In der vorigen Woche urteilte das Landgericht in Cottbus im Revisionsverfahren, dass ein Neonazi den Tod eines Punks in Eberswalde vor zwei Jahren nicht mit Vorsatz herbeigeführt habe.
Punks sind Freiwild. Mit diesen drei Worten lässt sich das Urteil des Landgerichts Cottbus im Revisionsverfahren gegen den stadtbekannten Eberswalder Neonazi Mike Bäther zusammenfassen. Das Landgericht entschied in der vorigen Woche, dass Bäther im Mai des Jahres 2000 den Tod des damals 22jährigen Punks Falko Lüdtke ohne jeglichen Vorsatz herbeigeführt habe. Es handele sich bei der Tat lediglich um fahrlässige Tötung.
Entsprechend niedrig fällt auch das Strafmaß für den heute 30jährigen Rechtsextremisten aus: ein Jahr und acht Monate Haft ohne Bewährung. Direkt nach der Urteilsverkündung teilte ein Sprecher des Landgerichts mit, dass nun geprüft werde, ob man Bäther, der bereits 14 Monate lang in Untersuchungshaft saß, ehe der Haftbefehl mit dem Revisionsverfahren außer Kraft gesetzt wurde, die verbliebene Haftzeit von vier Monaten erlassen und zur Bewährung aussetzen werde.
Im Dezember des Jahres 2000 hatte das Landgericht Frankfurt/Oder die Umstände, die in der Nacht zum 1. Juni desselben Jahres zum Tod von Lüdtke geführt hatten, noch ganz anders bewertet. Der junge Punk hatte Bäther, der auf seinem kurz geschorenen Hinterkopf ein gut sichtbares Hakenkreuz-Tattoo trug, an einer Bushaltestelle getroffen und wegen des Nazisymbols zur Rede gestellt. Beide stiegen in den gleichen Bus ein, wo Lüdtke die Diskussion um die rechtsextreme Haltung von Bäther weiterführen wollte. Auch als die beiden an derselben Bushaltestelle ausgestiegen waren, setzte sich die Auseinandersetzung fort.
Was dann geschah, schildern die Frankfurter Richter so: »Nunmehr begab sich der Angeklagte zu Falko Lüdtke, um tätlich gegen diesen vorzugehen. Er begann ihn zu schubsen und mit der Faust zu schlagen. (…) Als der Angeklagte und Falko Lüdtke (…) am Rand der Fahrbahn standen, versetzte der Angeklagte, in Richtung Straße blickend, dem mit dem Rücken zur Fahrbahn stehenden Falko Lüdtke einen Schlag auf den Brustkorb. Falko Lüdtke verlor dadurch das Gleichgewicht und stolperte auf die Straße.« Dort wurde er von einem Taxi erfasst. Er starb noch in der gleichen Nacht an seinen Verletzungen.
Die Polizei und die Sicherheitsbehörden gaben sich in den Tagen nach Lüdtkes Tod alle Mühe, das Geschehen als einen bloßen »Streit zwischen verfeindeten Jugendkulturen« darzustellen, wie er in Eberswalde leider immer wieder an der Tagesordnung sei. Erst nachdem linke und antifaschistische Jugendgruppen die Vergangenheit Bäthers öffentlich machten und sich Zeugen meldeten, die den Streit um Bäthers rechtsextreme Gesinnung gehört hatten, gelang es, den politischen Hintergrund von Lüdtkes Tod ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit zu bringen. Selbst das Frankfurter Landgericht wertete das Verhalten des jungen Punks als Zivilcourage: »Nach Auffassung der Kammer stellen das Ansprechen des Angeklagten durch Falko Lüdtke im Hinblick auf die Hakenkreuz-Tätowierung und seine diesbezüglich erfolgte “Agitierung” keine Provokation, sondern Zivilcourage dar.«
Trotzdem konnte der erste Prozess gegen Bäther einige für die Urteilsfindung entscheidenden Beweise nicht liefern. »Erinnerungslücken« von Zeugen, die aus der Umgebung Bäthers stammen, und die Tatsache, dass er zu seiner Motivation schwieg, führten dazu, dass das Gericht den Neonazi wegen fahrlässiger Körperverletzung mit Todesfolge zu viereinhalb Jahren Haft verurteilte. Das Gericht bewertete sein Verhalten als spontane Tat.
Gegen das Urteil legten der Neonazi und seine Verteidiger beim Bundesgerichtshof erfolgreich Revision ein. Der BGH entschied im Sommer des vergangenen Jahres, dass Bäther wegen fahrlässiger Tötung zu verurteilen sei. Gleichzeitig machte der BGH dem nunmehr zuständigen Landgericht Cottbus weitreichende Vorgaben darüber, wie das Geschehen zu bewerten und zu bestrafen sei.
Daran hat sich das Landgericht Cottbus strikt gehalten. Lediglich in einem Punkt rückten die Cottbusser Richter nicht von dem ab, was auch schon in Frankfurt/Oder festgestellt worden war. Dass Bäthers rechte Gesinnung die Ursache der Tat gewesen sei. Strafverschärfend solle das aber nicht gewertet werden, so die Richter. Der einschlägig vorbestrafte Täter, gegen den derzeit auch noch ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Brandstiftung anhängig ist, hatte in der mündlichen Verhandlung angeführt, dass er nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft bei seinem Bruder lebe, seinen Unterhalt aus Sozialhilfe beziehe und kaum noch Alkohol trinke.
Für die Autoren des im Sommer 2001 veröffentlichten Sicherheitsberichts der rot-grünen Bundesregierung war der Tod Lüdtkes ein explizites Beispiel für eine politisch motivierte, rechtsextreme Straftat. Auch das Landgericht in Frankfurt hob diesen Aspekt hevor: »Letztendlich hat ein der rechten Szene Zugehöriger gegen einen Andersdenkenden Gewalt ausgeübt«, so die Richter.
Der brandenburgische Verfassungsschutz hingegen schaffte es mal wieder, ein Opfer zum Täter zu machen. Unter der Rubrik »Linksextremismus« findet sich im Verfassungsschutzbericht folgendes: »Am 3. Juni fand in Eberswalde eine Gedenkdemonstration unter dem Motto »Kein Vergeben, kein Vergessen!« statt, an der ca. 500 Personen teilnahmen. Anlass war ein folgenschwerer Vorfall, bei dem ein 23jähriger Punker tödlich verletzt wurde — von Linksextremisten wird unterstellt, dass es sich um einen “faschistischen Mord” gehandelt habe.« Dass die Statistik des Brandenburger Innenministeriums den Tod von Falko Lüdtke noch immer nicht unter rechts motivierten Tötungsdelikten erwähnt, ist da kaum verwunderlich.