Rotlichtmilieu statt Restaurant
FRANKFURT (ODER). Eine “lukrative Tätigkeit als Serviererin in Deutschland”
hatte die Anzeige in einer russischen Zeitung versprochen. Doch die Agentur
vermittelte die nicht einmal 18 Jahre alte Natascha nicht an ein Restaurant,
sondern an einen Zuhälter. Im vorigen Dezember kam Natascha aus Galitsch,
einer Kleinstadt an der Transibirischen Eisenbahn, nach Brandenburg. Als sie
die Männer, die sie dort empfingen, nach ihrem Arbeitsplatz fragte, zeigten
sie ihr ein großes Zimmer mit einem Bett.
Dann ließen sie den ersten Freier in das Zimmer — und er zeigte ihr, was sie
zu tun hatte. Sie hatte noch Glück im Unglück: Ihr “Besitzer” vergewaltigte
sie nicht. Natascha tat, was die Zuhälter und Kunden von ihr erwarteten.
Weglaufen konnte sie nicht. Ihren Pass hatte der Zuhälter. Sie wusste noch
nicht einmal, wie das Dorf im Berliner Umland heißt, in dem sie sich befand.
Fünf, sechs Kunden musste Natascha pro Tag bedienen. Binnen zwei Monaten
verdiente der Zuhälter an ihr knapp 24 000 Euro. Natascha bekam nichts. Sie
musste die Kosten für ihre Reise nach Deutschland, für Kost und Logis
abzahlen.
Natascha ist eine von fünf Zwangsprostituierten, deren Lebensweg in der
Ausstellung “Ein Schicksal — eine Menschenrechtsverletzung” dokumentiert
wird. Die Ausstellung im Foyer des Rathauses von Frankfurt (Oder) wird an
diesem Mittwoch um 16 Uhr eröffnet und ist dort bis zum 18. Oktober zu
sehen. Organisiert hat sie die Fachberatungsstelle “Belladonna” gemeinsam
mit der Berliner Journalistin Nina Rücker, die die Frauen interviewte und
fotografierte. Zum Schutz der Frauen sind die Interviews anonymisiert.
Der Verein “Belladonna” kümmert sich seit 1990 von Frankfurt (Oder) aus um
Prostituierte im Grenzgebiet. Allein in Ostbrandenburg arbeiten in diesem
Gewerbe etwa 2 000 bis 3 000 Frauen, sagt Uta Ludwig, die Koordinatorin von
“Belladonna”. Die meisten kämen aus Ost€pa, mehr als die Hälfte von ihnen
sei gegen ihren Willen zur Hure gemacht worden — angeworben mit falschen
Versprechungen wie im Fall von Natascha.
Die junge Russin wurde schließlich bei einer Polizeirazzia aufgegriffen und
festgenommen. Die Betreuerinnen von “Belladonna” holten sie aus der
Haftzelle und brachten sie in eine Zufluchtswohnung. 67 Aussteigerinnen hat
der Verein, der sich aus Spenden, Mitgliedsbeiträgen und staatlichen
Zuschüssen finanziert, so bislang geholfen. “Bordelle gibt es nach den
Razzien kaum noch”, sagt Uta Ludwig. Die Zuhälter würden die Frauen nun
verstärkt in Privatwohnungen arbeiten lassen — was schwieriger aufzudecken
sei. Aber die Zahl der einschlägigen Zeitungsanzeigen habe sich in letzter
Zeit allein in Frankfurt (Oder) mehr als verdoppelt.