Platzeck sicherte SPD-Sieg. Analyse der Forschungsgruppe Wahlen /
Wahlextreme in einzelnen Regionen
(MAZ) Die Popularität von Ministerpräsident Matthias Platzeck hat der SPD nach
einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen die Vormachtstellung im Land
gesichert. Platzeck gelte als der mit Abstand glaubwürdigste,
tatkräftigste, kompetenteste und sympathischste der drei
Spitzenkandidaten von SPD, CDU und PDS, hieß es gestern.
Auf der +5/-5-Skala (sehr zufrieden bis sehr unzufrieden) erreichte
Platzeck die Note 2,1. PDS-Spitzenfrau Dagmar Enkelmann kam nur auf den
Wert 0,7; Jörg Schönbohm (CDU) sogar nur auf 0,2. Auch bei der Frage
nach dem gewünschten Regierungschef war Platzeck klar überlegen: 56
Prozent wollten ihn, nur 15 Prozent Schönbohm und elf Prozent Enkelmann.
Von der Koalition konnten weder SPD noch CDU profitieren, da die
Regierungsarbeit negativ bewertet wird (minus 0,2). Die ohnehin schwache
Akzeptanz der SPD-CDU-Regierung nahm weiter ab: Nach 47 Prozent (1999)
fänden jetzt nur noch 35 Prozent eine Große Koalition gut, 42 Prozent
halten sie für eine schlechte Variante. Rot-Rot ist keine Alternative:
Nur 36 Prozent aller Befragten fänden eine Koalition aus SPD und PDS
gut, 46 Prozent schlecht. Die SPD-Anhänger tendieren klar zur Großen
Koalition.
Die Strategie der PDS, massiv gegen die Arbeitsmarktreform Hartz IV zu
agitieren, hatte großen Erfolg: 39 Prozent halten die PDS für eine
“soziale” Partei (SPD: 32, CDU: neun Prozent). Die DVU schnitt bei
jüngeren Wählern besonders gut ab, bei den 18- bis 29-Jährigen erreicht
sie 14 Prozent (plus drei). Die SPD verlor besonders stark in den
mittleren Altersgruppen (30- bis 45-Jährige: minus elf; 45- bis
59-Jährige: minus zehn), während die CDU ihre größten Einbußen bei den
unter 30-jährigen Wählern (minus zwölf) hatte.
Bei der Landtagswahl haben die Parteien in den einzelnen Wahlkreisen
sehr unterschiedlich abgeschnitten. So kam die SPD im Wahlkreis 1
(Prignitz) auf 39,7 Prozent, im Wahlkreis 38 (Oberspreewald-Lausitz)
hingegen nur auf 25,1 Prozent. Ihr höchstes Ergebnis in einer Gemeinde
fuhr die SPD mit 46,1 Prozent in Wittenberge ein. In Grünewald
(Oberspreewald-Lausitz) wählten nur 15,5 Prozent die SPD.
Die PDS siegte am deutlichsten im Wahlkreis 22 (Potsdam). Die
Linkssozialisten erhielten dort 37,6 Prozent. Am schlechtesten schnitten
sie im Wahlkreis 6 (Havelland) mit 17,9 Prozent ab. In Heckelberg-Brunow
(Märkisch-Oderland) gaben 45,5 Prozent der Wähler ihre Stimme der PDS,
in Lenzerwische (Prignitz) waren es nur 9,9 Prozent.
Genau entgegengesetzt fielen die Zahlen für die CDU aus: Sie kamen in
Lenzerwische auf ihr bestes Ergebnis von 39,2 Prozent, in Heckelberg
hingegen auf ihren Negativrekord von 10,1 Prozent. Im Havelland konnten
sie mit 27 Prozent die meisten Stimmen auf sich vereinen, in Platzecks
Wahlkreis Potsdam wählten dagegen nur 11,5 Prozent die CDU.
Ein Dorf wählt braun und keiner weiß warum. In Grünewald im
Oberspreewald-Lausitz-Kreis gab jeder vierte Wähler seine Stimme der DVU
(LR) Gerhard Göbel, parteiloser Bürgermeister von Grünewald im
Oberspreewald-Lausitz-Kreis, könnte stolz sein auf seinen Ort. Mit 65
Prozent liegt die Gemeinde in der Wahlbeteiligung fast zehn Prozent über
dem Landesdurchschnitt.
Doch die Freude vergeht Göbel beim Blick auf das Wahlergebnis. 80
Dorfbewohner stimmten für die rechtsextreme Deutsche Volksunion (DVU),
das sind 23,5 Prozent. Mit einer Stimme mehr wurde die CDU gerade noch
stärkste Partei im Ort. Nur in Hirschfeld, im Elbe-Elster-Kreis, schnitt
die DVU mit 25,8 Prozent der Stimmen noch besser ab.
“Ich kann mir das eigentlich nicht erklären” , sagt der Bürgermeister
über den DVU-Erfolg. Den 660 Einwohnern in Grünewald selbst und im
Ortsteil Sella ginge es nicht schlechter als den Menschen in vielen
anderen Orten der Region. Es gibt eine Kita im Ort, eine Gaststätte,
aber keinen Laden, keine Post.
Die Arbeitslosigkeit ist hoch, wie überall im
Oberspreewald-Lausitz-Kreis. Für die Dorferneuerung fließen Fördermittel
in den Ort. Gerade wird ein weiterer Abschnitt der Dorfstraße erneuert.
Im Gemeinderat sitzen nur Parteilose. Auf einem Privatgrundstück in
Grünewald treffen sich jeden Sommer Rechtsradikale aus ganz Deutschland,
offiziell zu einer “Geburtstagsfeier” .
Die DVU war die erste Partei, die im Landtagswahlkampf in Grünewald ihre
Plakate an jede Laterne hängte. Für andere Parteien war da kaum noch
Platz. Dieter H. hat Wahlkampfmaterial der Rechtsradikalen im Ort
verteilt. Parteimitglied sei er nicht, nur Sympathisant, versichert der
seit Jahren arbeitslose Mittvierziger. Was die DVU für ihre Wähler
leisten will, kann er ebenso wenig benennen, wie das, was sie in der
vergangenen Legislaturperiode im Brandenburger Landtag getan hat. Doch
vor klaren Erwartungen, an denen sie gemessen wird, muss sich die DVU
nicht fürchten. “Die sollen mitreden, damit nicht noch mehr Ausländer
hier reinkommen” , sagt ein Arbeitsloser, der die Rechtsextremen gewählt
hat. Bei vielen DVU-Wählern scheinen neben dem Frust über die
wirtschaftlich schwierige Situation auch Misstrauen und Ablehnung gegen
Ausländer eine große Rolle gespielt zu haben.
Viele Grünewalder schimpfen ganz ungeniert über die “Weißrussen” im
Nachbarort. Gemeint sind Spätaussiedler aus Russland über deren
vermeintliches Luxusleben wilde Gerüchte im Umlauf sind. Dass jedem
Spätaussiedler angeblich die Fahrerlaubnis finanziert wird, ist nur eine
dieser Geschichten.
Spree-Neiße: Schwarzer Süden mit einem Hang zum rechten Extrem?
(LR) Im Wahlkreis 42 hatte die DVU ihr drittbestes Prozent-Ergebnis
Mit sechs Prozent aller Zweitstimmen ist die rechtsextreme DVU am
Wahlsonntag für eine weitere Legislaturperiode in den Brandenburger
Landtag eingezogen. Sechs Sitze statt bisher fünf hat sie dort nun inne.
Wenn es nach den DVU-Wählern im Wahlkreis 42 (Spree-Neiße II) gegangen
wäre, hätte die Volksunion sogar noch mehr Plätze bekommen. Mit 9,5
Prozent aller Zweitstimmen (insgesamt 2323) lag das Ergebnis hier weit
über dem Landesdurchschnitt. Nur die Wahlkreise 37 (Elbe-Elster II) und
38 (Oberspreewald-Lausitz I) lagen mit 11,3 Prozent (3225 Stimmen) und
12,2 Prozent (1800 Stimmen) noch darüber.
Weniger Prozente im Norden
Deutlich zu verzeichnen ist auch, dass die Akzeptanz für die DVU, die
oft nicht mal persönlich, sondern nur mit flächendeckender
Schlagwort-Plakatierung in Erscheinung trat, größer wird, je weiter
südlich sie operiert. Das soziale und Arbeitsmarktgefälle vom
Speckgürtel zum Brandenburger Rand hin, reicht aber allein kaum als
Erklärung aus, denn in den nördlichen Wahlkreisen der Prignitz und
Uckermark gab es in der Regel zwischen vier und fünf Prozent für die
DVU, maximal um die sieben. Möglicherweise wäre auch die Nähe zum
benachbarten Sachsen eine Erklärung, wo die NPD mit insgesamt 9,2
Prozent die Stimmen am rechten Rand sammelte. Beide – NPD und DVU –
traten mit ähnlichen Parolen und Plakaten auf – sozusagen ein
länderübergreifendes “Schnauze voll!” . Allerdings hatten sie sich
abgestimmt, sich im jeweils anderen Bundesland keine Konkurrenz zu machen.
Eine Ursachen-Forschung für den Stimmengewinn der DVU stehe erst am
Anfang und sei für alle demokratischen Parteien unerlässlich, meinte der
bisherige SPD-Landtagsabgeordnete Ulrich Freese am Wah
labend. Die DVU
sei allein mit “Bauchthemen” auf Stimmenfang gegangen, und es habe ihn
schon sehr verwundert, dass bei der Wahlveranstaltung mit Matthias
Platzeck auf dem Spremberger Markt PDS-Anhänger und DVU-Sympathisanten
in einer Reihe gestanden hätten. Der PDS wirft er Mitverantwortung an
dem hohen Stimmengewinn der DVU vor: “Nach meiner tiefsten Überzeugung
hat die populistische Kampagne mit der Plakatierung ‚Hartz ist Armut per
Gesetz” dafür gesorgt, dass andere mit noch populistischeren Parolen bei
den ohnehin besorgten Menschen ankommen konnten.”
Wo stecken die Erststimmen?
Freese glaubt sicher, dass ein ganzer Teil derer, die im Spremberger
Raum mit ihrer Zweitstimme die DVU gewählt haben, ihre Erststimme der
PDS-Kandidatin Birgit Wöllert gegeben haben. Die vermutet aber etwas
ganz anderes. “Ich glaube eher, dass das Leute waren, die sich gut mit
den sehr rechtskonservativen Ansichten von Andreas Kottwitz anfreunden
konnten.”
CDU-Kandidat Kottwitz wiederum, der im Wahlkampf unter anderem den
früheren Spremberger Bürgermeister Egon Wochatz (erst jüngst wegen der
Teilnahme an einem Treffen von SS-Veteranen in die öffentliche Kritik
geraten) für sich hatte werben lassen, geht auf solche Spekulationen
nicht ein. “Ich hätte es natürlich lieber gesehen, wenn diese Wähler
sich mit ihrer Zweitstimme der CDU zugewendet hätten anstatt der DVU” ,
sagt er.
Schwarzbach (OSL): “Pervers” – Warum wählt die heile Welt braun, Frau
Theiss?
(LR) 16,8 Prozent für die DVU: Schwarzbacher Bürgermeisterin schockiert
Schicke Idylle, verschworene Gemeinschaft, junge Familien, viel
Nachwuchs: Schwarzbach ist das Vorzeige-Dorf Nummer 1 im Südkreis. Aber
plötzlich mischt sich braun in die schwarze 610-Seelen-Gemeinde der
roten Bürgermeisterin Gabi Theiss (SPD). Die zeigte sich angesichts von
16,8 Prozent für die DVU in ihrem Ort bei der Landtagswahl schockiert.
Zwar ist Schwarzbach damit nicht das Braunbach der Region – in Grünewald
stimmten sogar 23,5 Prozent für die Rechten. Gabi Theiss beruhigt das
aber wenig: “Was da abging, war ja noch perverser als bei uns. Und das
war schon so furchtbar.” Die rührige Bürgermeisterin, eigentlich die
heile Welt gewöhnt, scheint sich für die 66 DVU-Wähler unter ihren
Pappenheimern fast entschuldigen zu wollen: “Ja, ich schäme mich richtig
dafür. Wer wählt bei uns DVU? Haben wir uns zu wenig um unsere
Mitmenschen gekümmert?”
Dennoch habe es in der Gemeinde, die in einer Riesen-Gemeinschaftsaktion
schon das 550-jährige Jubiläum für 2005 vorbereitet, keinen Rechtsruck
gegeben. Da ist Gabi Theiss sicher. Vielmehr hätten sich einige wohl
ihren Politik-Frust von der Seele gewählt. “Protest” , mutmaßt sie,
“ohne zu überlegen, was man Brandenburg damit antut.” Ähnlich vermutet
es Ruhlands Amtsdirektor Roland Adler, der mit Grünewald, Schwarzbach
und Hohenbocka (16,7 Prozent) wahre DVU-Hochburgen in seinem Amt
regiert. “Ich bin aber entschieden dagegen, diese Orte als braune Dörfer
abzustrafen. Viele werden aus Unzufriedenheit mit der Politik so gewählt
haben.”
Und was bleibt vom braunen Desaster? Während Adler in der
Bürgermeisterrunde Konsequenzen diskutieren will, setzt Gabi Theiss in
Schwarzbach auf das, was sie am besten kann: reden. “Am besten gleich
über den Gartenzaun. Wir müssen aufklären, damit so was nicht noch mal
passiert.”
DVU-Hochburgen: Der rechte Rand der Mark
(Berliner Zeitung) LAUCHHAMMER. Läge der Wahlkreis Oberspreewald-Lausitz I nicht in
Süd-Brandenburg, sondern etwa ein Stück weiter in Nord-Sachsen, würde er
nicht besonders auffallen. Er läge über dem Durchschnitt — doch der
Anteil der Bürger, die rechstextrem gewählt haben, war in Sachsen
anderswo höher. In Brandenburgs Wahlkreis 38 machten 12,22 Prozent ihr
Kreuz bei der DVU und verhalfen der Partei zu ihrem landesweit besten
Ergebnis.
Vor Ort ist das kein neues Phänomen. “Das zieht sich schon über längere
Zeit hin”, sagt die parteilose Bürgermeisterin von Lauchhammer,
Elisabeth Mühlpforte. In der größten Stadt des Wahlkreises holte die DVU
12,76 Prozent. Zwei DVU-Mitglieder aus der Stadt sitzen seit 2003 im
Kreistag. Aufgefallen sind sie nicht. “Sie haben keine einzige Vorlage
eingebracht”, sagt Kreistagschef Wolf-Peter Hannig (PDS).
Eine Erklärung für den Erfolg der Rechten hat niemand. Die DVU habe
jeden Laternenpfahl mit Plakaten behängt, sagen alle. Die
stellvertretende Wahlleiterin Susanne Priemer verweist auf die
Perspektivlosigkeit der Region: “Wir sind hier im Randgebiet, nicht im
Speckgürtel.” Die Arbeitslosigkeit im Landkreis liegt bei 27 Prozent.
Im Dorf Grünewald wurde die DVU mit 23,5 Prozent sogar zweitstärkste
Partei — mit nur einer Zweitstimme weniger als die CDU. Doch die Leute
hier seien von Arbeitslosigkeit “eher nicht so stark betroffen”, die
liege um die 18 Prozent, sagt Amtsdirektor Roland Adler (parteilos).
Allerdings liegt das Amt direkt an der Grenze zu Sachsen — und Grünewald
ist an drei Seiten von Sachsen umgeben.
Die DVU selbst sieht ihren Erfolg darin begründet, dass die Partei in
der Region sehr aktiv ist. “Dort ist die DVU nicht nur eine Kombination
aus drei Buchstaben, sondern mit konkreten Personen verbunden”, sagt der
Sprecher der Landtagsfraktion, Thilo Kabus. In ganz Brandenburg hatte
die Partei etwa 97 000 Plakate aufgehängt, nach eigenen Angaben wurde
ein Drittel zerstört. “Dort, wo wir viele Aktivisten haben, wurden sie
schnell wieder ersetzt”, sagt er. Wie etwa im Elbe-Elster-Kreis, wo die
Partei auch im Kreistag sitzt und diesmal ihr zweitbestes Ergebnis
erzielte. Hier sei die DVU auch bei der letzten Kommunalwahl stark gewesen.
Darüber, wie stark die rechte Jugendkultur im Wahlkreis 38 ist, sind die
Befragten uneins. Kreistagsleiter Hannig erklärt sich das so: “Die
rechte Szene schwappt von Sachsen herüber.” Das Erstarken der
Rechtsextremen wird allzu rasch auf den Einfluss der Neonazis in Sachsen
zurückgeführt. Als gegen die rechtsextremistische Organisation
“Skinheads Sächsische Schweiz” (SSS) in Sachsen ermittelt wurde, sollen
sich SSS-Anhänger nach Brandenburg abgesetzt und dort Nazi-Rockkonzerte
organisiert haben.
Frust-Wahl: 25,8 Prozent für die DVU in Hirschfeld
(BM) Hirschfeld — Nur einen Steinwurf von der sächsischen Landesgrenze
entfernt, in Hirschfeld (Elbe-Elster) im äußersten Süden Brandenburgs,
gibt es einen Döner-Stand. Das ist bemerkenswert für ein Dorf mit knapp
1000 Wahlberechtigten, in dem bei der Landtagswahl jeder Vierte, der zur
Urne ging, die rechtspopulistische Deutsche Volksunion (DVU) gewählt hat.
25,8 Prozent für die DVU: Das ist das höchste Wahlergebnis für die
Partei in Brandenburg und entspricht in etwa der Arbeitslosenquote von
rund 27 Prozent im Ort. Auf die Idee, das 600 Jahre alte Dorf deshalb
eine Hochburg der Rechtsextremen zu nennen, käme einen Tag nach dem
Urnengang in dem verschlafen wirkenden Ort aber niemand. Selbst der
türkische Imbissbetreiber Mehmet Ogoz nicht: “Klar, manchmal gibt es
Sprüche, aber die Rechtsextremen lassen sich hier kaum blicken.”
Von der DVU hat sich auch keiner der Kandidaten während des Wahlkampfes
in Hirschfeld sehen lassen. Woher dann aber der Erfolg? “Das ist eine
reine Protestwahl gewesen”, sagt Bürgermeister Bernd Trobisch
(parteilos). Wohl ist dem 57-Jährigen Kommunalpolitiker beim Blick auf
das Wahlergebnis aber keineswegs: “Das hätte ich uns gern erspart.”
Die Bürger von Hirschfeld wählten allerdings schon immer mehrheitlich
konservativ. Die CDU erreichte 1999 insgesamt 65 Prozent der Stimmen.
Viele dieser Wähler seien nun zur DVU gewechselt.
“Eine Ohrfeige für die da oben”, nennt es Rentnerin Monika Reyentanz.
Die Menschen fühlten sich im Stich gelassen. Manch einer ist gar nicht
erst zur Wahl gegangen. So wie Ronny Schneider, ein 20 Jahre alter
Landwirt. “Ändert sich doch sowieso nüscht”, meint er. Junge Leute gebe
es hier mangels Arbeit kaum noch. Er habe noch welche, und deshalb sei
er noch hier.
Für die älteren Hirschfelder sieht es auch nicht rosig aus: Einige
schälen Kartoffeln in der benachbarten Fabrik. Für vier Euro die Stunde.
Bürgermeister Trobisch winkt ab: “Ist doch klar, dass hier niemand mehr
an Besserung glaubt.”
Männer, jung, Hauptschule. Die Rechtsextremen setzten erfolgreich auf
die Proteststimmung
(FR) Die rechtsextremen Parteien DVU und NPD waren vor allem bei jüngeren,
formal weniger gebildeten Männern erfolgreich. Das hat die
Forschungsgruppe Wahlen festgestellt.
Auch wenn sich Organisationsstruktur und Auftreten von NPD und DVU stark
unterscheiden, gibt es nach der Analyse bei der Wählerschaft doch
auffällige Parallelen. Sowohl bei den DVU- als auch den NPD-Anhängern
fühlten sich weit überdurchschnittlich viele benachteiligt, in
Brandenburg sähen 88 Prozent der DVU-Anhänger und in Sachsen 96 Prozent
der NPD-Anhänger in den in Deutschland lebenden Ausländern eine
“Überfremdungsgefahr”, so die Forscher. Trotz des im Osten relativ
niedrigen Ausländeranteils meine in beiden Ländern eine überwältigende
Mehrheit, dass es in Deutschland zu viele Ausländer gebe. Der Wahlkampf
der Rechtsextremen habe jedoch hauptsächlich auf die Proteststimmung
gegen die Sozialreformen abgezielt. Diese Rechnung sei aufgegangen.
Am erfolgreichsten seien die Rechtsextremen bei jüngeren, formal niedrig
gebildeten Männern. In Sachsen erreiche die NPD bei den 18- bis
29-jährigen Männern 21 Prozent, bei allen unter 35-Jährigen mit
Hauptschulabschluss sogar 26 Prozent aller Stimmen. Aber auch bei den
unter 30-Jährigen insgesamt schneide die NPD mit 18 Prozent und DVU mit
14 Prozent besonders gut ab.
Die Zahlen basieren auf Telefonumfragen unter je rund 1000
Wahlberechtigten in Sachsen und Brandenburg in der Woche vor der Wahl
sowie Umfragen unter 5451 Wählern in Sachsen und 5643 Wählern in
Brandenburg am Wahltag.
Zuspruch für NPD und DVU irritiert Wirtschaft
(FR) Wirtschaftsverbände, Unternehmen und Institute haben unterschiedlich auf
die Wahlerfolge von NPD und DVU in Sachsen und Brandenburg reagiert.
Zwar wird ein Imageschaden bei ausländischen Investoren nicht
ausgeschlossen, ein Stopp von Investitionen gilt aber als unwahrscheinlich.
Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Ludwig
Georg Braun, rief die demokratischen Parteien zu einem gemeinsamen
Handeln gegen das Erstarken der rechtsextremen Parteien aufgerufen.
Angesichts des Einzuges von NPD und DVU in die Landtage in Sachsen und
Brandenburg sei eine Koalition der Vernunft unerlässlich, sagte Braun
der Chemnitzer Freien Presse. Anderenfalls drohe eine Verunsicherung der
Wirtschaft und damit eine Zurückhaltung der Investoren aus dem In- und
Ausland in den beiden Bundesländern.
Der jüngste Erfolg der rechtsextremen Parteien ist nach Einschätzung des
Bundesverbands des Groß- und Außenhandels (BGA) sehr kontraproduktiv für
die Wirtschaft in Sachsen und Brandenburg. “Jeder Anschein von
Rechtsradikalismus schadet dem Ansehen des Landes und schreckt damit
Investoren ab”, sagte BGA-Präsident Anton Börner am Montag. Die
Bundesrepublik habe bislang im Ausland “als Garant für Stabilität und
Verlässlichkeit” gestanden. Der US-Dienstleister World Trade Center
(WTC) befürchtet in Sachsen wachsendes Misstrauen bei potenziellen
ausländischen Geschäftspartnern.
“Kein Stopp der Investitionen”
Das Münchner ifo Institut rechnet aber derzeit nicht mit negativen
wirtschaftlichen Folgen für die neuen Länder. “Hilfreich ist es
natürlich nicht”, sagte ifo-Chefvolkswirt Gernot Nerb. Er könne sich
aber nicht vorstellen, dass zum Beispiel ausländische Unternehmen
deswegen ihre Investitionen verschieben oder sogar absagen könnten.
Grundsätzlich sei das politische Umfeld schon ein Standortfaktor, sagte
Nerb. Allerdings würden in allen Demokratien immer wieder radikale
Parteien nach oben gespült. Ein Beispiel sei Frankreich, wo es einen
rechtsradikalen Bodensatz gebe.
Gewerkschaft der Polizei ruft nach mehr Beamten
(FR) Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat als Konsequenz aus den
Stimmengewinnen rechtsextremer Parteien bei den Landtagswahlen von
Sachsen und Brandenburg eine Aufstockung des Personals zur Bekämpfung
des Rechtsextremismus gefordert. “Die Beobachtung im Bereich
Rechtsextremismus muss verstärkt werden”, sagte GdP-Chef Konrad Freiberg
der Nachrichtenagentur Reuters am Montag. Die entsprechenden
polizeilichen Kapazitäten seien in den letzten Jahren in den Ländern
teils drastisch reduziert und auf den Bereich islamistischer Terrorismus
konzentriert worden. “Die Gefahr des Rechtsextremismus ist aber nicht
zurückgegangen.”
“Wenn man die Polizisten nicht aus dem Bereich Terrorismus abziehen oder
von der Straße wegholen will, muss man neue Leute einstellen”, sagte
Freiberg. Vor allem durch den Wahlerfolg der NPD in Sachsen komme
bundesweit mehr Arbeit auf die Polizei zu. Die Beobachtung des
Rechtsextremismus müsse verstärkt werden, und es sei mit einer Zunahme
von Aufmärschen und Versammlungen der NPD zu rechnen. Hinzu komme, dass
mit den Abgeordneten der NPD nun auch Führungskräfte Immunität genössen.
Freiberg sprach sich für einen neuen Anlauf für ein NPD-Verbot aus.
Bischof hält Wahlausgang für “großes Unglück”
(FR) Nach den erheblichen Stimmengewinnen für NPD und DVU bei den
Landtagswahlen am Sonntag hat der Ratsvorsitzende der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, eine “aktive und
unzweideutige” Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus gefordert.
Mit Blick auf den Wiedereinzug der DVU in den Potsdamer Landtag warf
Huber den anderen dort vertretenen Parteien Nachlässigkeit in den
vergangenen Jahren vor. Die Auseinandersetzung müsse “im Parlament, vor
Ort und auch in den Medien stattfinden”, sagte der Bischof. Den
Wiedereinzug der DVU bewertete Huber als “großes Unglück”.
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal
Karl Lehmann, zeigte sich besorgt über die Erfolge am rechten und linken
Rand. Es sei bestürzend, wenn etwa in Sachsen rund 20 Prozent der unter
20-Jährigen die NPD gewählt hätten. Dabei habe sicher die Problematik
der Arbeitsmarktreform eine Rolle gespielt.
Auch der Präsident des Zentralrates der Juden, Paul Spiegel, zeigte sich
besorgt über den Wahlerfolg der NPD. Mit Blick auf das gescheiterte
Parteiverbotsverfahren erklärte er, dass die Entscheidung hierüber nicht
verlässlich den Wählern überlassen werden könne, sagte Spiegel dem
Tagesspiegel.