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Rheinsbergs brauner Sumpf

Was ist los mit ein­er Stadt, die sich weltof­fen gibt, in der aber ein
Dön­er-Stand vier Mal angezün­det wird?

Rheins­berg — Mit der linken Schuh­spitze stochert Mehmet Cimendag in den
Trüm­mern seines abge­fack­el­ten Imbißwa­gens. Vor seinen Füßen liegt eine
hal­b­ver­bran­nte Bibel, die Seit­en zer­bröseln beim Anfassen. “Ich habe
nie­man­den wehge­tan und ich habe nie­man­dem die Arbeit weggenom­men, oder?”,
fragt der junge Kurde. Dann nickt er ehe­ma­li­gen Stammkun­den zu, die
gegenüber in der Paulshorster Straße bei Spar und Aldi einkaufen. Er zuckt
mit den Schul­tern. “Wenn ich jet­zt aufgebe, haben sie gewon­nen”, sagt er
über die Täter. “Ich bin noch zu jung, um alles hinzuw­er­fen. Ich muß neu
anfan­gen. Ehrlich gesagt, ich habe gar keine Wahl.” 

Von Cimendags Dön­er-Bude “MAC s Kebab” sind nur verkohlte Palet­ten und zu
Klumpen geschmolzen­er Kun­st­stoff übrig — die trau­ri­gen Reste des vierten
Bran­dan­schlags auf den Imbiß inner­halb von zwei Jahren. Die ersten drei
Brände hat­ten nur leichte Sach­schä­den angerichtet. Doch dies­mal ste­ht der
21jährige vor der Ruine sein­er Exis­tenz. Und hin­ter ihm ste­hen viele
Rheins­berg­er Bürg­er. Sie organ­isierten Demon­stra­tio­nen, Mah­nwachen und eine
“Trüm­mer-Wegräum-Aktion”. Sie informierten Medi­en, sam­meln Spenden. 

Die Staat­san­waltschaft in Neu­rup­pin set­zte 2000 Euro Prämie für Hinweise
aus, die zu den Brand­s­tiftern führen, die sie im recht­sradikalen Milieu
ortet; denn es han­dle sich um “vorsät­zliche Bran­dle­gung mit
aus­län­der­feindlich­er Moti­va­tion”. Es nützte nichts: Ein paar Nächte später
beschmierten Recht­sradikale die Jalousie eines Fahrradgeschäfts in der
Rheins­berg­er Schloß­trasse mit einem 1,20 Meter großen Hak­enkreuz. Zehn
weit­ere Hak­enkreuze prangten auf Hauswän­den und Werbeschildern in
Seit­en­straßen. Wie rechts ist Rheinsberg? 

Wo früher der Imbißwa­gen stand, bilden sich disku­tierende Grüp­pchen. “Das
hier ist nicht Rheins­berg”, meint der CDU-Stadtverord­nete Erich Kuhn und
weist auf die Trüm­mer, “wir sind tol­er­ant, offen und inter­na­tion­al. Aber
auch wir haben ein Poten­tial an Aus­sicht­slosigkeit bei eini­gen Leuten.” Die
stel­lvertre­tende Bürg­er­meis­terin Mar­i­on Kraeft sagt: “Wer dahin­ter steckt,
wis­sen wir nicht. Aber das war nicht nur ein Anschlag auf Mehmet, sondern
auf die ganze Gemeinde.” 

Cimendags ehe­ma­lige Stammkundin Regi­na Horst kommt ger­ade vom Aldi-Markt.
Sie schimpft: “Die das hier gemacht haben, wis­sen doch gar nicht, wie Hitler
geschrieben wird!” Dummköpfe waren am Werk, heißt es. Das waren verzweifelte
Arbeit­slose, meinen Pas­san­ten. Sitzen­bleiber, sagt ein Jugendlicher. 

In Rheins­berg gibt es eine Gesamtschule mit gym­nasialer Ober­stufe. “Hier
herrscht eine aufgek­lärte Atmo­sphäre, es gibt keine Aggres­sio­nen, keine
Gewalt”, berichtet Sozialar­bei­t­erin Annett Bauer. Den­noch beobachte sie
einen “leisen Recht­sradikalis­mus” im Ort. Leute in Stiefeln und Bomberjacken
gebe es schon lange nicht mehr, statt dessen klei­de­ten sich die Rechtsaußen
“nor­mal” bis “unauf­fäl­lig”. Sie kleben Parolen an Lat­er­nen­mas­ten und machen
Fotos von Demon­stran­ten, die sich mit Cimendag solidarisieren. 

“Es ist unklar, ob es hier eine organ­isierte Szene gibt. Klar ist aber, daß
es zwis­chen Recht­en aus Rheins­berg, Neu­rup­pin und dem Raum Wittstock
Verbindun­gen gibt. In Witt­stock agiert die völkische Bewe­gung Neue Ordnung
von Mario Schulz und Math­ias Wirth, ehe­ma­lige NPD-Leute”, sagt Judith Porath
vom Vere­in Opfer­per­spek­tive in Pots­dam. Als Tre­ff­punk­te der Neon­azis in
Rheins­berg gel­ten Tri­an­gelplatz, Bushal­testelle auf dem Markt und eine
Kneipe der Rhin­pas­sage, in der es Piz­za und Dön­er gibt. Ausgerechnet. 

Wer gilt als Anführer der Recht­en im Ort? Ron W., wird erzählt. Der
19jährige war nach dem zweit­en Bran­dan­schlag auf den Imbiß von Cimendag 2003
festgenom­men und im Schnel­lver­fahren zu vier Wochen Arrest verurteilt
wor­den. Als Tat­mo­tiv hat­te er damals angegeben: “Wir sind hier nicht in
Türken­land, die sollen das hier nicht verkaufen!” Heute wohnt er in
Neu­rup­pin und macht dort eine Aus­bil­dung zum Tis­chler. Ron W. hat in der
Fontane-Stadt Verbindun­gen zu Wil­helm L. (89), einem alten NPD-Kad­er, der
Anfang der 1990er Jahre aus Schwelm in Nor­drhein-West­falen nach Neuruppin
kam und “Jugend­stun­den” abhält. Bei den Ermit­tlun­gen zum jüng­sten Anschlag
auf Cimendags Dön­er-Stand hat W. noch Zeu­gen­sta­tus, sagt der leitende
Ober­staat­san­walt in Neu­rup­pin, Ger­hard Schnittcher. 

Mehmet Cimendag ste­ht in den Resten des Imbiß-Wagens, den er vor Jahren
seinem Onkel abkaufte. Er greift nach der verkohlten Bibel und wirft sie in
den Abfall­con­tain­er. “Mit Dön­er aufhören? Niemals, ich will meine Hoffnung
auf ein gutes Leben nicht ver­lieren. Und ich will nicht alles so schlimm
sehen, son­st ver­liere ich den Mut zu kämpfen”, sagt er, grüßt die ehemaligen
Stammkun­den, die gegenüber einkaufen, schaut ihnen nach, wie sie in den
Super­markt ver­schwinden. Über dem Ein­gang hängt ein großes Schild: “Schön,
daß Sie da sind!”

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