Mikhail Chvartz leitet die Jüdische Gemeinde Potsdam — ihr fehlt es an Geld
POTSDAM. Der Plattenbau fast im Zentrum von Potsdam ist nicht gerade schön.
Doch Mikhail Chvartz ist ganz zufrieden, dass die Jüdische Gemeinde Potsdam
seit Anfang März endlich in einigen Räumen in der Schlossstraße ein neues
Zuhause gefunden hat. Seit Anfang dieses Monats hat sich die Landesregierung
von Brandenburg auch bereit erklärt, die zuvor von der Stadt Potsdam
getragene Miete zu übernehmen. Deshalb findet der Vorsitzende der Potsdamer
Gemeinde plötzlich sogar gute Worte für Johanna Wanka (CDU): “Die
Kulturministerin ist eine große Hilfe auf Schritt und Tritt, findet immer
Zeit, hat keine Probleme mit Terminen.” Vom nicht vorhandenen Geld in den
Staatskassen spricht Chvartz nicht direkt. Der 73-Jährige, der seit Anfang
dieses Jahres auch an der Spitze aller sieben jüdischen Gemeinden in
Brandenburg steht, möchte vielmehr wissen, was aus den drei Millionen Euro
geworden ist, die der Zentralrat der Juden in Deutschland als zusätzliche
Bundeshilfe für ost€päische Zuwanderer bekommen hat.
Vermächtnis des Vaters
Chvartz kam 1999 nach Deutschland, um das Vermächtnis seiner Vorfahren zu
erfüllen. Der Vater war 1925 aus dem Brandenburgischen zunächst in die
Ukraine ausgewandert, um in Belice die erste jüdische deutsch-ukrainische
Genossenschaft zu gründen. Wegen des dortigen Antisemitismus zog es ihn bald
nach Moskau, wo es der Sohn später zum Professor für Erdöltechnik sowie zum
Mitplaner und als Generaldirektor der zuständigen Firma zum Miterbauer der
legendären Drushba-Trasse brachte. Dem Vater versprach Chvartz, die Gemeinde
in Brandenburg wieder aufzubauen.
Die Aufgabe an der Spitze der fast 800 Mitglieder starken Gemeinde wird
nicht leicht. Bisher sitzt Chvartz in mehr als schlecht ausgestatteten
Zimmern — eine Etage über dem Amtsgericht, und gleich neben zahlreichen
Projektgruppen und einer Fischereiorganisation. Sprechstunden für die — mit
zwei Ausnahmen — russischstämmigen Juden gibt es nur zwei Mal wöchentlich.
Und sein Versprechen, schon bald den Gläubigen freitags und sonnabends zum
Shabbat regelmäßig Gottesdienste anzubieten, kann der Vorsitzende bislang
nicht halten. Nur gelegentlich kommt Rabbiner Presmann, vom Zentralrat der
Juden aus Geldmangel entlassen, vorbei und hilft aus. In ganz Brandenburg,
sagt Chvartz, existiert nicht eine einzige richtige Synagoge. Am meisten
stört Chvartz das Provisorium in Potsdam. Dort, wo eigentlich 60 Leute
sitzen können, stören zwei Wände. So hängt der Thora-Vorhang in einem
winzigen Raum für gerade zwölf Gäste. “Ich suche Leute, die die Mauern
einreißen”, sagt Chvartz, lacht und hofft auf tätige Hilfe. Und dann zählt
er seine Prioritätenliste auf: endlich das Grundstück Am Kanal 1 für einen
Synagogenneubau kaufen, ein Gemeindezentrum aufbauen und sich um die
jüdische Erziehung des Nachwuchses kümmern. Für den Förderverein Neue
Synagoge setzt Chvartz auf Finanzspritzen alter Freunde, die als reiche
Leute in den USA oder in Moskau leben. “Wir brauchen nur vom Eigentümer
endlich einen festen Preis”, sagt der Gemeindevorsitzende.
Lange Zeit sah es weit düsterer für das jüdische Leben in Brandenburg aus:
Wegen persönlicher Verfehlungen früherer, inzwischen abgesetzter
Vorstandsmitglieder steht Chvartz vor einem Schuldenberg von rund einer
Million Euro. Der Sanierungsbeauftragte des Zentralrates versuchte
vergeblich, die verschwundenen Summen zu finden und Verantwortliche
aufzutreiben. Die Regierung stoppte ihrerseits die Zuschüsse von rund 150
000 Euro jährlich. Diese Querelen scheinen kurz vor dem Ende: Nur am Rande
erwähnt Chvartz, dass das Land gerade den Entwurf eines Staatsvertrages
geschickt habe. Noch im Herbst wollen die Jüdischen Gemeinden in Brandenburg
unterschreiben. Dann ist auch die endlose Finanzmisere ein Stück
Vergangenheit.
In einem Punkt unterscheiden sich die Potsdamer übrigens ganz und gar von
der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und anderen Gemeinden in Deutschland: “Wir
sind ein offenes Haus”, sagt Chvartz. Zwar macht die Polizei in dem Haus in
der Schlossstraße Kontrollbesuche. Doch ansonsten will man so weit irgend
möglich vermeiden, dass Sicherheitsmaßnahmen die Atmosphäre der Gemeinde
beeinträchtigen. Chvartz: “Glücklicherweise ist noch nichts passiert.” Er
vergisst dabei, den Anschlag auf den jüdischen Friedhof im Jahr 2001 zu
erwähnen.