“Vergiss nie, wer du bist” sagte der Vater. “Du sollst leben!” setzte
die Mutter hinzu. Für den 14-jährigen Sally Perell wurden diese Worte
zum elften und wichtigsten Gebot. Ein Wiedersehen mit den Eltern sollte
es nicht geben. Knapp 70 Jahre später sitzt der in Peine bei
Braunschweig geborene und heute in Israel lebende Autor des
Lebensberichtes “Ich war Hitlerjunge Salomon” Rangsdorfer See-Schülern
gegenüber. Mit ihnen sprach Sally Perell in dieser Woche über sein Leben.
“Zeitzeugen sind die besten Geschichtslehrer, die Geschichte selbst ist
deren Lehrerin” sagt Sally Perell, dessen Schicksal als jüdischer
Hitlerjunge weltweit für Aufsehen sorgte. Mehr als vier Jahrzehnte hat
der Sohn jüdischer Eltern sein Überleben im Nazi-Deutschland verdrängt.
“Um nicht verrückt zu werden”, wie er heute sagt, schrieb er sich sein
Schicksal von der Seele. Das half, aufgestaute Schuld‑, und nie
überwundene Angstgefühle zu verarbeiten.
Die Machtübernahme der Nazis erschütterte den gerade mal Achtjährigen
wenig. Das Verbot, als Jude die Schule zu besuchen, wird die erste tiefe
Wunde seines Lebens. Das polnische Lodz, wohin die Familie flieht, ist
bald in deutscher Hand. Während die Eltern ins Ghetto getrieben werden,
gelingt Sally und seinem Bruder die Flucht ins russisch besetzte Ostpolen.
Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs überrascht den inzwischen
16-Jährigen im Schlaf. Wenig später steht er zusammen mit anderen in
jener Reihe, an deren Ende ein deutscher Soldat über Leben und Tod
entscheidet. Mit der Lüge, ein Volksdeutscher zu sein, rettet er sein
Leben. Vier Jahre bangt Sally, nun als Schüler an einer Elite-Schule der
Hitlerjugend, entdeckt zu werden. “Gelingen konnte dies nur, weil ich
mich ganz darauf einließ”, weiß er heute. “Ich spielte nicht, sondern
ich war Hitlerjunge Josef.” Am Tag schrie er “Sieg heil” und übte
Marschieren, in der Nacht träumte er von Mama und Papa und malte
jüdische Symbole. Die Scham darüber währte 40 Jahre.
Dass es 60 Jahre nach Kriegsende wieder Deutsche gibt, die Nazis wählen,
besorge ihn sehr. Nicht gewusst zu haben, was damals wirklich geschah,
bezeichnet Sally Perell als Lüge. Auch wenn die Jugend von heute keine
Schuld am “Damals” trifft — sich über die Wahrheit informieren müsse sie
schon.
Nach mehr als zwei Stunden Zuhören bestürmten die Schüler den Gast mit
ihren Fragen. “Was geschah mit nicht-arischen Kindern genau?”, “Wieso
spielte er seine Rolle als Hitlerjunge so perfekt?” “Warum haben die
Nazis ausgerechnet die Juden zu ihren Feinden gemacht?”
“Wohltuend” nannte Perell das Interesse seiner Zuhörer. “Schalom”, zu
deutsch: Frieden, schrieb er in die Exemplare seiner Biografie, die ihm
viele der Schüler nacheinander auf den Tisch legten. An diesem Tag
schwang Hoffnung mit.