(MAZ, Frank Schauka) POTSDAM Von seinem ihm offenbar irgendwie zustehenden Anrecht, auch
einmal beherzt “Arschloch!” schreien zu dürfen, machte das “Volk”
gestern Abend in Potsdam vor der Landeszentrale der Brandenburger SPD
mitunter gern Gebrauch — auch wenn das Gebäude erkennbar menschenleer
war. 500 Hartz IV-Gegner hatten sich trillernd, rufend und
Protestplakate reckend vom Platz der Einheit zu dem etwa 500 Meter
entfernten Parteisitz aufgemacht, um — so der Plan — Vertretern der
Regierungspartei einen Forderungskatalog zu übergeben: “Stoppt Hartz IV”
und “Keine Steuersenkung für Reiche” zählten dazu. Da sich jedoch kein
Adressat zeigte, wurden die Transparente an den Zaun vor dem Gebäude
abgestellt.
“Wir waren in Prenzlau und sind jetzt in Senftenberg”, erklärte
SPD-Landesgeschäftsführer Klaus Ness gestern Abend die Leere in der
Potsdamer SPD-Zentrale. Die Demonstration am Nachmittag in der
uckermärkischen Kreisstadt Prenzlau mit 600 Besuchern sei ohne Proteste
gegen Ministerpräsident Matthias Platzeck verlaufen. “Die Rede wurde
nicht gestört”, so Ness. Bei der Montagsdemo gestern Abend auf dem
Marktplatz von Senftenberg in Landkreis Oberspreewald-Lausitz seien etwa
1000 Hartz-Gegner versammelt — deutlich weniger als vor einer Woche, als
sich 3000 Demonstranten dort zusammengefunden hatten. “Der Höhepunkt ist
überschritten”, vermutet Ness.
Landesweit sind gestern abermals mehrere tausend Menschen gegen die
beschlossene Arbeitsmarktreform auf die Straße gegangen — die die
rot-grüne Bundesregierung unter Mitwirkung von CDU/CSU beschlossen
hatte. In Cottbus demonstrierten 1500 Hartz IV-Gegner, in Eberswalde,
Eisenhüttenstadt und Prenzlau jeweils 600. Nach Angaben der Polizei
waren Montagsdemonstrationen an mehr als 20 Orten in Brandenburg
angekündigt. Am frühen Abend zählte die Polizei etwa 6500 Demonstranten
landesweit.
“Wie soll ich mit meinem Geld klarkommen?” rief eine rothaarige Frau vor
der SPD-Landeszentrale in Potsdam in die Menge. Mit einer Freundin
skandierten sie dann “Wir sind das Volk” so oft, bis auch andere sich
angesprochen fühlten. “Wo sind die Feiglinge?” hieß es bald und “Komm
raus, du Arschloch!” “Heute ham se schiss.” Die meisten Demonstranten
standen jedoch schweigend vor dem Haus.
Die Demo löste sich nach etwa einer Stunde wie auf Kommando auf. “Wir
machen weiter, bis sich was bewegt”, sagte ein älterer Herr auf dem Weg
zurück. Sie werde auch bald keine Arbeit mehr haben, klagte seine
Ehefrau. Ein junger Vater mit seinem Kind auf dem Arm wandte sich vom
SPD-Sitz ab und passierte die Straße. Der rote Opel Vectra der
Familienpartei, die die Demonstration angemeldet hatte, blieb noch ein
wenig vor der Parteizentrale zurück. Von dem Schild der DKP mit dem
Slogan “Wacht auf, Verdammte dieser Erde” war rasch nichts mehr zu sehen.