Aufgrund der Behauptung, sie hätte gemeinsam mit vier weiteren jungen AntifaschistInnen einen versuchten Mord an einem Neonazi begangen, wird Julia S. seit dem 20.Juni in Untersuchungshaft gehalten. Immer mehr PolitikerInnen, KünstlerInnen und BürgerInnen aus Potsdam, Brandenburg und der ganzen Bundesrepublik schließen sich mittlerweile der Forderung nach Freilassung der jungen Antifaschistin an. Sie alle verstehen nicht, warum eine engagierte Antifaschistin unter einem offenkundig falschen Tatvorwurf inhaftiert werden kann. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr und vier weiteren Jugendlichen vor, sie hätten am 18.06.05 am Nauener Tor in Potsdam einen rechtsradikalen Jugendlichen zusammengeschlagen. Die Qualifizierung des Tatvorwurfes wirft bei uns erhebliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit
der Justiz auf. Der Vorwurf des versuchten Mordes stützt sich auf die Behauptung, die fünf hätten den Tod eines anderen Menschen billigend in Kauf genommen und als Linke wären sie der Meinung, man dürfe Rechte töten, was für eine niedere Gesinnung spräche. Scheinbar führt allein die Tatsache, dass Julias Engagement gegen Rechtsextremismus und neofaschistische Strömungen in Potsdam bekannt ist, die Staatsanwaltschaft zu der Annahme, dass sie jederzeit bereit wäre anderer Menschen Leben aufs Spiel zu setzen.
Sollen wir daraus schlussfolgern, dass die antifaschistische Gesinnung per se eine niedere sei? Seit der Wende ist uns kein einziger rechtsextremer Übergriff auf Linke, Ausländerinnen oder Obdachlose usw. in Potsdam bekannt geworden, in dem Rechte mit einem Mordvorwurf konfrontiert wurden ob sie ihre Opfer nun mit Baseballschlägern, Springerstiefeln, Eisenstangen oder Schußwaffen angriffen haben. Warum nun ausgerechnet im vorliegenden Fall ein Mordversuch unterstellt wird, dafür fehlt uns jedes Verständnis.
Die Staatsanwaltschaft versucht mit dem Fall Politik zu machen. Dies ist nicht ihre Aufgabe. In Folge des überzogenen Tatvorwurfs kam es in den Medien zu einer regen Diskussion über einer sogenannte “Gewaltspirale”, welche die Situation in Potsdam als gewaltätige Rivalität zwischen linken und rechten Jugendlichen darstellt. Dies ist allerdings nicht der Fall.
Während sich die Aufmerksamkeit von Polizei und Justiz in erster Linie auf Linke konzentriert, ist die Zahl der dokumentierten Übergriffe durch Neonazis in Potsdam innerhalb der letzten Monate sprunghaft angestiegen.
Seit kurzem hat die neonazistische Vereinigung Anti-Antifa Potsdam Verstärkung aus Berlin. Dabei handelt es sich um Neonazis aus den verbotenen Kameradschaften Thor und BASO. Von diesem Personenkreis gingen die meisten der seit Mai diesen Jahres öffentlich bekannt gewordenen 23 Übergriffe aus, wobei die Dunkelziffer weit höher liegt. Bis auf den hier beschriebenen und
noch ungeklärten Fall gibt es keine Berichte über linke Gewalttaten. Eine antifaschistische Bedrohung in der Öffentlichkeit gibt es nicht.
Julia S. darf seit über vier Monaten nicht telefonieren, erhielt am Geburtstag keine Sonderbesuchsrecht für ihre Familie und darf nur alle zwei Wochen drei ihrer Freunde und Angehörigen für eine halbe Stunde sehen. Selbst Strafrechtler bezeichnen die Untersuchungshaft bei der Beschuldigte ohne rechtskräftiges
Urteil festgehalten werden, als größten Eingriff in die Grundrechte eines Menschen. Eine Haftbeschwerde wurde mit der Begründung abgelehnt, es bestünde Fluchtgefahr, da Julia kein gefestigtes soziales Umfeld habe. Weder bei Familie, noch im Freundeskreis oder unter den Mitbewohnern wurde sich jedoch darüber informiert. Sie ist Vorsitzende des Chamäleon e.V. und in dieser Funktion kürzlich durch die Mitgliederversammlung des Vereins bestätigt worden. Das allein zeigt schon die hohe Akzeptanz und Wertschätzung, die
Julia trotz der Untersuchungshaft weiterhin genießt. Hätte Julia sich wirklich der Strafverfolgung entziehen wollen, wäre ihr das auch ohne weiteres möglich gewesen. Schließlich befand sie sich ja auf freiem Fuß, ehe sie zwei Tage nach dem strittigen Vorfall von der Polizei bei einem Erste-Hilfe-Kurs verhaftet wurde, den sie für ihre Tätigkeit als Betreuung von Jugendfreizeiten absolvierte. Offenbar hat Julia aber nicht einmal in Erwägung gezogen, sich zu verstecken oder dem Gericht zu entziehen. Sie machte aber von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch und will sich vor Prozessbeginn zu den Vorwürfen nicht äußern, woraus ihr theoretisch keinerlei Nachteile entstehen dürfen. Praktisch wurden aber aufgrund dessen sämtliche Kautionsverhandlungen abgelehnt. Der Vorwurf, Julia und die
vier anderen hätten einen Mordversuch begangen, ist nicht länger aufrechtzuerhalten. Daraus müssen jetzt endlich Konsequenzen gezogen werden.
Erstens: Julia muss raus aus dem Knast und zweitens: Die
Ermittlungsverfahren wegen versuchten Mordes müssen eingestellt werden. Alles andere beschädigt das Vertrauen in eine rechtsstaatliche Justiz.