(MAZ) POTSDAM Ihre Erkennungsmarken mussten die Soldaten vor der letzten Schlacht
noch schnell vergraben. Befehl von ganz oben. Wer kurz vor Kriegsende im
Kessel von Halbe (Dahme-Spreewald) sein Leben ließ, war weder für Freund
noch Feind identifizierbar. Die namenlosen Toten begruben die Einwohner,
dort wo man sie fand: in den Wäldern rund um Halbe.
Erst 1951 wurde begonnen, die weit verstreut liegenden Gräber auf einem
Zentralfriedhof zu vereinigen. Unter Grabplatten aus der Keramikwerkstatt
von Hedwig Bollhagen haben Wehrmachtssoldaten und Angehörige des Volkssturm,
aber auch Zivilisten ihre letzte Ruhe gefunden. Insgesamt zählt die Stätte
22 000 Gräber und ist damit Deutschlands größter Soldatenfriedhof. Für ihn
interessieren sich seit der Wende zunehmend auch Neonazis. 1990 traf sich
die Szene erstmals am Volkstrauertag am Friedhof. Unter dem Motto “Ruhm und
Ehre dem deutschen Frontsoldaten und den €päischen Freiwilligen”
versammelten sich im vergangenen Jahr dort rund 1300 Neonazis und versetzten
Halbe in einen Ausnahmezustand. Die Gemeinde wurde von rund 2000 Polizisten
hermetisch abgeriegelt.
Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) will Aufmärsche dieser Art in Halbe
künftig verhindern. Neben den Gedenkstätten der Konzentrationslager
Sachsenhausen und Ravensbrück soll auch der Soldatenfriedhof als
Versammlungsort für rechtsextremistische Kundgebungen nicht mehr in Frage
kommen. Möglich wird das Verbot innerhalb einer Neuregelung des
Versammlungsgesetzes, auf die sich die Bundesspitzen von SPD und Grünen
koalitionsintern geeinigt haben. Die Union hat ihre Zustimmung signalisiert.
Danach sollen die Bundesländer selbst die Orte festlegen können, an denen
Neonazi-Treffen verboten werden.
Wie Schönbohm äußerte auch der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion,
Sven Petke, seine Zufriedenheit über die Entscheidung. “Die Praxis hat
gezeigt, dass die existierenden Regelungen nicht ausreichend sind. Halbe ist
als Ort regelmäßig von Neonazis missbraucht worden”, sagte Petke. Sobald der
Bundestag über die Verschärfung befunden habe, wolle man auf Landesebene mit
einer Regelung nachziehen.
Ebenfalls positiv reagierte gestern die brandenburgische PDS-Fraktion. Deren
innenpolitischer Sprecher, Hans-Jürgen Scharfenberg, nannte das Verbot von
Aufmärschen “die wirksamste Form” im Kampf gegen rechtsradikale Kräfte. Nach
Scharfenbergs Auffassung stellt die Einschränkung der Versammlungsfreiheit
keinen schwerwiegenden Eingriff in die demokratische Ordnung dar.
“Demokratische Kräfte werden von diesem Verbot nicht ausgebremst”, sagte
Scharfenberg. Er betonte jedoch, dass damit die Symptome, nicht aber die
Ursache von Rechtsradikalismus bekämpft werde.
Zurückhaltend reagierte hingegen die in Potsdam ansässige Neue
Richtervereinigung. Es gebe Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines
Verbots, erklärte die Landesvorsitzende Ingrid Schott. Sollten die Länder
das Verbot rigoros anwenden, sieht Schott wenig Chancen, dass die Regelungen
bei einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben. Zu groß sei
der Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Laut Schott reichen die
bestehenden Gesetze aus, um diese Grundfreiheit gleichermaßen zu
gewährleisten und zu schützen.