Gerade einmal 80 Personen hatten sich am Donnerstag Abend im Kleist-Forum eingefunden um der Partei beizuwohnen. Unter ihnen 50 Antifas und Linke. Einlaßkontrollen fanden nicht statt. Zu unserer Überraschung waren die Anhänger der Partei, sehen wir mal von den 7 Organisatoren der Veranstaltung ab, an zwei Händen abzuzählen. (In
Frankfurt besitzt die Partei bisher nur 5 Mitglieder) Auch die Polizei mit der wir gerechnet hatten zeigte sich den ganzen Abend nicht. Anwesend war aber das Wahlkampf-Team des örtlichen CDU-Kandidaten welches offensichtlich Wähler der Schill-Partei abwerben wollte. Sie begleiteten nicht
nur Weßlaus Rede mit Beifall, sondern taten sich auch mit deutlichen Bemerkungen gegen die anwesenden Antifas hervor.
Das freundliche Miteinander beider Parteien läßt eine Zusammenarbeit einiger Parteijünger der Law and Order
Rassisten in Frankfurt (Oder) vermuten. Wir werden dies gespannt weiterverfolgen. Als kaum erwarteter Gast trat der Frankfurter Nazi-Liedermacher Nico Schiemann auf. Er hielt sich aber bis auf eine Frage die unter dem Protest kaum
hörbar war, zurück und verließ die Veranstaltung früh wieder.
Mit 45minütiger Verspätung fuhr dann ein schicker Audi vor, aus dem zu unser aller Überraschung (selbst die Schill- Leute wußten nicht Bescheid) nicht der angesagte Ronald B. Schill stieg, sondern der Spitzenkandidat der Partei
für Brandenburg: Dr. Dirk Weßlau aus Bernau. Schill war direkt nach der Kundegebung auf dem Bernauer Marktplatz wieder nach Hamburg abgefahren, des Hochwassers wegen.
So versuchte Weßlau in seine Rolle zu schlüpfen und das Publikum mit einer engagierten Wahlkampfrede vom Hocker zu reißen. Vergebens. Seine Rede war rhetorisch und inhaltlich so schlecht das sie sogar von den eigenen Partei-Mitgliedern unterbrochen wurde, um die Dinge besser darzustellen.
Inhalt der Rede war eine Auflistung sämtlicher Mißstände der heutigen Zeit. Ein Programm und Lösungsvorschläge waren nicht zu erkennen. Statt dessen wurden Nachfragen aus dem Publikum mehrmals mit der Aufforderung an seine
Parteifreunde beantwortet, doch mehr Wahlprogramme in das Publikum zu reichen. Ständige Blamagen aufgrund eigener Unwissenheit reihten sich aneinander. Weßlau und sein Trupp hätte uns fast leid tuen können wäre da nicht die
ständige Hetze gegen „Wirtschaftsflüchtlinge“ zu hören gewesen. So erklärte ein Schill-Mann aus Berlin zu ihrer Forderung nach Sach- statt Sozialleistungen für Asylbewerber und der Streichung den Grundrechtes auf Asyl aus dem Grundgesetz, das auch er ins Ausland gehen würde wenn er dort eine Millionenvilla gestellt bekäme. Und Weßlau schilderte seine Angst davor, dass seine Tochter in
wenigen Jahren mit Kopftuch herumlaufen müsse weil alles nur noch auf den Koran höre. Grund genug für die anwesenden Antifas die Rede immer wieder lautstark zu unterbrechen und mit Gegenrede zu antworten.
Als Weßlau um 22.30 immer noch nicht zum Ende gefunden hatte betraten Antifas die Bühne und forderten ihn nachdrücklich zum verlassen der selben auf. Auch das Mikro wurde abgedreht.
Abschließend läßt sich feststellen, dass die Wahlkampfveranstaltung eine Niederlage auf ganzer Ebene für die PRO war. Selbstkritisch müssen wir aber feststellen das zu spät entschlossen gehandelt wurde. Die Gegebenheiten vor Ort hätten weit mehr zugelassen. Zudem stellt es für Frankfurt (Oder) doch einen kleinen Skandal dar, das die Schill-Partei im Kleist-Forum (immerhin der zurzeit
modernste Veranstaltungskomplex mitten im Zentrum der Stadt) untergekommen ist. Auch an dieser Stelle hätten wir deutlicher agieren müssen.
Ein Frankfurter Antifa
Ronald Barnabas Schill (nicht) in Frankfurt/Oder
Eigentlich wollte gestern, am 22.08.2002, Ronald Barnabas Schill in Frankfurt/Oder bei einer Wahlkampfveranstaltung reden. Er kam nicht, gestört wurde trotzdem. Ein Bericht der “gruppe raus aus berlin [grab] — ag urlaub an der polnischen grenze”.
Gestern, am Abend des 22.08.2002, wollte die Partei Rechtsstaatliche Offensive (PRO), die sogenannte Schill-Partei in der Brandenburgischen Stadt Frankfurt an der Oder eine Wahlkampfveranstaltung mit dem Spitzenkandidaten Ronald Barnabas Schill durchführen. Wir, zwei zufällig anwesende BerlinerInnen waren im Kleist-Forum, um uns diese Event zu gönnen.
Zuerst wurden wir vertröstet und dann kam R. B. Schill gar nicht. Vom Spitzenkandidaten des Wahlkreises in Frankfurt/Oder wurde dafür das Hochwasser verantwortlich gemacht, welches langsam in Hamburg, der Heimat- und Wahlstadt Schills stieg. Deshalb wurde die gesamte Veranstaltung von diesem Spitzenkandidaten, dessen Namen wir leider nicht mehr wissen, durchgeführt. Dieser erzählte mit Blick auf die anwesende auffällig linke Jugend von der Wahlkampfveranstaltung der PRO-Partei am gleichen Tag in Bernau, wo sich laut ihm 300 Jugendliche eine lautstarke Auseinandersetzung lieferten und sich nicht “anständig und ordentlich” aufgeführt hätten. Dazu ist zu bemerken, das Bernau als eine der Hochburgen der Linken Szene in Brandenburg gilt. Wir wissen also nicht genau, was wir davon halten sollen.
Der Vortrag des Spitzenkandidaten war rhetorisch schlecht. Außerdem war die Atmosphäre im neuen und schicken Kleist Forum anders als erwartet. Von den rund 50–60 Anwesenden war die Mehrzahl gegen die Schill-Partei eingestellt. Ein großer Pulk von 20 Personen links neben dem Rednerpult sah ganz offen links aus (Punk, Skins, Hip-Hopinnen und Hip-Hoper). Noch einmal rund 20 Personen, die anfänglich wie interessierte Bürgerinnen und Bürger aussah, erwies sich in der Veranstaltung als Gegner und Gegnerinnen. Davon ist vor allem eine Fünfer-Gruppe von schick Angezogen hervorzuheben, über die noch zu berichten sein wird. Außerdem stellten sich zwei Personen als Freie Nationalisten (beides Männer) heraus. Der Rest ‑davon drei bis fünf Mitglieder der CDU- war interessiert bis begeistert. Also eine eher schlechte Ausgangslage für den Redner.
Die Wahlkampfrede begann erwartungsgemäß mit einer Abgrenzung von den “etablierten Parteien”. Diesen wurde im Großen und Ganzen unsaubere Methoden und “Klüngelwirtschaft” vorgeworfen. Wieso das schlimm sein sollte oder warum solcherlei bei der Schill-Partei nicht vorkommen könnte, konnte er nicht erklären. Die Partei wurde als Protestpartei gegen “das System” dargestellt, welche die Interessen “des kleinen Mannes” vertreten und sich nicht an Posten klammern würde. Wirtschaftspolitisch wurde der Klein- und Mittelstand gehypt, da er es sei, der ‑würde er nur ordentlich und richtig gefördert- die Arbeitsplätze schaffen könnte, welche heute nicht von den Großkonzernen bereitgestellt würden. Das steht nicht wirklich anders im FDP-Programm. Wichtig waren ihm die Bildungspolitik und vor allem Gesundheitssystem. Das erklärt sich daraus, dass er als Zahnarzt besondere Einblicke ins Gesundheitssystem habe, welche ihn qua Arbeitserfahrung kompetent machen würden ‑im Gegensatz zu anderen Politikern und Politikerinnen, welche Politik machen würden und nicht in direktem Kontakt zu den Menschen stünden. Wirkliche Vorschläge hatte er aber auch in diesen Bereichen nicht zu bieten, außer das er auf “Ungerechtigkeiten” und nicht hinnehmbare Zustände verwies. Das Auffällige war hier, das neben dem systemimmanten Gedisse keine eigenen Vorschläge standen. Das steht auch nicht anders im PDS-Programm. Sonst blieb er schö
n im vorgegebenen Rahmen, lehnte die Idee, dass ein Bildungssystem Eliten produziere ab und sprach sich dafür aus, die Menschen nach ihren Fähigkeiten in einem mehrgliedriegen Schulsystem zu fördern, ergo alles zu lassen wie es ist. Das steht nicht wirklich anders im SPD-Programm. Das Thema “Innere Sicherheit” arbeitete er erstaunlich kurz ab. Er und ein Vertreter aus Hamburg lobten die Arbeit Schills als Hamburger Innensenator, forderten mehr Polizei und Überwachung nach dem Hamburger Modell. Das steht nicht wirklich anders im CDU-Programm. In der Drogenpolitik war er auffällig unwissend und gestand dies mit dem Hinweis ein, dass es auf der Schule seines Sohnes ‑8.Klasse- keine Drogenprobleme gäbe. Ansonsten seien Menschen, die Drogen konsumierten oder handelten ein Schandfleck, welcher durch die Polizei und härtere Strafen bekämpft werden müsse. Auch wenn er nicht wußte, wo diese Menschen dann sonst alle seien.
Einen Höhepunkt erreichte die Rede, als er ‑eh schon die ganze Zeit auftretenden- Ressentiments gegen die Asylbewerber ‑ohne Innen bei ihm- richtete. Da traten dann die ganzen Redewendungen wie Parasiten und “Wirtschaftsflüchtlinge” auf, welche “uns” auf den Taschen liegen würden. Das war nicht überraschend, aber ihm doch sehr wichtig. Allerdings steht das nicht wirklich anders im NPD-Programm. Einen großen Feind hatte er im Islam, bzw. der türkischen Community ausgemacht. Er habe zum Beispiel keine Lust darauf, das seine heute 5‑jährige Tochter in 60 Jahren gezwungen (!) sei “mit Kopftuch herumzulaufen”. Interessant und irgendwie auch witzig war, dass er in einer fast vollständig atheistischen Stadt wie Frankfurt/Oder von einer “evangelisch-katholischen Religion” sprach, welche vom Islam ‑in Form von eigenen Moscheen, muslimischem Religionsuntericht und Halbmonden in der Schule etc.- langsam verdrängt würde. Insgesamt war die Rede gekennzeichnet von deutlichen Anbiederungsversuchen an den “kleinen Mann” und vor allem an den Mittelstand, sowie einer ‑wohl als Offenheit und Menschennähe gemeintem- Egomanie, durch die er sich als Wohltäter und dadurch geeigneten Vertreter für die einfachen Menschen darstellen wollte.
Diese Rede lief nicht halb so glatt, wie es hier scheinen könnte. Er wurde bei fast jedem Satz durch teilweise mehrere verschieden Zwischenrufe gestört, was zu einer sehr unruhigen Geräuschkullise führte. Dadurch konnte er zwar seine Rede durchziehen, aber längst nicht so eindrucksvoll, wie sie offenbar geplant war. Nahezu jeder Fehler und jeder kritisierbare Ausspruch wurde ihm lautstark vorgeworfen. Das ging vom Nachweisen offensichtlicher Widersprücher und falscher “Fakten” bis hin zu “Nazi-” und “Rassist-” Rufen. Hier verloren offenbar die Vertreter ‑nur Typen- der Schill-Partei die Macht über den Diskurs im Raum. Auch die anschließende Frage-Anwortrunde verlief nicht so bürgernah wie beabsichtigt. Mangels Fragenden musste offensichtlichen Gegnern und Gegnerinnen Rederecht erteilt werden. Hätte nämlich niemand gefragt, wäre die Strategie der Volksnähe nicht aufgegangen. So aber war er immer wieder in Erklärungsnot, sowohl bei systemimmanenten, als auch bei allgemeineren Kritiken. Er versuchte sich durch das beliebte Politikspiel, wir nehmen aus einer Frage nur einen Teilbereich und reden darüber fünf Minuten, so dass die ursprüngliche Frage nicht mehr beantwortet werden muss, zu retten. Aber er beherrschte diese Taktik nicht, es war zu offensichtlich, dass er oft keine Antwort parat hatte. Zudem verlief auch diese Runde nicht nach seinen Spielregeln. Durch ständige Zwischenrufe und Hinweise wurde es ihm immer mehr unmöglich das Bild des patenten Volkssouveräns aufrecht zu erhalten. Einen wirklich netten Einfall hatte eine Gruppe von fünf Personen, welche als eigenständige Partei auftrat und bis dahin auch, durch ihr schleimiges, aber selbstbewußtes Verhalten als solche gelten konnte und nun der Schill-Partei eine “Zusammenarbeit” anbot. Dazu hatten sie ihr Parteiprogramm mitgebracht, welches die gleichen Themen, wie die Schill-Partei aufzählte, aber versuchte durch Überspitzung ‑Abschiebung von Langzeitarbeitslosen u.a.- ad absurdum zu führen. Leider ging dieser Versuch ‑trotz guter schauspielerischer Leistung- nicht auf, da die anwesenden Linken zu früh und zu eindeutig lachten. Schade eigentlich.
Wir ‑als Berliner Linke- waren ‑nach all den Horrorgeschichten vom braunen Osten- erfreut und überrascht von der Vielzahl der Anwesenden Gegnerinnen und Gegner. Das beweist unser Erachtens wieder einmal, dass es nötig wäre diese Geschichten zu revidieren und ‑als in Berlin Wohnende- auch Kontakte mit dem Umland von Berlin zu schließen. Der Ablauf der ganzen Veranstaltung hat uns sowieso überrascht. So war es erstmal erstaunlich, dass alle Menschen ohne Eingangskontrolle oder Polizei herein und auch wieder heraus kamen. Auch die Störungen nicht etwa ein Herauskompliementieren nach sich zogen, sondern sich lediglich in Mahnungen nach deutschen, bzw. demokratischem Anstand und ordentlichem Verhalten erschöpften. Zu kritisieren ist dennoch, dass das Auftreten der Gegner und Gegnerinnen ungeplant wirkte. So hätte das Theater der Pseudo-Partei einen wirklichen Erfolg bedeuten können, hätten die anderen anwesenden Linken nicht gelacht und sich gefreut, sondern die erforderliche Entrüstung gezeigt. Kommunikationsguerilla funktioniert halt nicht, wenn sie offensichtlich ist. Außerdem gab es eine Aktion am Ende der Veranstaltung, als ein Teil der Linken zum Rednerpult ging und vorgab, dass die Veranstaltung nun nicht mehr zu ertragen wäre und sie das Mikrophon haben wollen würden. Sie waren damit nicht erfolgreich, aber der Tumult machte ein geordnetes Ende der Veranstaltung unmöglich. Leider kam sie zu spät, es ist auch nicht klar, ob sie geplant war oder nicht. So oder so hätte sie aber mehr Erfolg gezeigt, wäre sie von noch allen Anwesenden Linken getragen worden und nicht von einigen wenigen, während die anderen am Rand saßen. Allerdings war es auch ersichtlich, dass so wie die Störungen abgelaufen sind, nämlich indem die Diskursmacht der Veranstalter untergraben wurde, ein größerer Erfolg erreicht wurde, als wenn es zu einer Prügelei gekommen wäre. So aber haben sich die Vertreter der Schill-Partei einfach so sehr als konzeptlos gezeigt, dass wirlich kein “interessierter Bürger” bzw. “Bürgerin” sich von dieser Partei hat überzeugen lassen, außer die, die vorher schon überzeugt waren.
Sicherlich ist das nicht das Patentrezept gegen Rechts-Populismus im öffentlichen Raum, sicher hat eine Kritik der Verhältnisse gefehlt und sicher ist so eine Abschaffung des existenten Systems nicht zu leisten, aber in Anbetracht der Möglichkeiten und Verhältnisse war das, was passiert ist, hervorragend. Allerdings möchten wir auf eines hinweisen ‑auch und gerade für andere‑, nämlich das die Diskussionsangebote nach der Veranstaltung der Schill-Partei sich zusammen an einen Tisch zu setzen, so sie den angenommen werden ‑wie es hier passiert ist- nur diesen etwas nutzen. Denn so können sie schließlich wieder einen bestimmenden Punkt im Diskursgefüge darstellen. Sie, als diskutierende und demnach ernst zu nehmende “demokratische” Kraft, die mit dem Volk und gerade mit den Kritisierenden an einem Tisch sitzt. Eine Bewegung halt, kein Gegner. Wir würden allen raten, solchem aus dem Weg zu gehen.
Alles in Allem war es ein erfolgreicher, witziger und lehrreicher Abend.
gruppe raus aus berlin — ag urlaub