch einen Makel: Das Plakatieren in der
Innenstadt ist zwar kostenpflichtig. Es bleibt aber erlaubt — dies ist durch
die Landeswahlgesetzgebung garantiert. Somit profitiert die DVU nun von der
selbst auferlegten Zurückhaltung der demokratischen Kräfte in der
Innenstadt. Ihre Plakate dürfen bis zum Wahltag am 19. September auch auf
dem Schulplatz hängen bleiben.
Und weil die Rechtsextremen zwar die Plakat-Aktion angemeldet hatten, nicht
aber eine konkrete Zahl, marschierte Stadtmitarbeiterin Marion Duschek
gestern auch noch zwei Stunden lang durch die Stadt und zählte die Plakate.
26 seien es auf Schulplatz und in der Karl-Marx-Straße, “weit über 100” in
der ganzen Stadt.
Für die 26 Plakate im Innenstadtbereich und jene über der 100er Obergrenze
werden nun Gebühren fällig. Die Bekanntgabe der genauen Summe behielt sich
ihr Chef Roger Groth vor, bei der Stadt für Grundstückswesen zuständig.
Der aber war gestern trotz mehrfacher MAZ-Nachfrage schon nach Hause
gegangen.