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Rezension: Erst sterilisiert, dann getötet

Die ange­blich an erblich­er Fall­sucht lei­dende Emma L. aus Fin­ster­walde sollte unfrucht­bar gemacht wer­den. Die Frau und ihr Mann wehrten sich. Der Hausarzt wies auf die Gefahr bei ein­er Oper­a­tion hin: Emma L. litt an einem schw­eren Herzfehler. Doch das faschis­tis­che Erbge­sund­heits­gericht Cot­tbus und das Erbge­sund­heit­soberg­ericht Berlin scherten sich nicht um die War­nung. Die 31-Jährige starb 1935 neun Tage nach dem Ein­griff wegen ein­er dop­pel­seit­i­gen Pneu­monie und hochgr­a­di­ger Herz- und Kreislaufschwäche.

Mit vie­len Beispie­len erzählt Annette Hinz-Wes­sels in ihrem Buch »NS-Erbge­sund­heits­gerichte und Zwangsster­il­i­sa­tion« von Opfern des Rassen­wahns der Nazis. Schätzungsweise 15 000 Män­ner und Frauen sind in Bran­den­burg gegen ihren Willen unfrucht­bar gemacht wor­den. Dafür reichte es aus, schiz­o­phren, schw­er alko­ho­lab­hängig, von Geburt an blind oder taub oder schw­er kör­per­lich behin­dert zu sein. Die häu­fig­ste Diag­nose lautete »ange­boren­er Schwachsinn«. Diese Diag­nose wurde nach einem schema­tis­chen Intel­li­gen­ztest gestellt, der allein schon deshalb frag­würdig war, weil er Wis­sen abfragte, dass etlichen Dorf­be­wohn­ern ein­fach deshalb fehlte, weil sie schon früh in der Land­wirtschaft mithelfen mussten und darum nicht genug Zeit für ihre Schul­bil­dung hatten.

Die Kom­men­ta­toren des am 1. Jan­u­ar 1934 in Kraft getrete­nen »Geset­zes zur Ver­hü­tung erbkranken Nach­wuch­ses« behaupteten zwar, die Wis­senschaft könne mit großer Wahrschein­lichkeit vorher­sagen, ob Erb­schä­den auftreten wer­den. Das kon­nte die Forschung zum dama­li­gen Zeit­punkt jedoch keineswegs. Die Genetik steck­te noch in den Anfängen.

Über die Ster­il­isierung von Kranken wurde bere­its vor ´33 debat­tiert – sog­ar in der SPD – und der preußis­che Gesund­heit­srat ließ 1932 einen Geset­zen­twurf erar­beit­en. Dieser sah allerd­ings nur frei­willige Ein­griffe vor. Erst die Nazis macht­en Ernst und zwan­gen die Betrof­fe­nen zur Oper­a­tion. Viele behiel­ten Schä­den zurück, etwa ein Blasen­lei­den. Die psy­chis­chen Fol­gen sind gar nicht doku­men­tiert. Die Zwangsster­il­i­sa­tion gilt als Vorstufe zum Kranken­mord. Etliche Ster­il­isierte sind später im Rah­men der berüchtigten Aktion »T4« getötet worden.

Annette Hinz-Wes­sels: »NS-Erbge­sund­heits­gerichte und Zwangsster­il­i­sa­tion in der Prov­inz Bran­den­burg«, 245 Seit­en (Hard­cov­er), be.bra-Verlag, 24,90 Euro, ND-Bestellser­vice (030) 29 78 17 77

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